Der Klangpionier von der Alster
Von Bernhard Hampp
Es ist noch nicht so lange her, da verzweifelten Redakteure an verhedderten Tonbändern, schleppten Praktikanten Schallplatten aus verstaubten Archiven, und Moderatoren, die noch Ansager hießen, erklärten jeden Musiktitel lang und breit, bis der neue Titel auf Band oder Platte startbereit war.
Heute machen Computer den Tonschnitt zu einem kinderleichten Verschiebespiel, stellen ohne menschliches Zutun ein ausgewogenes Musikprogramm zusammen und sagen dem Moderator auf die Sekunde genau, wie viele Sekunden er noch reden kann oder darf.
Die Radiosendung, wie sie sich heute darstellt, hat ein Hamburger wesentlich mitzuverantworten. Rüdiger Barth gehört zu den Pionieren des digitalen Radios, sein Werdegang liest sich wie ein Kapitel aus dem Buch der Rundfunkgeschichte.
Als Physikstudent kam Barth Anfang der 60er-Jahre zur Tonstudiotechnik, als er als Werkstudent in einer Firma für studiotechnische Anlagen Sendemischpulte für den NDR verkabelte
Mit seiner Idee eines 8-Spur-Rekorders wurde Barth bereits 1972 bei Hans Falkenberg, einem Toningenieur der Deutschen Grammophon Musikstudios in Hamburg, vorstellig. Der war begeistert und gab den Impuls zur Gründung eines kleinen Unternehmens, das man heute Start-up nennen würde. Peter von Zahn im Windrose Studio in Hamburg und die Beatles waren die ersten, die diese Möglichkeit für ihre Aufnahmen nutzten, letztere im Recording Studio des Hamburger "Top Ten Clubs" auf der Reeperbahn. Das Unternehmen an der Hamburger Außenalster gibt es noch heute, und Barths Sohn Marko steuert das Boot seit nunmehr 20 Jahren mit.
Eigentlich hat es Senior-Chef Rüdiger Barth gar nicht mit der Nostalgie und spricht lieber über seine neueste Erfindung, die "Smart Jingle Maschine", die erste ins Sendesystem integrierte Jingle-Maschine, die den Takt des Jingles der rhythmischen Struktur des Musiktitels anpasst, ohne die Tonhöhe zu verändern. Der Moderator berührt nur noch einen Touchscreen, wenn er einen Jingle beliebig im Sendeablauf einfügen will. Tonhöhe, Takt und Lautstärke passt die Digispot® Software automatisch dem eben ausklingenden Musiktitel an. Weltweit zum ersten Mal ist diese Jingle-Maschine jetzt im neuen Studio von Radio Hamburg und Oldie 95 im Semperhaus im Einsatz.
In den 38 Jahren der Firmengeschichte hat Barth sich den Ruf erworben, Visionen zu Konzepten werden zu lassen und diese dann als innovative neue Technologien in der Studiotechnik erfolgreich zu etablieren.
Dass Barth so etwas kann, erkannten schon in den 70er-Jahren die Musikproduzenten in ganz Deutschland, die sich von ihm Tonregieanlagen mit Mehrspurvorhörtechnik bauen ließen. Die Namen der Studios, die Barth einrichtete, sind noch heute ein Begriff in der deutschen Musikproduktion: Conny Planks Studio im Sauerland, wo die Vorreiter der elektronischen Musik des Kraftwerk-Teams ihre ersten Platten produzierten, das Hamburger Star Studio des "Tulpen aus Amsterdam"-Komponisten Ralf Arnie, in dem Udo Lindenberg seine ersten Aufnahmen machte, und das Rhenus Studio in Köln, in dem die Schlagerdiva Margot Eskens ihre Evergreens aufnahm, dazu das Cornet Studio und eines der EMI-Produktionstudios in Köln, in Frankfurt die Biton Studios und in Hamburg das Windrose Studio der Hörfunk-Legende Peter von Zahn. "Es gab eine Zeit, da hatten 70 Prozent der Studios in Deutschland meine MCI Anlagentechnik", erzählt Barth.
Die Entwicklung der Tontechnik ging rasant voran, Computer eroberten immer mehr Terrain. Barth selbst war eine treibende Kraft dieser Entwicklung. Er baute das weltweit erste rechnergesteuerte, speicherbare Entzerrersystem für Mehrkanalmischpulte. Eine Entwicklung, auf die Barth und sein Entwicklerteam besonders Stolz ist. Damit wurde es möglich, Spur für Spur, das heißt Instrument für Instrument, den Klang einer Mehrspuraufnahme zu optimieren.
Für den Filmtechnologie-Entwickler August Arnold und seine Münchner ARRI-Studios richtete Barth das erste vollautomatisierte Film-Ton-Abmischstudio ein. Dabei muss er wohl etwas zu experimentierfreudig zu Werke gegangen sein. "Sind wir hier bei Jugend forscht?", hat ihn Altmeister Arnold gefragt. Wenn Sie innovativ sein wollen, müssen Sie Neues ausprobieren, hat ihm Barth geantwortet. Am Ende verfügte ARRI über das erste in der Automatisierung des 112 kanaligen Mehrspurmischpultes vollintegrierte Dolby®Surround Sound System.
1985 stieg Rüdiger Barth in das Geschäft mit privaten Radiosendern ein und entwickelte Konzepte für die Studiotechnik. Er bekam den Auftrag, neu entstandene Studios auszurüsten, etwa Radio Schleswig-Holstein, das als erste landesweite kommerzielle Hörfunkstation auf Sendung ging.
Ausprobieren ist für Barth der Weg zum Erfolg: "Ich bin zwei Wochen lang im SFB herumgelaufen, um die Abläufe und die genauen Arbeitsabläufe im Sendebetrieb eines Radiohauses kennenzulernen." Sein Ziel war es, die neuen Bedürfnisse zu erfüllen und die Abläufe einfacher zu machen, ohne die wertvollen Erfahrungen aus Jahrzehnten der Hörfunktechnik zu missachten. Das Medium Radio war im Wandel, die ersten Privatsender gingen an den Start.
Eine Entwicklung Barths aber stellt alles in den Schatten. Das Software System Digispot® krempelte die Radiolandschaft in Deutschland radikal um. Mit diesem Programm wurde es erstmals möglich, Rotationen festzulegen, Spiellisten per Mausklick zu erstellen, Nachrichten, Jingles, Werbung in einem System und von jedem Arbeitsplatz aus zu bearbeiten und zu verwalten. Es war die Grundlage für das erste kommerzielle Nachrichten-Hörfunkstudio Info-Radio in Berlin, das im Jahr 1992 ohne Tonband und Papier ein Radioprogramm produzieren und abwickeln konnte.
Mit Beginn des neuen Jahrhunderts sah Barth die Notwendigkeit, die hohen Entwicklungskosten auf eine breitere Basis zu stellen. Eine Software dieses Umfanges bedarf eines ausreichend großen Marktes, um finanziert werden zu können. Hamburg hatte mit dem Zerfallen des Eisernen Vorhangs begonnen, seine alte Bedeutung, das Tor zum Westen für Osteuropa zu sein, wiedererlangt, was lag näher, als dieses Tor zu nutzen und eine Basis im großen osteuropäischen Markt zu sehen.
Aus dem großen Kreis der internationalen Kontakte bot sich die Firma TRACT aus St. Petersburg an, die wie die Barth KG Tonstudiotechnik in Russland entwickelte und Systemausrüstungen in Osteuropa lieferte. Mit diesem Partner hat sich eine sehr solide und erfolgreiche Partnerschaft entwickelt, die im Geist der beiden Hafenstädte eine langfristige Bestandssicherheit für das Produkt Digispot®II gewährleistet. Ein wichtiger Faktor, um sicher zu sein, das Vertrauen der vielen Hörfunkstationen in Deutschland, wie Radio Hamburg, Oldie 95, Alsterradio, Radiohaus Berlin mit fünf Sendern und weiteren Stationen in Berlin, München, Nürnberg , Karlsruhe und weit über 450 großen und kleinen Funkhäusern in Russland und Osteuropa, gewährleisten zu können.
Erschienen in "Die Welt", 9. Januar 2009