Das Edelste der Wälder
BOPFINGEN - Holz? Otto Schieber schließt die Augen, atmet den Duft von Rinde, Spänen, Harz ein. Er sagt: „Holz ist Wärme, Unverwechselbarkeit, Charakter.“ Schieber ist Schreinermeister, Innenarchitekt und Chef eines Design-Möbelhauses. Er steht im Wald. Auf einer Lichtung zwischen Bopfingen und Aalen liegen 1300 Stämme in endlosen Reihen. Weiß, gelb, rötlich, schwarz, mit oder ohne Kern, strukturiert, teils meter- dick, bis zu 200 Jahre alt. Knapp 60 private, staatliche und kommunale Anbieter aus 100 Kilometern Umkreis haben die Stämme im Dezember von ihren Langholztransportern gehievt. Die 19. Bopfinger Wertholzsubmission – eine der wichtigsten Holzauktionen im süddeutschen Raum – zeigt das Edelste, was einheimische Wälder zu bieten haben.
Holzliebhaber wie der Bopfinger Schieber, aber auch echte Edelholzjäger wie Andreas Koch aus Hafenlohr am Main streifen über drei Hektar Submissionsplatz. Koch ist für einen Furnierhersteller unterwegs. Er geht in die Hocke, befühlt die Jahresringe und hakt auf einer Liste etwas ab. „Ja, ich habe was gefunden“, antwortet er und hastet weiter. In verschlossenen Umschlägen gibt seine Firma Gebote ab, die Bopfinger Forstleute einige Tage später in einer Dorfwirtschaft öffnen werden. So unspektakulär die Versteigerung, so eindrucksvoll die Summen. Wer Produkte aus heimischem Wert- holz statt Tropenholz herstellt, lässt sich den Rohstoff etwas kosten. 14 000 Euro hat ein Bieter 2004 für einen Ahornstamm mit samtartiger Riegelmaserung hingelegt. Ein Hundertstel davon würde die gleiche Menge handelsübliches Bauholz kosten.
Mit den Worten „Je cherche de la chêne“ („Ich suche Eiche“) hat sich ein Franzose an den Waldrand verzogen. Er zimmert Barrique-Fässer. Edler Wein braucht edles Holz. Genau wie Luxusjachten, Limousinen, Orgelpfeifen, Violinen und Konzertgitarren. Ein Holzhändler kommt im japanischen Auftrag: Nach buddhistischem Ritus erhalten dort Tote für die Reise ins Jenseits einen neuen Namen, den der Priester mit Tusche auf ein Totenbrett schreibt. Für diese Bretter eignet sich Weißtannenholz von der Alb bestens.
Stefan Raab aus Nördlingen späht nach Eibe, Esche, Ulme, Robinie. Er fertigt aus dem kostbaren Holz mithilfe von Zugmesser, Raspel, Schweifhobel und Ziehklinge traditionelle Bögen und die dazugehörigen Pfeile. Das Holz muss möglichst gerade sein und fehlerfrei, denn ein Bogenrücken verläuft immer entlang eines gewachsenen Jahresrings. „Jeder Ast im Holz wäre eine Sollbruch- stelle“, erklärt Raab. Bei guter Behandlung könne ein perfekter Bogen Jahrzehnte halten.
In weiten Jeans und Kapuzenpullis stapfen Schüler einer Schreiner- klasse aus Aalen über das Gelände: Materialkunde. Was macht gutes Holz aus? „Viele Jahresringe und ei- ne makellose Holzstruktur“, verrät Bopfingens Forstdirektor Werner Vonhoff, der die Wertholzsubmission seit fast 20 Jahren leitet. Die Zeiten ändern sich: Waren beim Eschenholz früher nur blütenweiße Stämme verkäuflich, finden nun auch Exemplare mit dunklem Kern und Ästen Abnehmer. Vonhoff, der sich jährlich auf der Internationalen Möbelmesse in Köln informiert, spürt solche Trends auf. Eichenholz ist auf der Bopfinger Submission stark vertreten. Es erzielt seit 2002 Bestpreise, hat aber für Vonhoff den Zenit über- schritten. Lärche bleibt gefragt, helle Hölzer wie Ahorn, Birke und Buche kosten im Vergleich zu den Boomjahren 1998 bis 2001 nur noch die Hälfte. Vonhoff hofft auf die Trend- wende: „Die Ostalb steht voll guter, starker Buchen, während Eiche, Lärche und Ahorn knapp werden.“
Umschlag für Umschlag haben die Mitarbeiter des Submissionsteams im Gasthof „Adler“ in Utzmemmingen geöffnet. Für einen Eichenstamm aus den Wäldern der Forstbetriebe Fürst Wallerstein boten 25 Interessenten, für manche Buchenstämme gab es nur einen Bieter. Das fränkische Furnierwerk, für das Andreas Koch unterwegs war, kam mehrfach zum Zug. 99 Prozent der Stämme fanden Abnehmer. 3700 Euro brachte eine Eiche einem privaten Waldbesitzer von der Ostalb ein.
Herbert Kolb, Förster aus Weißenburg, freut sich: Er hat einen umgefallenen Maulbeerbaum angeliefert, der einen Festmeterpreis von über 1000 Euro erzielte. Ein Festmeter entspricht einem Kubikmeter Holzmasse ohne Zwischenräume. Seit es die Wertholzsubmission gibt, ist der durchschnittliche Festmeterpreis von 230 auf über 400 Euro gestiegen. Diesmal kosteten Eichen im Schnitt 460 Euro, Lärchen 280 Euro.
Vonhoff, der einst Dozent an der Hochschule Rottenburg-Tübingen war, liebt die Submission, weil er Gleichgesinnte aus ganz Süddeutschland zum Fachsimpeln trifft. Auch die Entscheidung des Bundeskartellamts, dass staatliche Förster in Baden-Württemberg bald kein privates und kommunales Fichtenholz mehr vermarkten dürfen, ist Thema. Für die Wertholzsubmission hat sie wenig Auswirkungen: Fichte macht weniger als fünf Prozent des angebotenen Holzes aus. Wer Wald besitzt, sollte Wertholz vermarkten, um seinen Gewinn zu steigern, findet Vonhoff. Er rechnet vor: In diesem Jahr verblieben von den 630 000 Euro Gesamtverkaufs- preis rund 570 000 Euro als Erlös bei den Anbietern.
Doch Wertholz ist das Gegenteil von schnellem Geld. Vonhoff zeigt einen gerade gewachsenen Baum. Vor 20 Jahren haben seine Mitarbeiter an dem Ahorn die unteren Äste entfernt. Jetzt ist er 350 bis 400 Euro wert, in 20 Jahren könnten es 1200 Euro sein. Vonhoff tüftelt an neuen Ideen: Unter seiner Anleitung betreiben Landwirte aus der Region Streu- obstwiesen als Wertholz-Plantagen. Unter sorgfältig geasteten Apfel-, Birn- und Kirschbäumen grasen Galloway-Rinder, die sich das Fallobst schmecken lassen. Das Holz der Birnbäume könnte einmal Tausende einbringen: Holz ist Geld. Holz ist auch Geduld und Knochenarbeit. „Aber es ist noch mehr“, weiß auch Vonhoff. Wer das verstehen will, muss vielleicht den Duft einatmen.
Erschienen in Schwäbische Zeitung, 14. Februar 2014.