Von Bernhard Hampp
Schnapp, da war das Christkind weg – Maria und Josef hatte der Hund gleich mit verschluckt. Skilegende Markus Wasmeier erzählt gerne die Geschichte aus seiner Kindheit: Wie sein Papa ein halbes Jahr lang mit großem Eifer Krippenfiguren geschnitzt und sich beim kunstvollen Jesuskind besonders viel Mühe gegeben hatte. Und wie der Hund dann am Heiligabend mit einem Schnapp die monatelange Arbeit des Vaters zerstörte.
Weihnachtskrippen sind Kindheitserinnerungen. In der heimeligen Wohnzimmerecke oder dem geschmückten Winkel in der Kirche ziehen sie verträumte Blicke auf sich. Friedliche Landschaften mit geschnitzten oder modellierten Figuren. Staffagen aus Holz, Pappmaché, Papier oder Glas. Tiere, Hirten und Engel. Kleine Brunnen, versteckte mechanische Spielereien, halbdunkle Beleuchtungen. Unzählige Details, die Kinder in Weihnachtsfreude staunen lassen.
Vor den ersten Krippen überhaupt staunten auch Erwachsene: Der Heilige Franz von Assisi soll 1223 im italienischen Grecchio zur Weihnachtsmesse mit lebenden Menschen und Tieren die Geschichte der Geburt Christi im Stall von Betlehem nachgespielt haben. Bald ahmten andere die figürlichen Weihnachtsdarstellungen nach. Mönche, allen voran die Jesuiten, brachten die Tradition von Italien in viele Ecken Europas.
Zum Beispiel ins mittelschwäbische Mindelheim, wo 1618 in der Jesuitenkirche eine Krippe mit metergroßen bekleideten Figuren aufgestellt wurde. Diese Krippe, in der heute noch 80 Figuren erhalten sind, wurde Vorbild für viele andere in Süddeutschland. Sie enthielt eine Figur, die fortan keiner schwäbischen Krippe fehlen durfte: die Königin von Saba. Denn der Besuch dieser biblischen Gestalt bei König Salomo galt als alttestamentliches Vorbild für die Anbetung der Weisen aus dem Morgenland: „Sie kam vom Ende der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören“ (Mt 12, 42).
Krippen erzählten biblische Geschichten in einer Zeit, da fast niemand das Lesen beherrschte. So beschränkten sich barocke Krippendarstellungen nicht auf die Geburt Jesu, sondern stellten etwa die Verkündigung durch den Erzengel Gabriel, Herbergssuche, Kindermord und Flucht nach Ägypten, Hochzeit zu Kana, Einzug Christi in Jerusalem, Kreuzigung oder Auferstehung dar.
In Mittelmeerländern ist diese Tradition noch heute lebendig. Nach Spanien soll die erste Krippe im 16. Jahrhundert angekommen sein. Die Legende erzählt von einem Schiff, das nachts nachts in einen schweren Sturm geriet. Der Kapitän sah die Hoffnung schwinden und betete. Dort, wo er zuerst Land erblicken würde, gelobte er, würde er einen Teil seiner kostbaren Ladung stiften. Das Schiff hatte sieben Figurengruppen geladen, die Szenen aus der Bibel darstellten.
Tatsächlich sah einer seiner Matrosen Licht: In der Bucht von Palma de Mallorca brannte in einer Klosterkapelle eine Laterne. Das Schiff legte an, und der Kapitän ließ den Küster des Klosters getreu seinem Gelübde aus den Figurengruppen auswählen. Jener entschied sich für die schönste Szene: eine Krippendarstellung aus der Werkstatt
des Neapolitaners Pietro Alamanno. Dieses Schmuckstück wollte der Kapitän nun doch nicht hergeben. Doch das Gelübde band ihn: Trotz des starken Windes rührte sich sein Schiff nicht vom Fleck. So ließ er die Krippe schließlich auf Mallorca. Von dort aus eroberte der Krippenbrauch ganz Spanien, wo er heute noch der sichtbarste Teil der Weihnachtstradition und weit präsenter ist als Weihnachtsbaum oder Adventskranz.
Hauptfiguren in spanischen Krippen sind Kaspar, Melchior und Balthasar, die drei Weisen aus dem Morgenland. Traditionell werden die Könige jeden Tag ein Stück näher zur Krippe gerückt, bis sie schließlich am 6. Januar mit ihren Gaben vor dem Christuskind stehen. Nicht fehlen darf auch der Doctor de Ley, der jüdische Tempelvorsteher, der die Beschneidung des jungen Jesus vornehmen wird.
Juan Giner, leitet in der Hafenstadt Alicante Spaniens ältesten Krippenbauverein, der 21 Mitglieder hat: „Wir beginnen jedes Jahr bereits im Februar damit, Sperrholz zu sägen, Styropor mit Gips auszukleiden, Bäume aus Papier zu basteln und Figuren zu bemalen“, beschreibt Giner die Arbeit seiner Bastelgruppe. Sie empfindet in den Krippen nicht nur biblische Szenen nach, sondern, einer Tradition aus Neapel folgend, auch Alltagsszenerien. So sind Windmühlen und Schlachterein zu sehen, Fischerboote und Schmieden, Schuhmacher und Ziegenherden.
Ganz volkstümlich geht es in Katalonien zu, wo in einem stillen Winkel jeder Krippe einer der Hirten, der so genannte Caganer, sein Geschäft verrichtet. In Spanien sind Krippen nicht auf private Wohnzimmer beschränkt: Rathäuser, Schulen, Universitäten, Hotels, Banken, Kaufhäuser, ja sogar Autohäuser schmücken sich mit zum Teil meterlangen Krippenlandschaften.
Doch auch in Deutschland gerät die Krippentradition keineswegs in Vergessenheit, sondern erlebt zwischen Modellbaugeist, Kinderspiel, Traditionspflege und echtem religiösem Empfinden eine Renaissance. Krippenmuseen gibt es etwa in München, dem münsterländischen Telgte oder in Mindelheim – der Stadt, die mit dem Prädikat „Krippenstadt“ wirbt. Dort hat sich auch der Brauch des „Krippenlaufens“ erhalten, bei dem private Krippen für Freunde und Fremde bis hin zu Busgruppen geöffnet sind.
Christian Schedler vom Schwäbischen Krippenmuseum in Mindelheim weiß, dass Krippen auch heute noch die frohe Botschaft verkünden: „ Es ist die Faszination der kleinen Kunstwerke, der Welt im Kleinen, die nicht nur zum Spielen da ist, sondern die auch noch eine tiefe und frohe Botschaft hat. Viele Besucher sind von der Kostbarkeit der Figuren, Materialien und der pittoresken Inszenierungen begeistert, doch auch die religiös wenig Versierten können sich kaum der tiefen Frömmigkeit der Krippenszenarien entziehen.“
Erschienen in "Entscheidung", 6/2008