Seit Generationen „auf dr Reis“
Ipfmess-Markthändler Jakob Kronenwetter ist stolz auf seine jenischen Wurzeln
Von Bernhard Hampp
Bopfingen - Nur nicht aufdringlich sein. Erst, als sich die Kundin für das Kinder-T-Shirt mit dem Fendt-Bulldog entschieden hat, gibt Jakob Kronenwetter Tipps: „Nehmen Sie eine Nummer größer“, sagt er dann. Bei treuen Kunden lässt er oft etwas nach oder schenkt noch einen Gürtel zur Hose. Der 64-jährige Händler aus Unterdeufstetten weiß: Zufriedene Kunden kommen wieder. Schließlich fährt er seit 36 Jahren auf die Ipfmesse.
„Kunden müssen redlich und ehrlich behandelt werden“, das war schon der Leitspruch von Kronenwetters Großmutter, die als angesehene Hausiererin unterwegs war. Und der seiner Vorfahren, jenischer Händler, deren Spuren er bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt hat. Mit Leidenschaft hat Kronenwetter Geschichten und Fotos von Hausierern, Kesselflickern, Bürstenbindern, Schaustellern, Schrottsammlern, Scherenschleifern, Marktfahrern und Artisten gesammelt und darüber zwei reich bebilderte und unterhaltsam getextete Bücher verfasst.
Eine eigene Sprache
Eins ist bereits vergriffen. Das andere mit dem Titel „Das sind Jenische – eine Minderheit erzählt“ verkauft Kronenwetter auch auf der Ipfmesse. Es behandelt, was lange ein Buch mit sieben Siegeln war: Die jenische Sprache, das geheime Idiom mit dem sich die Reisenden untereinander verständigten. Damals konnte es lebenswichtig sein, eine eigene Sprache zu haben, die von den Nichtjenischen, den „Gadsche“, der Polizei und der Obrigkeit nicht verstanden wurde. Die Mächtigen und Gesetzten meinten es nicht immer gut mit den Jenischen: Man misstraute ihnen, stellte sie unter Generalverdacht, verfolgte sie und sperrte sie ein. Die Nazis erteilten ihnen Berufsverbot und ermordeten viele von ihnen in Konzentrationslagern.
Heute, findet Kronenwetter, der in Archiven in ganz Deutschland und Österreich geforscht hat, und stolz auf seine jenischen Wurzeln ist, sollte die Sprache nicht länger geheim gehalten, sondern für die Nachwelt gerettet werden. „Tschaile, natsch amol zu dera Moss“, sagt er zu seiner Frau. Das heißt: „Liebling, geh doch mal zu dieser Frau.“
Meist spricht Kronenwetter keine durchgehenden jenischen Sätze, er lässt einzelne Wörter einfließen. So, sagt er, machen es die meisten Jenischen. Die sind inzwischen unter den Markthändlern – auch auf der Ipfmesse – die Minderheit. „Viele wollen auch nichts damit zu tun haben, weil Jenische lange einen schlechten Ruf hatten“, sagt der gemütliche Händler, und fügt hinzu: „Ich selbst bin nie dafür angefeindet worden.“ Menschen mit jenischen Wurzeln sind heute längst in allen Berufen angekommen, ob als Optiker, Ärzte oder Textilgroßhändler. Kronenwetter selbst arbeitete zuerst als Bauschlosser und Lastwagenfahrer, bis er sich mit 26 entschied, „auf d’Reis“ zu gehen, wie es schon seine Großmutter Emilie getan hatte.
Ein altes Bild zeigt sie mit dem Planwagen und ihren „Grai“, ihren Pferden. „Die waren ihr ganzer Stolz“, erzählt Jakob Kronenwetter. Schließlich mussten die ärmeren Hausierer und Händler ihre Karren selbst ziehen. Auch bei Wind und Wetter, durch Schlamm und Morast, von Dorf zu Dorf, wo sie nicht nur die einzigen Lieferanten von Waren, sondern auch von den neuesten Nachrichten.
Ein Nachrichtenumschlagplatz ist Kronenwetters Ipfmess-Stand noch heute. Kunden schütten ihm sein Herz auf, erzählen ihm, was sie bedrückt und den neuesten Familientratsch. „Das können sie bei C&A nicht“, schmunzelt er.
Erschienen in Ipf- und Jagst-Zeitung / Aalener Nachrichten, 9. Juli 2012