Mein erstes Pflegepferd! Guy, ein Tinker, ein leichtes Kaltblut. Eigentlich wollte ich nie eine Reitbeteiligung. Ich wollte flexibel bleiben, mich nicht abhängig machen. Schließlich habe ich Ikarus in Thüringen und meine Eltern im Harz (Ich weiß, daß man zuerst seine Eltern und dann erst das Pferd erwähnt!), so daß ich regelmäßig unterwegs bin. Und nun das!
Wie es dazu kam? Das will ich Ihnen sagen, damit Ihnen soetwas nicht passiert...
Seit einem Jahr fuhr ich einmal die Woche in einen 35 km entfernten Ort, um dort einen alten Schimmel, Amadeus zu reiten. Er gehörte einem Paar in meinem Alter, das ich durch einen Zufall kennen gelernt hatte. Mit dem Schimmel war ich immer im Wald unterwegs, aus Rücksicht auf sein Alter immer im Schritt und manchmal im Trab. Sie hatten Amadeus als Beistellpferd für ihr Westernpferd angeschafft.
Eines Abends saßen wir bei einem Bier noch zusammen und philosophierten über Pferde. Wir redeten auch über Amadeus, denn uns war klar, daß wir aufgrund seines hohen Alters nicht mehr ewig Freude an ihm haben würden. Meine Bekannten hatten für die Zeit nach Amadeus einen Tinker ins Auge gefaßt, der einem befreundeten Bauern in der Nähe gehörte. Allerdings war uns zu Ohren gekommen, daß dieser seine Pferde vielleicht abschaffen wollte. Was also tun? Für drei Pferde war nicht genug Platz.
Da hatte jemand die Idee, ich könnte mich doch um eine Reitbeteiligung auf dem Tinker bemühen. Ich lehnte sofort vehement ab. "Das würde die Pferde vielleicht noch ein Weilchen auf ihrem Platz halten. Das Pferd wird fast nie geritten, es wäre wie dein eigenes!", sagte man. "Und du könntest auch mal im Galopp unterwegs sein!" Ich nahm noch einen Schluck Bier. "Naja, aber die Verantwortung möchte ich nicht!", sagte ich. Dabei sah ich das kräftige Pferd vor mir, das mich sicher mit weniger Mühe tragen könnte als Amadeus. "Du hättest doch viel mehr davon, als von deinen Reitstunden, die du seit acht Jahren nimmst! Es wird Zeit, daß du selbständig wirst!" - Ich nahm noch einen Schluck Bier, und das Bild vom Pflegepferd nahm Gestalt an. "Hm, ich weiß nicht. Naja, vielleicht..." - Und nach dem nächsten Schluck Bier hörte ich mich sagen: "Wahrscheinlich habt Ihr Recht. Ich mach's!"
Der Bauer war einverstanden.
Anfangs hatte ich noch keinen Sattel. Den hatte die Tochter des Bauern im Auto. So besuchte ich Guy die ersten Male auf der Koppel, machte mit ihm Führtraining, Bodenübungen am Seil und wir gingen im Wald spazieren.
Eines Tages brachte mir der Bauer eine Trense und einen Sattel. Die Trense konnte ich passend machen. Der Sattel paßte gar nicht. Also entschied ich mich, ohne Sattel auszureiten. Zuerst ritten wir zu meinem Bekannten, denn er wollte mit seinem Westernpferd mitkommen. Da hatte ich uns ein wenig zu viel zugemutet. Das fremde Pferd regte Guy auf. Einige Male während des Ausritts war ich hoffnungslos überfordert, denn ohne Sattel hatte ich zu wenig Einwirkung auf mein Pferd. Er trabte immer wieder von allein an und wollte nicht anhalten. Ich fühlte mich streckenweise hilflos.
Wie war ich da froh, als ich beim nächsten mal Guys Sattel und Trense vorfand. Nun konnte es richtig losgehen! Auch diesmal kam mein Bekannter auf seinem Westernpferd mit. Auch diesmal war Guy dadurch aufgeregt. Auch diesmal trabte oder galoppierte er immer wieder ohne Aufforderung an. Und auch diesmal wollte er nicht anhalten. Er wußte offenbar nicht, daß es zwischen Schritt und Galopp noch eine weitere Gangart gab. Und er war es wohl nicht gewohnt, daß der Reiter gern die gemeinsame Richtung und Geschwindigkeit vorgeben wollte. "Tja, du siehst es ja: Er kann gar nichts. Da hast du ein ordentliches Stück Arbeit vor dir. Aber ich helfe dir. Das schaffst du. Nun kannst du dich in Pferdeausbildung üben.", sagte mein Bekannter. "Ich und Pferdeausbildung?" - "Das ist nichts anderes, als was du bisher mit deinen Schulpferden gemacht hast. Nur hier hast du mehr Möglichkeiten, weil dir keiner was vorschreibt."
Er gab mir gute Hinweise: Um Guy anzuhalten, stellte ich ihn zunächst quer. Es war dann leichter, ihn zum Stehen zu bringen. Später half mir mein Bekannter einmal vom Boden aus, während ich auf Guy saß. Mit ganzer Parade meinerseits Führstrickeinsatz vom Boden aus konnten wir ihm verständlich machen, worum es ging. Nach einer viertel Stunde konnte ich ihn ohne Hilfe vom Boden aus mit Parade und Stimme zum Halten bringen. Auf den folgenden Ausritten übten wir das immer wieder einmal im Wald. Vier Ausritte später hielten wir das erste Mal ohne Stimmeinsatz an! Es ging ganz leicht. Nicht, daß es von da an immer so ging. Das nicht. Aber es war ein erstes großes Erfolgserlebnis, das wir beide zusammen hatten.
"Sobald er antrabt, lenkst du ihn sofort auf eine Volte und sagst gleichzeitig laut 'Nein!'!". Statt "Nein!" rutschte mir ein "Ups!" heraus. Dabei blieb ich. Am ersten Tag brauchte ich fünf oder sechs Volten, bis wir endlich im Schritt nach Hause gingen. Einige Ausritte später brauchten wir zum ersten Mal gar keine mehr. Es genügte ein "Ups!" und er ging wieder im Schritt. Danach mußte ich ihn hin und wieder noch einmal mit einer Volte daran erinnern, daß er nicht von selbst antraben soll. Aber von Mal zu Mal wurden wir besser.
Beim Reiten wollte er auch schon mal nach zehn Minuten Feierabend machen und umdrehen. Auch in dieser Situation mußte ich ihn daran erinnern, daß ich gern der Chef sein würde. Denn der Chef bestimmt Richtung und Geschwindigkeit. Und genau das hatte ich vor. - Das Zauberwort heißt "Reaktionsgeschwindigkeit": Ich mußte sehr schnell reagieren, um seine Wendung nach Hause schon im Ansatz zu verhindern. Ich hielt sofort mit dem Zügel dagegen und drückte ihn mit dem Bein und dem Knie der anderen Seite zurück. Wichtig war dabei: Ich mußte es schaffen ihn zu biegen. Hatte ich das geschafft, gab er seinen Widerstand sofort auf, und wir konnten weitergehen. Dann gab ich den Druck zeitgleich nach und lobte ihn. Nachdem wir das dreimal durch hatten, verlief der Ausritt bestens. - Ich durfte ab jetzt Chef sein! - Ach ja: Volten haben wir dann auch nicht mehr gebraucht, um versehentliches Antraben zu verhindern!
Also Sie sehen: wir beide wurden von Mal zu Mal besser. Obwohl ich lernen mußte, mich auch mal durchzusetzen; natürlich ohne Gewalt. Das sind seine Hausaufgaben, die er mir aufgegeben hat...