Die kleine Schäferin
Bei Ottmaring im Altmühltal hütet die 24-jährige Astrid Graben zwei Kinder und 600 Schafe
Von Bernhard Hampp
Ottmaring
Das ist der schlimmste Moment: Astrid Graben packt ein Lamm unter den Vorderbeinen und hievt es auf den Anhänger. Das Lamm macht keinen Mucks, seine wässrigen Augen blicken so starr und stur wie immer, als es zum Schlachten gefahren wird.
Astrid Graben ist 24 Jahre, zierlich, hat große blaugrüne Augen und Sommersprossen und trägt ein großes feststehendes Messer in der Hosentasche. Bei Ottmaring im Altmühltal hütet sie 600 Schafe. "Wenn es regnet, werde ich klatschnass und wenn ein Sturm aufkommt, und die Äste abbrechen, bekomme ich es schon mit der Angst zu tun", sagt sie. Sie muss bei der Herde bleiben, bis zu zwölf Stunden am Tag. Die Berufsschäferei sei eben nicht nur gemütlich, und schon gar nicht das Richtige für romantisch veranlagte Späteinsteigerinnen.
Eine Späteinsteigerin ist Astrid Graben gewisss nicht. Auf dem kleinen Bauernhof ihrer Etern im Spessart hat sie sich um die Pferde gekümmert. Der Zufall wollte es, dass eines Tages ein Schäfer seine Herde auf die Pferdewiese führte. "Erst wollte ich schimpfen, dann habe ich mich mit ihm unterhalten und kurz darauf bin ich von zuhause weggegangen und mit ihm gezogen." Damals war sie fünfzehn. Sie wurde die Frau des Wanderschäfers und lebte mit ihm in einem Wohnwagen. Ihre beiden Töchter Annika (5) und Franziska (4) begleiten sie oft bei ihrer Arbeit und zeigen Fremden stolz die Schafe, auch wenn Annika lieber Friseurin als Schäferin werden will.
Vor einem Jahr trennte sich Astrid Graben von ihrem Mann. Über das "Landwirtschaftliche Wochenblatt" suchte sie Anstellung in einer Schäferei. Das Echo war immens: "Es hagelte Heiratsangebote, einige Schäfer sind richtig aufdringlich geworden." Ihr jetziger Arbeitgeber Thomas Graf aus Ottmaring ist zwar auch ledig, aber "er hat von Beginn an klipp und klar gesagt, dass er nur eine Arbeitskraft sucht", sagt Astrid Graben mit einem Augenzwinkern.
Im Altmühltal hütet die Schäferin gerne, auch wenn sie anfangs fast verzweifelte, weil nicht einmal der Hütehund ihren unterfränkischen Dialekt verstand: "Der wollte mich sogar beißen."
Die Herde ist entlang des Main-Donau-Kanals unterwegs, auf trockenen Wiesen, die nur mit Schafen zu beweiden sind. Weil die Schäfer mit ihren Tieren dafür sorgen, dass die felsigen Jurahängen und Waldränder nicht verbuschen und auf ihnen Silberdistel, Enzian und Labkraut gedeihen, werden sie mit staatlichen Gelder gefördert. Ohne diese Subventionen könnte sich kein Schäfer über Wasser halten. Denn die raue Wolle aus deutschen Landen findet im Vergleich zur weicheren australischen kaum Abnehmer und das verkaufte Lammfleisch deckt gerade mal die Unkosten.
"Schafe sind kluge Tiere, die eine Wasserstelle noch nach zwei Jahren wiederfinden", begründet Astrid Graben ihre Liebe zu den wolligen Vierbeinern.
Und auch das schwarze Schaf, das in fast jeder Herde vorkommt, hat für die Schäferin eine besondere Bedeutung: "Haben sich die anderen Schafe erst einmal an den fremd aussehenden Verwandten gewöhnt, dann sind sie Fremden gegenüber gelassener und geraten nicht so leicht in Panik."
Erschienen in Süddeutsche Zeitung, 27. 7. 2001