...sollte eigentlich kein Geheimnis sein.
Doch wenn man immer wieder Reiter sieht, die ihre Pferde mit einem großen Krafteinsatz - und manchmal trotzdem erfolglos - schieben, ziehen und drücken, dann scheint dieses Prinzip vielen noch nicht bewußt geworden zu sein. Deshalb möchte ich es im Folgenden "zu Papier bringen".
Was ist also das Problem? Dazu die Aussage einer Reiterin: "Mein Pferd kann das aber nicht. Wenn ich nach links abbiegen will, reagiert es einfach nicht. Es läuft dann weiter auf die Wiese. Da kann ich am Zügel ziehen, wie ich will!"
Oder die Aussage einer Pferdebesitzerin über ein schweres Kaltblut: "Wenn er nicht will, dann will er nicht. Ich kann mich mit aller Kraft gegen sein Hinterteil stemmen, er rührt sich keinen Zentimeter."
Machen Sie doch bitte einmal folgendes Experiment: Suchen Sie sich einen Helfer. Egal wen. Sie möchten, daß er sich dreht. Das sagen Sie ihm aber nicht. Stattdessen drücken Sie seine rechte Schulter nach hinten. - Dreht er sich? Hat er Sie überhaupt verstanden? - Nein, hat er wohl nicht. Die Schulter kommt wieder nach vorn, und der Helfer schaut Sie verständnislos an, nicht wahr? Er wäre sicherlich gern Ihrem Wunsch nachgekommen, wenn er Sie verstanden hätte.
Jetzt versuchen Sie Folgendes: Fassen Sie nun mit beiden Händen zu: Drücken Sie wieder seine rechte Schulter nach hinten und ziehen Sie seine linke Schulter nach vorn. Dabei können Sie sehr viel weniger Kraft einsetzen als beim vorigen Versuch. Dreht der Helfer sich jetzt, so wie Sie das wünschen? - Ja, und ob!
Der Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Versuch ist - DER ZWEITE PUNKT! Im zweiten Versuch konnten Sie dem Helfer viel deutlicher und klarer mitteilen, was Sie von ihm wollten. Er verstand Sie sofort. Dabei reichte das Auflegen der Finger. Stärkeren Druck mußten Sie sicher nicht ausüben.
Üben Sie an nur einem Punkt Druck oder Zug aus, weiß das Pferd oft nicht, was Sie von ihm wollen. Es wird von sich aus vielleicht einige Dinge ausprobieren, oder es reagiert gar nicht. Bieten Sie ihm aber einen zweiten Punkt an, der meist einen Gegenpol darstellt, fällt es dem Pferd viel leichter, Ihren Wunsch herauszufinden und zu erfüllen.
Der Zweite Punkt oder der Gegenpol
Es ist leichter, ein Pferd über zwei Punkte zu bewegen als nur über einen. Beide Punkte stellen dabei Pol und Gegenpol dar, da sie in entgegengesetzte Richtungen wirken.
Das Prinzip des Zweiten Punktes gilt immer: beim Umgang mit dem Pferd, bei der Bodenarbeit und beim Reiten.
Wie sieht das in der Praxis aus? - Kommen wir auf das Beispiel der oben erwähnten Kaltblut-Besitzerin zurück. Die junge Dame versuchte, das Hinterteil ihres Pferdes zur Seite zu drücken. Ein bißchen funktionierte das auch, als sie den Druck aber nachließ, kam die Kruppe wieder zurück, und das Pferd schaute verständnislos. Komisch, nicht? Genau wie im Experiment mit dem Helfer. Als ich den Anbindestrick leicht annahm, und damit einen Gegenpol, den Zweiten Punkt schuf, reichte der Druck meines auf die Kruppe zeigenden(!) Zeigefingers aus, um das Pferd zu bewegen. Es hatte sofort verstanden, was ich von ihm wollte!
Als ich die Reiterin aus dem ersten Beispiel bat, gleichzeitig zum Zug am Zügel auch Druck mit dem gleichseitigen Bein im selben Rhythmus zu machen, ging das Abbiegen plötzlich viel leichter. Das Pferd verstand jetzt, was die Reiterin von ihm wünschte.