Manrique liebt „Singing in the Rain“
Interview aus dem Jahr 2005
Von Bernhard Hampp
Diego Manrique (52) moderiert seit 26 Jahren Musiksendungen beim nationalen Radiosender „Radio 3“. Er gilt als Spaniens renommiertester Kenner der Rock- und Popmusikszene. Sein Programm „El Ambigú“, das Musiktrends aus aller Welt vorstellt, wird täglich von 18 bis 19 Uhr übertragen.
„Radio 3“ wird immer als Ausnahmeerscheinung in der spanischen Radiolandschaft genannt. Warum?
Ich glaube, hier hat sich von Beginn an eine Reihe von Leuten gefunden, die gewisse vom Mainstream abweichende Vorstellungen pflegen. Toleranz in den Bereichen Umwelt, Drogen und Sexualität ist uns wichtig. Insofern leben wir in einer Art Käfig – aber einem goldenen.
Für einen staatlichen Sender ist das außergewöhnlich.
Allerdings, ich würde es sogar als anormal bezeichnen. Aber die Programmverantwortlichen kümmern
sich hauptsächlich um die Programme, in denen Politik vermittelt wird. Wir gelten da als die musikverrückten Spinner. Die Verantwortlichen leben von und für die Politik, wir von und für die Musik, deshalb kreuzen sich unsere Wege nicht.
Es gibt also keine Konflikte?
In den 80er Jahren, als Spanien in die NATO drängte, gab es aus
den Reihen von „Radio 3“ massive Kritik. Die Politiker – und
das waren die Linken unter Regierungschef Felipe Gonzalez –
haben massiv auf das Programm eingewirkt. Einige missliebige Kollegen wurden klammheimlich mundtot gemacht.
Ausgerechnet von den Linken?
Ja, und interessanterweise hat uns die konservative PP während ihrer Regierungszeit relativ in Ruhe
gelassen. Die Rechten interessieren sich eben nicht für Kultur. Die Linken schon, und sie wollen sie in ihrem Sinne beeinflussen.
Worum geht es in Ihrem Programm „El Ambigú“?
Ambigú heißt die Bar in Theater- und Opernfoyers und wird auch als Bezeichnung für einen
gemischten Imbiss zwischendurch
verwendet. Dementsprechend bieten wir eine Mischung
aus allen musikalischen Stilrichtungen. Nur einmal gab es Ärger,
als ich klassische Musik aufgelegt habe. Es hieß, sie passe nicht in das Format des Senders. Aber das macht nichts, denn Klassik ist ohnehin nicht mein Ding.
Was hat Sie zu dieser Art Radiosendung bewogen?
Es war ein Unbehagen. Gewisse politische Kräfte wollen uns einhämmern, dass ausschließlich Pop
aus England und den USA ernst zu nehmen ist. Diese Massifizierung des Geschmacks hat mich gestört. Ich wollte wissen, welche Musik man in Brasilien, im Kongo oder in Osteuropa macht. Musik aus der Karibik beispielsweise galt vor 20 Jahren noch als völlig ungewohnt – heute ist sie auch durch uns salonfähig. Auch wenn chinesische Musik immer noch sehr gewöhnungsbedürftig für uns ist, ist der Wunsch nach einem anderen musikalischen Speiseplan da. Nicht immer nur Hamburger und Fish & Chips, die man uns auftischen will.
Ist diese Musik nicht manchmal anstrengend?
Natürlich erfordert die Beschäftigung mit Musik Anstrengung. Man muss offen bleiben und Zeit investieren. Deshalb verlernen leider viele Menschen im Lauf ihres Lebens das Musikhören. Wer heiratet und Familie hat, widmet der Musik oft keine Zeit mehr. Die meisten investieren ihre Zeit dann lieber in den Fußball oder in ihr Ferienhaus.
Es ist also schwierig, die Hörer zu halten?
Ja, aber es kommen ja immer wieder Junge nach, die unser Programm hören.
Haben sich die Hörgewohnheiten verändert?
In den 80er Jahren gab es das so genannte Movimiento, die aktuelle Popmusik aus dem eigenen Land, die von Millionen Spaniern gehört wurde. Heute ist das Musikpublikum völlig zersplittert. Es gibt Fans von elektronischer Musik, die noch nie eine Rockgruppe live gesehen haben.
Ist die Popmusik schlechter geworden?
Nein, es gibt weiterhin echte Perlen, aber es ist anstrengend, sie zu finden. Meist wird recycelt, alles
im Sampler-Sound auf gleich getrimmt. Damit wird uns natürlich auch ein Lebensstil angeboten, den wir gefälligst zu schlucken haben.
Das klingt nach den Musiktheorien von Theodor W. Adorno. Glauben Sie wie er, dass Popmusik
hauptsächlich dazu dient, die Massen zu verdummen?
Keineswegs. Musik befreit, lässt dir die Wahl zu hören, was dir gefällt und was nicht. Du drückst dich in deinem Musikgeschmack selbst aus.
Muss man selbst Musiker sein, um richtig Musik hören zu können?
Das glaube ich nicht. Die meisten Musiker, die ich kenne, hören selbst sehr wenig Musik.
Sie haben einen Vortrag in Alicante gehalten, in dem sie am Image von Reggae-König Bob Marley gekratzt haben …
Na ja, nur ein paar Dinge richtig gestellt. Bob Marley, der durchaus seine Schattenseiten hatte, etwa seine Frau sehr schlecht behandelte, wird heute als ein Prophet des Guten gesehen, der er definitiv nicht war. Parallel zu seinem Aufstieg zum internationalen Star wurde seine Musik immer massenkompatibler und verlor an Authentizität.
Starkult ist Ihre Sache nicht?
Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Marley war genauso wenig ein Friedensapostel wie John Lennon. Stars von heute sind wenigstens ehrlich: Ein Robbie Williams verkauft dir seine Musik, aber keinen Lebensstil. Einer der letzten, bei denen die Diskrepanz zwischen ihrem eigenen Leben und der musikalischen Botschaft relativ klein war, war Nirvana-Sänger Kurt Cobain.
Was sind Ihre persönlichen Lieblingssongs?
Ich liebe den Musical-Klassiker „Singing in the Rain“ in allen Versionen. Außerdem schwelge ich gerne in großen Gefühlen, wenn ich lateinamerikanische Lieder wie „Amapola“ höre. Und dann habe ich noch eine Schwäche für den Chanson française, speziell Jacques Brel.
Erschienen in Costa Blanca Rundschau Nr. 40, Woche 43/2005