Interview aus dem Jahr 2005
Der Friedensstifter von Alfaz del Pí
Johan Galtung ist weltweit als Vermittler in Kriegen und Konflikten tätig
Von Bernhard Hampp
Wenn Johan Galtung nicht gerade als Vermittler zwischen den Krisen herden dieser Welt hin und herfliegt, verbringt er die Zeit in seinem Haus in Alfaz del Pí. Zum Interview in ei nem Café im Ortskern erschien er in Begleitung von zwei befreundeten Psychologie-Professoren aus Japan und Norwegen.
Warum gibt es Kriege?
Weil die Fähigkeit fehlt, Konflikte zu lösen. Es ist wie bei der Medizin. Früher dachte man: Blut abzapfen, und der Patient ist geheilt. Erst die Forschung hat viele Krankheiten be siegt. Auch Konß ikte können wir mit Friedensforschung bekämpfen. Aber man muss die Fähigkeit zum Konfliktelösen mühsam erlernen.
Welche Fähigkeiten muss ein Friedensvermittler haben?
Eine Menge Wissen über Geschichte und Geopolitik, Kreativität und eine Sammlung von Beispielen, wie an dernorts auf der Welt ähnliche Konflikte gelöst worden sind.
Wo haben Sie zuletzt vermittelt?
Ich komme gerade aus Sri Lanka, wo die Zielsetzungen von zwei Gruppen - ein Einheitsstaat oder Unabhänig keit für einen Landesteil - völlig gegensätzlich sind. Meine Aufgabe ist, das Territorium dazwischen zu erforschen. Wir haben also einen Bundes staat mit zwei Kammern entwickelt.
Haben Sie beiden Parteien an einen Tisch gebracht?
Glücklicherweise nicht. Das ist der Hauptfehler der Diplomaten. Wenn sie beide zusammensitzen, wird es eine Fortsetzung des Krieges mit Worten. Da gibt es zuviel Emotio nen und zuviel Schauspielerei. Es gibt kaum Möglichkeiten, schöpfe risch zu werden.
Was gibt ihnen gegenüber den mächtigen Streithanseln dieser Welt die Gewissheit, als Mann des Friedens der Stärkere zu sein?
Die Kreativität. Ich war zum Bei spiel Vermittler zwischen Peru und Ecuador. Die beiden Länder stritten sich um ein 500 Quadratkilometer großes Grenzgebiet in den Anden. Mir gegenüber standen Dutzende Generäle, die genug Gold auf ihren Schultern hatten, um sämtliche Staatsschulden zu begleichen. In einem altertümlichen Spanisch fragten sie mich: Herr Galtung, was sollen wir tun?
Was haben sie geantwortet?
Ich schlug vor, ein bionationales Gebiet mit einem Nationalpark, also ganz ohne Grenze, einzurichten. Und genau das haben sie 1998 getan. Der Konflikt war gelöst.
Glauben sie, es wird zu einem Angriff der USA auf den Iran kommen?
Ja, denn dieser Krieg steht auf der größenwahnsinnigen Tagesordnung der USA. Punkt eins war, die Golf region zu beherrschen, mit Saddam Hussein als Vorwand. Jetzt kommen neben dem Iran auch Syrien, Nordkorea und Kuba sowie ein Regierungswechsel in China dran. Statt realistisch zu fragen, was die Zielsetzungen dieser Staaten sind, nimmt US-Außenministerin Condoleezza Rice ganz einfach an, dass sie wün schen, die USA zu zerstören und Israel zu vernichten.
Was ist denn die Zielsetzung des Iran?
Die Iraner wollen Herren im eigenen Land sein und haben genug von der Einmischung der Amerikaner, die 1951 zur Absetzung der popu lären Premierministers Mosaddeq und zur Einsetzung des Schahs geführt hat.
Gäbe es mit einer anderen US´-Regierung mehr Frieden in der Welt?
Ja, aber nicht mit John Kerry, der gesagt hat, er hätte den Irak ganz anders als Bush bombardiert. Ich habe viele Jahre in den USA gelehrt, es gibt dort genügend gute Leute. Lei der sind die aber nicht am Ruder. US-Präsident müsste jemand wie der Filmemacher Michael Moore sein, der die Arbeiterklasse verkörpert, unrasiert und schlecht gekleidet.
Aber Moore ist nur Kritiker, er hat keine Gegenvorschläge.
Ja, und Noam Chomsky auch. Der ist der begabteste Kritiker, aber er hat keine Alternativen. Bush dagegen hat zwar keine Analyse der Probleme, aber ein Programm hat er. Wir brauchen einen Politiker, der beides vereint.
Nehmen wir an, ich wäre George W. Bush. Welche Frage würden Sie mir stellen?
Herr Bush, aus welchem Grund ist El Kaida gegen Sie? Und Bush würde sagen, weil sie böse Menschen sind.
Hat er damit Recht?
Natürlich nicht. Ich habe zwar nicht mit der Nummer Eins, wohl aber der Nummer Drei der El Kaida gesprochen. Ihr Beweggrund ist: Sie verlangen, von den USA respektiert zu werden.
Gibt es eine Lösung für den Konflikt Israel-Palästina?
Die Palästinenser haben das Recht auf einen eigenen Staat. Aber eine Zwei-Staaten-Lösung ist auch nicht optimal, weil Israel ökonomisch, militärisch und politisch zu stark ist. Ich glaube an eine Sechs-Staaten Lösung . also eine Art Europäische Union im Nahen Osten.
Wie soll das funktionieren?
In Europa hat man sich nach dem Krieg gefragt, wie mit Deutschland umzugehen sei. Es war brillant zu sagen: Deutschland ist so barbarisch gewesen, dass es Mitglied der Familie werden muss. Ganz logisch war das nicht. Der Spott hatte kein Ende, viele sagten, Deutschland müsse gedemütigt und deindustrialisiert werden. Aber die EU-Gründungsväter haben das Gegenteil getan und zu Deutschland gesagt: 20 Jahre Maul halten und alle Rechnungen bezahlen. Und jetzt lieben die Deutschen die EU als eine Mutter, die das grausame Kind zu sich genommen hat.
Was hieße das für Israel?
Ein Staatenbund mit dem Libanon, Syrien, Palästina, Jordanien und Ägypten. Das könnte eine wunderbar blühende Gemeinschaft sein.
Ist Israel für so ein Bündnis nicht zu stark?
Israel ist moralisch kaputt. Der moralische Kredit, den es wegen des Holocaust hatte, ist verspielt. Zweitens ist es in jedem Moment bedroht, drittens bankrott und von den USA abhängig.
Haben Sie eigentlich Feinde?
Nicht dass ich wüsste. Vielleicht ein paar Neider unter anderen Wissenschaftlern. Besonders in Norwegen, denn in der Heimat gilt der Prophet bekanntlich am wenigsten.
Dennoch fühlen Sie sich in Alfaz del Pí unter hunderten anderer norwegischer Residenten wohl.
Absolut. Mich haben die Flitterwochen mit meiner japanischen Frau im Jahr 1969 hierher verschlagen.
Ausgerechnet ins faschistische Spanien?
Ich glaubte nicht an den kulturellen Boykott gegen Franco, sondern an den Dialog. Es war so heiß in Madrid, deshalb sind wir ans Mittelmeer gefahren. Gleich am erstem Abend haben wir ein Haus in Alfaz gekauft . vor allem auch wegen der wunder baren Berge. Alfaz war damals ein Dorf mit sechs schwarz gekleideten Witwen und acht Fliegen.
Warum leben eigentlich so viele Norweger hier? Das hat sich so ergeben. Anfangs kamen viele Frontkämpfer, die unbedingt in Franco-Spanien leben wollten. Dann rückten die Ölwitwen an, deren Männer auf Tankern und Bohrinseln waren. Jetzt kommen viele junge Norweger, die hier auch arbeiten und sich unter die Spanier mischen. Zum Glück werden die Flüge nach Oslo ja auch immer billiger.
Spanien leidet derzeit sehr unter dem ETA-Terror.
Ich glaube, die ETA würde ver schwinden, wenn man den Autono mieplan des baskischen Ministerprä sidenten Ibarretxe verwirklichte. Er sieht vor, aus dem Baskenland einen Freistaat wie Bayern zu machen. In Deutschland funktioniert das Modell wunderbar, auch wenn die meisten Deutschen bei Bayern nur an merk würdige Mützen und Leopold den Wahnsinnigen denken. Aber dort gibt es keine Unabhängigkeitskämpfer.
Wird das die Mörder der ETA überzeugen?
Es kommt nicht auf ein paar Bewaffnete an. Der Fisch muss im frischen Wasser schwimmen, sagte Mao Tse Tung. Wenn die baskische Bevölkerung mehr Autonomie ge nießt, ist der ETA die Grundlage entzogen.
Aber die spanischen Regionen haben bereits einen hohen Grad an Autonomie.
Der Fehler ist die Gleichheit. Einige Gebiete haben mehr Autonomie als sie wünschen, andere weniger. Das wäre, als wenn wir alle Schuhe der Größe 40 tragen müssten. Ich bin für einen Bundesstaat, in dem jeder die Autonomie hat, die er wünscht.
Info: Der Norweger Johan Galtung (74) gilt als Begründer der internationalen Friedensforschung. Zu diesem Thema hat er weit über 100 Bücher und mehr als 1.000 Artikel veröffentlicht. 1959 gründete er das International Peace Research Institute in Oslo. Im Laufe seine akademischen Karriere lehrte er an über 30 Universitäten weltweit. Begriffe wie zum „Strukturelle Gewalt“ oder „Friedensjournalismus“ gehen auf ihn zurück. Er beschränkte sich aber nicht auf die Forschung: Dem von ihm gegründeten Netzwerk „Transcend“ gehören Friedensforscher an, die in Konflikten überall auf der Welt praktisches Training zur Lösung leisten. 1987 erhielt er den Alter nativen Friedensnobelpreis für seine systematische und multidisziplinäre Erforschung der Voraussetzung für Frieden.
Erschienen in Costa Blanca Rundschau Nr. 3, Woche 06/2005