Archäologen machen nach Gold- und Bernsteinfunden noch eine spektakuläre Entdeckung
Troja im Ampertal
Die Bernstorfer Bastion hat überwältigende Ausmaße und rätselhafte Beziehungen zu Mykene
Von Bernhard Hampp
Ingolstadt - Panik greift um sich. Die Großstadt steht in Flammen. Wer noch fliehen kann, lässt die Schalen mit Essen liegen, vergräbt eilig seine Habseligkeiten und rettet sich. Innerhalb von Stunden ist eine der größten Städte Mitteleuropas für immer zerstört. Sie bestand nicht länger als fünfzig Jahre und lag auf einem kleinen Hügel am Ufer der Amper, nicht weit vom heutigen Freising. "Es geht die Sage von einer alten Stadt zwischen Bernstorf, Kranzberg und Tünzhausen", schrieb der Heimatforscher Josef Wenzel 32660 Jahre später, im Jahr 1904. Tatsächlich entdeckte er bei Bernstorf Reste antiker Wallanlagen, die jedoch bald wieder in Vergessenheit gerieten. Bis der Münchner Arzt und Hobbyarchäologe Manfred Moosauer 1994 auf der Suche nach den Spuren früher Eisenverhüttung in einer Kiesgrube auf seltsame Mauerkonstruktionen stieß.
Zweifellos die Überreste einer bronzezeitlichen Festung, befand das Landesamt für Denkmalpflege, das die Grabungen von nun an begleitete. Im Sommer 1998 kam der Paukenschlag: Moosauer fand Gold. Mehrere Schmuckanhänger, ein Diadem und die älteste Krone Mitteleuropas, alles aus nahezu reinem Gold. Experten wurden stutzig: Die Ornamente auf den Bernstorfer Funden sind fast identisch mit den Verzierungen auf Krone und Diadem, die Heinrich Schliemann einst im griechischen Mykene ausgrub. Eine Verbindung der Festung im Ampertal mit Mykene erschien vielen Fachleuten abwegig. Hatte Moosauer geschummelt ? Der Kiesabbau ging weiter. Ein Planierraupenfahrer erinnert sich an Brustpanzer und Helme die plötzlich in der Kiesgrube aufgetaucht und ebenso schnell wieder verschwunden sein sollen. Als kein Zweifel mehr an der Echtheit der Funde bestand, begann das Landesdenkmalamt im Herbst 1999 einen Teil des Geländes wissenschaftlich zu untersuchen. Darin finden sich Reste des fast zwei Kilometer langen Umfriedungswalles, der aus einer lehmverputzten Eichenholzkonstruktion bestand.
Der gewaltige Brand, bei dem sich Temperaturen bis zu 1300 Grad entwickelten, erweist sich für die Archäologen als Glücksfall: Bedingungen wie in einem Meiler führten dazu, dass ein Teil der bronzezeitlichen Holzkonstruktion als Kohle erhalten blieb und jetzt von den Forschern ausgegraben werden konnte. Anhand der Baumringe konnten sie das Alter der Befestigung ermitteln.
Spaktakulär sind die Ausmaße der Festung. Mit 15 Hektar wäre sie so groß wie Schliemanns Troja VI. Unter Archäologen eine Sensation: "Bisher sind wir davon ausgegangen, dass es in der Bronzezeit hierzulande nur Gehöfte mit drei bis sechs Häusern gab", sagt Karl Heinz Rieder vom Referat Archäologische Plangrabungen beim Landesdenkmalamt. Festungen dieser Größe traten in Mitteleuropa erst zweihundert Jahre später auf. Außerdem nahm man bisher an, dass in der Bronzezeit noch keine Anführer mit nennenswerter Gefolgschaft existierten. Die Bernstorfer Bastion, bei der allein für die Umwallung 40 000 Baumstämme gefällt werden mussten, kann aber nur unter dem Kommando eines mächtigen Herrschers entstanden sein. Sie könnte eine reine Fluchtburg gewesen sein, aber auch eine dauerhaft bewohnte Siedlung, worauf vereinzelt gefundene Haustierknochen, Mahlsteine und Keramikfragmente hinweisen. Der Teil des Hügels, auf dem vermutlich Häuser standen, ist den Kiesbaggern zum Opfer gefallen. Doch auf dem kleinen Grabungsareal reißen die spektakulären Funde nicht ab.
Im November kamen zwei Bernsteinplatten mit drei Zentimeter Durchmesser zum Vorschein. Einer Platte ist das Bildnis eines bärtigen Mannes eingraviert. Es hat verblüffende Ähnlichkeit mit der in Mykene gefundenen "Maske des Agamemnon". Einziger Unterschied: Agamemnon blickt ernst, während sein Bernstorfer Pendant zu lächeln scheint. Auf der Rückseite des Steines befinden sich Symbole, die als Flamme, Rad und Axt gedeutet werden. Noch aussagekräftiger ist der zweite Bernstein, der eine Inschrift in "Linear B", einer Vorläuferschrift altgriechischer Schriftzeichen, trägt. Über die Bedeutung der Buchstaben "pa-nwa-ti" rätseln die Experten noch. Eine Fälschung schließen sie aus.
Was ist das Bindeglied zwischen Bernstorf und Mykene? Historiker sprechen von einer Fernhandelsroute, auf der Bernstein von der Ostsee bis zum Mittelmeer befördert wurde. "Vielleicht war der Herrscher von Bernstorf so mächtig, weil er diesen Handelsweg kontrolliert hat", sagt Rieder. Den Brand könnten dann feindliche Truppen oder räuberische Horden gelegt haben. Der Goldschatz entging ihnen: Er lag in einem Versteck, das erst mehr als 3000 Jahre später entdeckt werden sollte.
Erschienen in Süddeutsche Zeitung Nr. 178, Samstag/Sonntag, 4./5. August 2001