Der unsichtbare Harry fährt den Wagen vor
AUTONOMES FAHREN
Mercedes-Benz und Bosch erproben in Stuttgart gemeinsam das „Automated Valet Parking“. Unser Redakteur hat das
Parkhaus der Zukunft getestet und ist im selbstparkenden Auto mitgefahren.
Von Bernhard Hampp
Parkhäuser sind mir ein Graus. Dabei fahre ich gerne Auto. Aber unmögliche Kurven, willkürlich verteilte Betonsäulen, enge Parkbuchten, verwirrende Beschilderungen – wo ist nur die Ausfahrt? –, eine Ticketausgabe, die per Arm nicht zu erreichen ist und dann noch orientierungslose Mit-Verkehrsteilnehmer? Da hört der Spaß auf.
Trotzdem, oder gerade deswegen, habe ich mich entschieden, das Parkhaus der Zukunft zu testen. Es steht in Stuttgart beim Mercedes-Benz-Museum. Das Versprechen: Alles, was mich an Parkhäusern nervt, fällt hier weg.
Äußerlich gleicht es einem x-beliebigen Großstadtparkhaus. Anders ist nur das Warnschild an der Einfahrt: „Hier fahren automatisierte Fahrzeuge.“ In tükisfarbenen Buchstaben darunter: „Automated vehicles in operation.“ Ich teile mir dieses Parkhaus also mit chauffierenden Automaten –Geisterfahrern sozusagen. Der lange Arm zur Ticketausgabe bleibt mir aber erstmal nicht erspart.
Nachdem ich mein eigenes Auto heil zwischen zwei Betonsälen manövriert habe, begrüßt mich ein ganzes Team: Mitarbeiter von Mercedes-Benz und Bosch, die hier gemeinsam das weltweit erste zugelassene autonome Parkhaus betreiben. Die Nutzer, so ist es gedacht, verlassen ihr Auto, lassen es fahrerlos durch das Parkhaus kurven, einparken –und auf Anforderung wieder ausparken und zurückkommen.
„Harry, fahr den Wagen vor“, raunte früher TV-Kommissar Derrick seinem Assistenten zu. Der Mensch von heute erledigt das per Handy-App. Vorerst funktioniert das System freilich nur mit vier Parkplätzen und zwei besonders ausgestatteten Fahrzeugen, natürlich von Mercedes-Benz. In Zukunft, so wünschen sich die Entwickler, soll „Automated Valet Parking“ eine Selbstverständlichkeit werden. Fahrzeuge sollen mit entsprechenden Schnittstellen, vor allem aber Parkhäuser mit besonderer Technik aus- oder nachgerüstet werden. Denn, wie Carsten Hämmerling, Entwicklungsingenieur bei Mercedes-Benz, erklärt: Das Gros der Technik steckt hier nicht im Fahrzeug, sondern im Parkhaus.
In drei bis vier Metern Abstand stehen schwarze Poller über das ganze Parkhaus verteilt. Ich erfahre: Darin stecken Lidar-Sensoren, die die Umgebung ähnlich einem Radar, jedoch mit Laserstrahlen, abtasten. Sie erfassen jede Bewegung des fahrenden Autos, aber auch alles, was sich sonst noch im Parkhaus befindet: egal, ob beweglich oder nicht. Zusätzlich montierte Kameras dienen nur zur Videoüberwachung – um im Fall der Fälle etwa Haftungsfragen zu klären. Für den Normalbetrieb sind sie nicht nötig.
Hämmerling demonstriert die App. Einmal mit dem Finger nach rechts gewischt und – um die Ecke fährt eine stattliche AMG-E-Klasse Limousine. Wobei „fährt“ etwas übertrieben ist. Sie tastet sich voran. Mit maximal Tempo 5, meistens eher Tempo 4. Spannender aber ist, was ich nicht sehe. Da sitzt kein Fahrer am Steuer. Zumindest kein sichtbarer. Dafür blinkt ein türkisfarbenes Licht – das ist das mittlerweile international übliche Erkennungszeichen für autonomes Fahren. Der Auspuff weist nach oben, fast wie bei einer Dampflokomotive.
Bosch-Projektleiterin Dr. Sabine Sayler erklärt, wie das funktioniert: Eine Schnittstelle im Auto empfängt über WLAN Daten, die von einem Computer – im Parkhaus sind fünf Server installiert – aus den Informationen der Lidar- Sensoren berechnet wurden.
Plötzlich bleibt das Auto komplett stehen. Sabine Sayler schaut mich an. „Sie stehen vor dem Sensor!“ Ich habe dem System die Sicht genommen. Was überdeutlich wird: Sicherheit geht hier vor. Die Hürden, die das Regierungspräsidium Stuttgart für seine Betriebszulassung des „Automated Valet Parking“ per Ausnahmegenehmigung gelegt hat, waren hoch.
Der Wagen rollt eine Rampe hinauf. An der unübersichtlichsten Stelle legt Sabine Sayler eine Babypuppe auf den Boden. Das Auto macht sofort Halt – ein Sensor im Fahrzeug hätte die Puppe vielleicht nicht erkannt. Das vollüberwachte Parkhaus kann es. Deshalb werden auch die Abgase nach oben geleitet, damit die empfindlichen Sensoren diese nicht als Hindernisse erkennen.
Warum hält das Auto jetzt wieder an? Erst bei näherem Hinsehen wird klar: Da hat jemand ein Trinkglas auf dem Boden platziert. Der Wagen stoppt in sicherer Entfernung und blockiert auch keine Kreuzung.
Carsten Hämmerling bezeichnet das „Automated Valet Parking“ als das erste Level-IV-System weltweit. Auf der Rangliste des Autonomen Fahrens heiß das: Kein Sicherheitsfahrer ist nötig, kein Mensch, der das Fahrzeug überwacht oder auch nur ein Auge darauf haben muss – auch nicht im sogenannten Mischverkehr, also in Gegenwart fahrerbetriebener Autos. „Das System hat die Verantwortung und ruft Sie nicht um Hilfe“, sagt Hämmerling. Das unterscheidet das Stuttgarter Projekt von den autonomen Systemen anderer Hersteller, die selbstfahrende Autos anbieten.
Nun darf ich zusteigen. Im Parkhaus steckt das Team die Köpfe zusammen und verfolgt meine Fahrt auf einer Entwickler-App. Aber erst einmal anschnallen. Das ist auch nötig, wie ich bald feststelle: Der unsichtbare Fahrer tritt mit Wucht auf die Bremse. Man muss ihm zugute halten, dass er normalerweise keine Insassen befördert, sondern leere Autos. Mit schlafwandlerischer Sicherheit bewegt sich der Wagen voran.
Einmal, so erzählt Hänmerling, ist das Auto minutenlang einem kleinen Vogel gefolgt –immer schön mit Abstand. Der unsichtbare Harry geht auf Nummer sicher, klar. Ob er sich damit später einmal im Stoßverkehr viele Freunde macht? Andererseits manövriert er das Auto ohne Murren in die hinterste Ecke, blinkt vorbildlich, parkt sicher rückwärts ein.
Erledigt. Ich löse den Gurt und öffne die Türe. Das hätte ich nicht tun sollen. Ohrenbetäubend meldet sich die Alarmanlage. Ein Ingenieur eilt herbei. Natürlich, ich hätte warten müssen, bis ich vom Team ein Zeichen bekomme. Denn eigentlich gibt es mich als Mitfahrer gar nicht. Ich bin genauso unsichtbar wie Harry, der fahrende Assistent.
Vieles ist noch zu tun. Doch das Team arbeitet mit Hochdruck daran, das System in Serie gehen zu lassen. „Wir reden hier nicht von fünf Jahren, sondern von viel, viel früher“, sagt Bernhard Weidemann, Pressesprecher Autonomes Fahren & Künstliche Intelligenz bei Mercedes-Benz.
Wer mehr über das autonome Parkhaus beim Mercedes-Benz-Museum Stuttgart wissen möchte, kann es sich demonstrieren lassen. Jeden Dienstag und Donnerstag von 10 bis 16 Uhr sind Bosch-Mitarbeiter vor Ort und führen es gerne vor. Aber auch im Rahmen von sogenannten Future-Führungen durch das Mercedes-Benz-Museum wird das Parkhaus präsentiert.
Hinweis: Wegen der Coronakrise ist auch das Mercedes-Benz-Museum derzeit bis auf Weiteres geschlossen. Aktuelle Informationen unter www.mercedes-benz.com/Museum
Erschienen in Wirtschaft Regional, 20. März 2020
---
AUTONOMOUS DRIVING
Mercedes-Benz and Bosch are jointly testing “Automated Valet Parking” in Stuttgart. Our editor has tested the
parking garage of the future and took a ride in the self-parking car.
By Bernhard Hampp, March 2020
Parking garages are a horror for me. But I like driving. But impossible bends, randomly distributed concrete pillars, narrow parking bays, confusing signage - where is the exit? -, a ticket office that can't be reached by arm and then disoriented fellow road users? That's where the fun ends.
Despite this, or perhaps because of it, I decided to test the parking garage of the future. It is located in Stuttgart near the Mercedes-Benz Museum. The promise: Everything that annoys me about parking garages is eliminated here.
On the outside, it looks like any other large city parking garage. The only difference is the warning sign at the entrance: “Automated vehicles drive here.” In turquoise letters underneath: “Automated vehicles in operation.” So I share this parking garage with chauffeur-driven machines - ghost drivers, so to speak. However, I am not spared the long arm to the ticket office for the time being.
After I have maneuvered my own car safely between two concrete halls, I am greeted by a whole team: employees from Mercedes-Benz and Bosch, who are jointly operating the world's first approved autonomous parking garage here. The idea is for users to leave their car, let it drive itself through the parking garage, park - and back out again on request.
“Harry, drive the car forward,” TV detective Derrick used to whisper to his assistant. Today's people do this using a cell phone app. For the time being, the system only works with four parking spaces and two specially equipped vehicles, naturally from Mercedes-Benz. In the future, the developers hope that “Automated Valet Parking” will become a matter of course. Vehicles are to be equipped with appropriate interfaces, but above all parking garages are to be equipped or retrofitted with special technology. Because, as Carsten Hämmerling, development engineer at Mercedes-Benz, explains: “The majority of the technology here is not in the vehicle, but in the parking garage.
There are black bollards three to four meters apart throughout the parking lot. I learn that they contain lidar sensors that scan the surroundings in a similar way to radar, but with laser beams. They detect every movement of the moving car, but also everything else in the parking garage, whether moving or not. Additional cameras are only used for video surveillance - to clarify liability issues if the worst comes to the worst. They are not necessary for normal operation.
Hämmerling demonstrates the app. Swipe your finger to the right and a stately AMG E-Class saloon drives around the corner. Although “drives” is a bit of an exaggeration. It feels its way forward. At a maximum speed of 5 km/h, usually more like 4 km/h. But what I don't see is more exciting. There is no driver at the wheel. At least not a visible one. Instead, a turquoise light is flashing - this is now the standard international symbol for autonomous driving. The exhaust is pointing upwards, almost like a steam locomotive.
Bosch project manager Dr. Sabine Sayler explains how it works: An interface in the car receives data via WLAN that has been calculated by a computer - five servers are installed in the parking garage - from the information provided by the lidar sensors.
Suddenly the car comes to a complete stop. Sabine Sayler looks at me. “You're in front of the sensor!” I have blocked the system's view. Which becomes abundantly clear: Safety comes first here. The hurdles that the Stuttgart Regional Council set for the operating permit for “Automated Valet Parking” were high.
The car rolls up a ramp. At the most confusing point, Sabine Sayler places a baby doll on the ground. The car stops immediately - a sensor in the vehicle might not have recognized the doll. The fully monitored parking garage can. That is why the exhaust fumes are directed upwards so that the sensitive sensors do not recognize them as obstacles.
Why is the car stopping again now? Only on closer inspection does it become clear: someone has placed a drinking glass on the floor. The car stops at a safe distance and is not blocking a junction.
Carsten Hämmerling describes “Automated Valet Parking” as the world's first Level IV system. In terms of autonomous driving, this means that no safety driver is required, no human to monitor the vehicle or even keep an eye on it - not even in so-called mixed traffic, i.e. in the presence of driver-operated cars. “The system is in charge and does not call you for help,” says Hämmerling. This distinguishes the Stuttgart project from the autonomous systems of other manufacturers who offer self-driving cars.
Now I can get in. In the parking garage, the team puts their heads together and tracks my journey on a developer app. But first, buckle up. As I soon realize, this is necessary: the invisible driver hits the brakes with force. You have to give him credit for the fact that he doesn't normally carry passengers, but empty cars. The car moves forward with somnambulistic certainty.
Once, Hänmerling recounts, the car followed a small bird for several minutes - always keeping a safe distance. The invisible Harry plays it safe, of course. Will he make a lot of friends in bumper-to-bumper traffic later on? On the other hand, he maneuvers the car into the far corner without a murmur, flashes his lights in an exemplary manner and parks safely in reverse.
Done. I undo the belt and open the door. I shouldn't have done that. The alarm system sounds deafeningly. An engineer rushes over. Of course, I should have waited until I got a signal from the team. Because I don't actually exist as a passenger. I'm just as invisible as Harry, the driving assistant.
There's still a lot to do. But the team is working flat out to get the system into series production. “We're not talking about five years, but much, much sooner,” says Bernhard Weidemann, Press Spokesman for Autonomous Driving & Artificial Intelligence at Mercedes-Benz.
Anyone who would like to know more about the autonomous parking garage at the Mercedes-Benz Museum in Stuttgart can have it demonstrated to them. Bosch associates are on site every Tuesday and Thursday from 10 a.m. to 4 p.m. and will be happy to give a demonstration. The multi-storey parking lot is also presented as part of so-called future tours of the Mercedes-Benz Museum.
Please note: Due to the coronavirus crisis, the Mercedes-Benz Museum is currently closed until further notice. Current information at www.mercedes-benz.com/Museum
Published in Wirtschaft Regional, March 20, 2020