Liebeskummer lohnt sich
Postbote Neugebauer wurde zum Extremsportler, weil ihn seine Freundin verließ
Von Bernhard Hampp
Ein bisschen ablenken wollte sich Richard Neugebauer, weil ihn die Freundin verlassen hatte. Was lag für den Ingolstädter Postboten also naher, als aufs Rad zu steigen und eben einmal 6410 Kilometer durch Russland zu strampeln - von Moskau nach Wladiwostock. Das war 1992. Damals lief ziemlich viel schief: Der im Auto mitreisende Bruder konnte nirgends Benzin auftreiben, dann wurden die beiden unter Spionageverdacht festgehalten, und schließlich gingen dem Extremradler wegen Vitaminmangels die Haare aus. Trotzdem: Neugebauer hatte Geschmack gefunden. Mittlerweile sind die spleenigen Aktionen des 50-jahrigen kaum noch zu zählen.
Im Ingolstädter Klenzepark ist er einmal 50 Stunden im Kreis geradelt. Im Vorfeld der Europawahl hetzte er auf seinem Drahtesel von Hammerfest nach Rom. Im Guinness-Buch der Rekorde ist er dreimal vertreten, zum Beispiel unter ,,D wie Dauerkegeln": ,,8222,24 Stunden mit vollem Einsatz, schließlich wollte ich ein gutes Ergebnis erreichen." Die Frage nach dem Warum entlockt dem Ingolstädter nur ein verständnisloses Schulterzucken. Schließlich ist die Zeit des Liebeskummers doch langst vorbei: ,,Ich suche eben Herausforderungen."
Neugebauer ist ein Verrückter, aber kein egozentrischer Eigenbrötler. Bei jeder seiner Aktionen springt Geld für die heraus, die es wirklich brauchen. Für Behinderte oder krebskranke Kinder, für Tiere oder Hochwassergeschädigte. Er hat viel von der Welt gesehen und mochte dazu beitragen, diese Welt friedlicher und lebenswerter zu machen. Zum Beispiel, indem er 24 Stunden Tennis gegen wechselnde Gegner spielte. Trainiert hatte er für diesen Rekord nie, denn schon nach zwei Stunden Training ging ihm die Lust aus. Dass es dennoch immer wieder klappt mit den Bestleistungen, verblüfft den Extremsportler selbst. 1999 hatte er Bayern (1275 Kilometer) in Rekordzeit von 53 Stunden abgeradelt. 72 Stunden auf dem Spinning-Fahrrad hielt er 2001 durch.
Die Rekorde gab es nicht zum Nulltarif: Über 12 000 Euro hat der Sportler im Lauf der Jahre draufgezahlt. Dafür läuft es im Privaten, denn seit einem Jahr hat Neugebauer mit einer Fitnesstrainerin die ideale Partnerin. Auch der Arzt sehe keinen Grund zur Beunruhigung. Im Gegenteil: ,,Je alter ich werde, desto fitter bin ich." Und desto unersättlicher, wie es scheint. ,,Ich mochte endlich einmal an meine Grenzen stoßen", sagt Postbote Neugebauer.
Sein neuestes Ziel steht schon fest. Im August wird er in ein Hamburger Schwimmbecken steigen, um mit Taucheranzug, Bleigurt und einem am Beckenboden befestigten Rennrad den Weltrekord im Unterwasserradeln zu brechen. Und das ist langst nicht alles.
Mit leuchtenden Augen zählt der Postbote immer neue skurrile Aktionen auf, die ihm durch den Kopf schwirren: Beispielsweise 24 Stunden Dauergolfen, am besten in Norwegen, wo die Sonne nicht untergeht. Oder per Fahrrad die weltweit zwölf Formel-1-Rennpisten nacheinander und in voller Lange abklappern. Oder: Vier Tage nonstop auf dem Spinning-Rad strampeln, und das auf dem Gipfel der Zugspitze. ,,Ich wünsche mir dabei 30 Grad Minus, denn ich mochte auf das Schicksal von Obdachlosen im Winter hinweisen."
Neugebauers größter Traum aber ist es, noch einmal Russland zu durchqueren. Diesmal im Winter. Zu Trainingszwecken durfte er seinen Heimtrainer schon beim Ingolstädter Autohersteller Audi in der Kältekammer aufstellen. Nach sechs Stunden bei 30 Grad Minus bat er die verblüfften Angestellten um eine Abkühlung, woraufhin diese die Windmaschine anwarfen. Einen Rekord jedoch halt selbst Neugebauer für unerreichbar: ,,24 Stunden am Stuck schlafen." ,,Das, sagt der Extremsportler, „würde ich niemals schaffen."
Erschienen in Süddeutsche Zeitung, 24. 4. 2002