Sechta: Zwei Welten prallen aufeinander
Bopfingen - Für Bauleiter Peter Engel ist es der ganz große Wurf. Für den Jagstheimer Landwirt Gerhard Lemmermeyer ein „Graus“ und eine „Sünde“: Die Renaturierung der Sechta zwischen Itzlingen und Kerkingen entzweit die Geister.
Von Bernhard Hampp
„Hier werden 50 Hektar wertvolle Nutzfläche für ein paar Frösche und Vögel geopfert“, schimpft Lemmermeyer, „die Viecher könnten doch auch da drüben wohnen!“ Er zeigt auf einen Tümpel nahe der Sechta, die seit kurzem in Schlangenlinien durch die Wiesen mäandert.
Peter Engel schüttelt den Kopf und zeigt auf eine vergilbte Flurkarte, die den Bach vor der Begradigung von 1927 zeigt. Seine Behörde, der Wasser- und Bodenverband Sechta-Eger, und andere Institutionen arbeiten daran, die Sechta in ihren Urzustand zurückzuversetzen. Sie graben viereinhalb Kilometer Bach neu, legen eine Abwasserleitung um, senken einen Feldweg ab und gestalten das Bachbett mit Kies und Totholz attraktiv für Fische und Wassertiere. Engel schwärmt von der „größten Naturschutzbaustelle Baden-Württembergs“ und sagt: „Die Bevölkerung wünscht sich Natur.“
Wenn er so etwas hört, packt Lemmermeyer die Wut: „Die Bevölkerung? Der Pfarrer und der Bürgermeister vielleicht, aber bestimmt nicht die Bauern.“ Der 61-Jährige wünscht sich die alte Situation mit Abwassergräben, Drainagen und trockenem Grünland zurück. Die Landwirte seien angewiesen auf jeden Quadratmeter, sagt der Halter von 20 Mutterkühen, es gebe einen „ungeheuren Landhunger“. Die 50 Hektar Renaturierungsgebiet seien vier Arbeitsplätze, die verloren gingen, rechnet er.
Bauleiter Engel würde gerne etwas von der einzigartigen ökologischen Möglichkeit erzählen, dass der Wasserstand insgesamt angehoben werden kann, weil die angrenzenden Flächen nun alle im Besitz des Wasserverbandes sind. Oder vom geringen Längsgefälle der Sechta, das nur 1,5 Promille beträgt und deshalb einen Zickzackverlauf zulässt.
Aber Lemmermeyer möchte jetzt selbst reden. Er schimpft, dass die umliegenden Felder jetzt in schlechterem Zustand seien, dass immer mehr Grünland zu Wasserstauwiese wird, dass nur noch wertlose Sauergräser gedeihen. Das Heu, das er auf den feuchteren Wiesen mähe, sei verseucht mit Pilzen und Bazillen. Zwei Kühe seien ihm deshalb eingegangen.
„Ein Großteil der 50 Hektar wird eingeschränkt landwirtschaftlich nutzbar sein“, merkt Engel an, dessen Behörde Lemmermeyer quasi als Entschädigung ein kleines Stück Feuchtwiese kostenlos überlassen hat.
„Alles wird wertlos“, widerspricht Lemmermeyer. Engel resigniert: „Herr Lemmermeyer ist ein Vollblutlandwirt, der versteht nicht, dass die Rückgewinnung der Natur auch ihre Daseinsberechtigung hat.“
Foto: Bernhard Hampp
Erschienen in Ipf- und Jagst-Zeitung/Aalener Nachrichten am 3. Dezember 2009