Rudolf Bahros Bedeutung für die heutige Gesellschaft unter dem Aspekt von Hartz4 und Bedingungsloses Grundeinkommen.
Ende der 70er Jahre kam Rudolf Bahro aus der DDR nach Westdeutschland und er war aktives Mitglied bei den GRÜNEN. Er hat aber dann diese »Bewegung« verlassen, weil sie »Partei« wurde, wie er sagt. Sein Buch »Logik der Rettung« [1] passt in die heutige Zeit und seine Aussagen haben einen starken Bezug zu den anstehenden Aufgaben, die wir Menschen (in Deutschland) vor uns haben.
Bahro hatte schon frühzeitig erkannt, dass die GRÜNEN sich stromlinienförmig an das bestehende System anpassen würden, dass das Sicheinfügen in die Parteienstrukturen (Parteiengesetz) für diese Bürgerbewegung zu einer Aufgabe der ursprünglichen Ideale führen würde.
Die Vorherrschaft der Wirtschaft in unserer Gesellschaft drückt sich heute durch eine fast zwangsartige Logik aus, nämlich der, alles unterordnen zu wollen, was der Arbeitsplatzschaffung im Wege stehen könnte. Bei diesem Unterfangen arbeiten Kapitalismus und Arbeitnehmer sowie deren Vertretung, die Gewerkschaften, Hand in Hand. Diese »Megamaschine«, wie sie Bahro nennt, ist nur zu stoppen, durch die Arbeitnehmer, durch die Bevölkerung, indem sie nicht mehr mitmachen, bei dieser Logik. Bahro schrieb sein Buch vor über 20 Jahren, Anfang der 90er Jahre. Es hat nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil. Er sagt, dass wir neue Lebensweisen überlegen und einen richtigen Umstieg oder Ausstieg finden müssen, sonst gehen wir alle in dem alten System zugrunde.
Der Parlamentarismus ist für ihn keine hilfreiche Form der politischen Gestaltung.
Die ››freiheitliche Demokratie« könnte es verdammt nötig haben, in der gegebenen beschränkten, korrumpierten und durch Ausbeutung der ganzen Welt kompromittierten Form zu sterben, ..Statt der mechanistischen parlamentarischen Demokratie, die die Individualität auf den Charme einer Lottokugel reduziert, wird es einen neuen Modus der Konsensbildung aus dem Insgesamt unserer psychischen Kräfte geben, unter Führung der Intuition, unter Integration der Rationalität.Bahro hatte erkannt, dass der Parlamentarismus keine Antwort ist, für die Anliegen der Individuen, mitgestalten und mitentscheiden zu wollen.
Man kann doch nicht ernstlich bei einem politischen System stehenbleiben wollen, bei dem der Wahlakt zum nationalen Parteienparlament alle vier Jahre, als höchster Ausdruck meiner politischen Selbst- und Mitbestimmung gilt.Wenn sich aber die Gesellschaften ändern müssen, um nicht (durch Egoismus) zugrunde zu gehen, was muss hinzukommen?
Es geht um diejenigen Anschaffungen, mit denen die Gesellschaft institutionell in die Lage versetzt wird, ihre höheren Bedürfnisse auszudrücken, das spirituelle, eigentlich menschliche Bewusstsein, das sich allenthalben ansammelt und das in unserem bloß die Selbstsucht institutionalisierenden System gar nicht zum Zuge kommen kann.Erst werden sich die gesellschaftlichen Veränderungen ergeben und dann wird die rechtliche Verfassung »nachziehen«.
So wie damals, als die bürgerliche Gesellschaft durchgesetzt wurde, das Recht nachzog, wird sich auch diesmal zunächst die neue soziale Notwendigkeit gegen die überholte Rechtsgestaltung und trotz ihrer durchsetzen.Wirtschaft muss ein Aspekt des menschlichen Lebens werden, aber einer der sich einfügt in das Gesamte, ohne zu dominieren und zu unterjochen.
Der entscheidende Punkt ist die ........ verlangte Unterordnung der Ökonomie unter eine Rechtssphäre, die nicht erst von der Ökonomie her konstituiert worden ist.Wie aber sollen sich die politischen Veränderungen ergeben? Wer wird es umsetzen. Dazu schreibt Bahro:
Hier wird natürlich die Frage zentral, ........ woher sollen die Kräfte kommen, die so etwas politisch durchsetzen können? Die Wirtschaft zu zügeln und ihr effektiv eine Rechtssphäre überordnen, kann nur eine Volksbewegung, die bis zur Volkserhebung geht.
Diese Perspektive ist bedeutsam, da wir heute wieder vor der Frage stehen, können es die Parteien richten. Etwa eine neue Partei, wie die PIRATEN, oder geht es doch eher anders. Bahro weißt darauf hin, dass die Parteien durch ihre Struktur eher nicht in der Lage sind, sich gegen das System zu behaupten. Sie können nur Teil von diesem sein. Die Veränderungen aber, kommen direkt aus der Bevölkerung.
Auch ich bin überzeugt, dass die Veränderungen über rein themenbezogene Bürgeraktivitäten eintreten und die Parteien nur noch in der »Verwaltung des gegenwärtigen Elends« eine Rolle spielen. Wie aber wird die Bevölkerung sich verhalten müssen, damit es zu Verbesserungen der Lebenssituationen kommen kann. Der Bereich der Arbeit wird dabei eine Rolle spielen, sagt Bahro. Und tatsächlich, mit dem heutigen Thema des Bedingungslosen Grundeinkommens haben wir ganz zentral das Thema »Arbeit« im Blick. Bei Bahro heißt es dazu:
Die Entscheidung dürfte auf dem Felde fallen bzw. sich schließlich widerspiegeln, das als das gewerkschaftliche gilt: Es muss die Verteidigung der Arbeitsplätze aufgegeben werden, und zwar ganz grundsätzlich. Denn der Investitionsprozess, um den es dem Wesen der Sache nach geht, ist durch die Interessen der »Arbeitnehmer« als der abhängigen zweiten industriellen Klasse politisch gedeckt. Das Kapital investiert in der sozialpolitischen Optik, in der Optik der metropolitanen inneren Stabilität gar nicht um der Profite willen, sondern um »Arbeit zu schaffen«. Der Prozess kann also nicht anders laufen als über die Erfahrung der Lohnabhängigen, dass sie mit der Gesamtlogik der Kapitalakkumulation, mit dem Funktionieren der Konjunktur noch mehr gekniffen sind. Das heißt: Der selbstmörderische Charakter des ganzen Wirtschaftssystems, dessen mitgedrehter Teil sie sind, muss ihnen so zur unmittelbaren Erfahrung werden ......Dieser Abschnitt in Bahros Ausführungen ist sehr wichtig, denn er weißt darauf hin, dass die Gewerkschaften eigentlich »Kumpane« und Bewahrer des Systems sind, genauso wie die Arbeitnehmer auch, wenn sie sich der Logik des Systems anschließen, dass Finanzwirtschaft, Bankenmacht, Zinseszins, Umweltzerstörung, Vorherrschaft des Kapitals und der Wirtschaft »in Ordnung« ist, wenn sich diese Machthaber einer sozialen Komponente verpflichtet fühlen, nämlich »Arbeitsplätze schaffen«.
»Noch mehr gekniffen« sind die Arbeitnehmer heute, wenn sie die Erfahrung machen, dass der Arbeitsplatz an einem dünnen Faden hängt und wenn dieser reißt, das Elend der Arbeitslosigkeit, mit staatlich gewollter Verarmung und Hartz4-Sanktionen droht, oder die Alternative, nur schlecht bezahlte, unattraktive Niedriglohnjobs da sind. Diesen Aspekt gab es zu der Zeit noch nicht, als Bahro sein Buch schrieb. Vor 25 Jahren war die Gesellschaft noch »reich«.
Wie Gustav Landauer schon am Anfang des Jahrhunderts gesagt hatte, aus dem Kapitalismus austreten heißt aus der Fabrik austreten. ................ Die Menschen müssen mit der Erde und dem zu ihrer Bearbeitung gehörigen Werkzeug wiedervereinigt werden, d. h. die konkrete und direkte Verfügungsgewalt über ihre physische Reproduktion wiedergewinnen.Entscheidend ist, dass die Menschen sich innerlich einer neuen Lebensweise zuwenden und erkennen, dass das bisherige Verfahren nicht mehr durchzuhalten ist und neue Antworten verlangt. Es geht nicht mehr um die »Reparatur des alten Systems des Wirtschaftens und Gesellschaft Gestaltens«, was sich die GRÜNEN auf die Fahnen geschrieben hatten (bevor sie vollends den Pfad der Humanität verließen und sich auf einen »Pakt mit dem Teufel« verständigten, indem sie den Hartz4-Gesetzen ihre Zustimmung gaben).
Bahro: »Am Boden und an materiellen Mitteln fehlt es keineswegs. Es fehlt an alternativen Lebensentwürfen.« Und: »Die Betroffenen trauen im Ernstfall immer noch dem Kapital und dem Staat sehr viel mehr als sich selbst, ihrem Arbeitskollegen und ihrem Nachbarn.«
Immer noch viele Menschen würden sich lieber den Wegweisungen der Obrigkeit unterwerfen, als selber zu denken und selber entscheiden zu wollen.
Wie sieht eine neue gesellschaftliche Entwicklung aus:
Ein massenhafter Rückzug vom Markt, vom Weltmarkt, der Aufbau einer lokalen Eigenwirtschaft für die Befriedigung der Grundbedürfnisse, zumindest ihres Löwenanteils, wird unausweichlich werden. Es muss aber diese Idee intensiv in die Gesellschaft hineingetragen werden. Gelingen kann die notwendige Neukonstituierung einer Gesellschaft nur bei Erneuerung ihrer spirituellen Fundamente, nämlich durch existentielle Neuentscheidungen über den eigenen Lebensentwurf, durch die Distanzierung von dem ganzen Wertsystem der Haben-Haben-Konkurrenz, durch die Wiedergewinnung der psychophysischen Sensibilität und Offenheit dem Leben gegenüber.
Dies erscheint mir sehr persönlich formuliert, ist aber doch interessant, weil die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens drinsteckt (Befriedigung der Grundbedürfnisse) und die Tendenz zur »lokalen Eigenwirtschaft« kann man u. a. bei der Transition-Towns Bewegung beobachten. Die Globalisierung, wie man heute den Weltmarkt nennt, mag ich nicht vollends schlecht reden.
Nicht zuletzt geht es darum, »die Herrschaft der Ökonomie über die Gesellschaft zu beenden (denn das ist die Hauptfrage, soweit es darum geht, die Megamaschine zu stoppen)......«.
Der Mensch - Mann und Frau - kann sich natürlich weder von Produzenten - noch von Konsumenten - noch von irgendwelchen anderen besonderen Interessen regieren lassen..........Die von unserer falschen Wissenschaftslogik forcierte verrückte Arbeitsteilung, die jegliche Sinneinheit im sozialen Lebensprozess zerschlägt, muss korrigiert, weitgehend zurückgenommen werden, weil sie der menschlichen Natur und ihrer Würde, insbesondere ihrer kommunikativen Potenz, widerspricht.Das mit der Arbeitsteilung kann man nochmal überdenken. Ich meine zu verstehen, was Bahro hier anspricht. Man soll aber auch sagen, dass die Arbeitsteilung die vollständige Versorgung der Menschen ermöglicht hat.
Wie eine politische, gesellschaftliche Verwaltung eines Gemeinwesens aussehen könnte, hat Bahro ebenfalls beschrieben. Er orientiert sich dabei an dem Oberhaus/Unterhaus Modell. Ein Oberhaus stellt er sich so vor:
Da die Gottheit gleich der Natur ist, bedeutet dies: Es müssen in diesem Oberhaus alle Fragen und seien sie von noch so besonderem Interesse, vom Standpunkt des gesamten irdischen Naturzusammenhangs (die kosmischen Einflüsse inklusive) behandelt werden. Es gibt in dieser Institution keinerlei Vertretung menschlicher, sozialer Sonderinteressen, sie können dort nicht eigensüchtig, sondern nur reflektiert zur Sprache gebracht werden.Dieses Oberhaus wird das bisherige Parlament (etwa den Deutschen Bundestag) nicht ersetzen, sondern ihm gegenüber die rahmengebende höhere Institution sein, die dem sozialen Interessenkampf Maß und Grenzen setzt. Es wird die Themen von Volksbefragungen festlegen und die Alternativen formulieren, über die abgestimmt werden soll.Diesen letzten Teil fand ich sehr gut, weil er auch in Richtung »Direkte Demokratie« verweist und die Bevölkerung in der Form ihrer einzelnen Individuen einbinden will (jede einzelne Stimme ist wichtig und »zählt«).
Und Rudolf Bahro spricht einen Aspekt an, der gerade unter uns Deutschen heikel zu sein scheint. Denn Veränderungen, Entscheidungen, gehen mit Verantwortung einher, und der Aufgabe, Haltungen zu vertreten, sie durchzusetzen und dafür einzustehen.
Alles Warnen vor Despotismus, all dieser Subjektivismus des »Keine Macht für niemand« setzt immer voraus, dass die Macht fremd und feindlich gegenüber und man selber potentiell subaltern ist, dass man selber keine Macht ist und keine Macht hat. Das ist aber nicht wahr. Es gibt nicht zuletzt auch deshalb besondere Machtformationen, weil wir uns selber nicht als voll verantwortliches Zoon Politikon (des Aristoteles Definition des Menschen als Politisches Tier) setzen. Warum zerfällt die Gesellschaft, sogar die Ideale eines Platon, in einen Philosophenkönig, in eine Kaste von Wächtern und in das gemeine Volk? Weil wir uns in solche Rollen auseinanderfallen lassen und nicht wirklich beanspruchen, auch »Wächter«, auch »König« zu sein.Die Mentalität der westlichen Linken, die aus Prinzip in einem negativen Bezug zu Autorität verharrt, in einem pubertären Neinsagen zum Vater, bis die eigenen Haare weiß geworden sind, hält jetzt der Kritik durch die Tatsachen nicht stand.So kann Macht wieder vornehmlich als kreatives Potential verstanden werden, als unsere eigene schöpferische Kraft, in der Entfaltung von Körper-Seele-Geist des Menschen erst einmal innerlich herausgearbeitet.[1]
Rudolf Bahro, Logik der Rettung, 1990