"Die Pferde sind noch auf der Koppel. Nehmt euch alle einen Führstrick. Jeder holt sein Pferd!", werden wir von der Reitlehrerin begrüßt.

Zusammen gehen wir also zur Koppel, um die Pferde zu holen. Das Mädchen neben mir freut sich schon auf sein Pferd. Lächelnd schaut sie ihr Pferd an und geht geradewegs zu ihm. Das Pferd wendet ihr sein Hinterteil zu und entfernt sich. Das Lächeln des Mädchens friert ein wenig ein. Aber sie gibt nicht auf und folgt ihrem Pferd. "Nicki komm, na komm!", ruft sie. Das Pferd beschleunigt seinen Schritt. Das Mädchen ebenso. Das Pferd fällt in den Trab, das Mädchen versucht ihm den Weg abzuschneiden. Von ihrem Lächeln ist keine Spur mehr zu erkennen. Streng sieht sie dem Pferd in die Augen. Dieses schlägt einen Haken und galoppiert dabei an.

Hier trennen sich mein Weg und der des Mädchens, denn ich will zu meinem Pferd. "Cilly!" rufe ich leise, um auf mich aufmerksam zu machen. Ich laufe in einem Bogen auf sie zu, um mich seitlich annähern zu können. Dabei vermeide ich direkten Augenkontakt zu ihr, denn unter Pferden heißt das: "Geh weg!". Aber ich möchte sie ja holen und nicht wegschicken. Als ich nur noch einige Meter von Cilly entfernt bin, drehe ich mich so, dass sie mich eher von der Seite sieht. Ich bemühe mich um die gleiche Blickrichtung wie sie. Das letzte Stück des Weges kommt sie auf mich zu. Zur Begrüßung halte ich ihr meine Handoberseite hin, an der sie schnuppert. Mit der linken Hand greife ich ins Halfter, mit der rechten streichle ich sie an der Stirn. Erst jetzt hake ich den Führstrick in ihr Halfter ein und gehe auf ihre linke Seite.

Warum hatte ich mit meinem Pferd mehr Glück als das Mädchen? Ich habe bei der Annäherung an mein Pferd ein paar Kleinigkeiten beachtet, die unter Pferden eine Rolle spielen. Deshalb hatte ich es leichter. Wenn Pferde ihre Rangordnung klären müssen, stehen sie sich frontal gegenüber. Befreundete Pferde oder Pferde mit freundlichen Absichten nähern sich einander eher von der Seite. Schickt eine Leitstute ein anderes Pferd zur Disziplinierung zeitweise von der Herde fort, tut sie dies frontal und mit direktem Blickkontakt. Auch Raubtiere fixieren ihre Beute vor dem Angriff mit den Augen. Wenn sich zwei Pferde treffen, beschnuppern sie sich zunächst.