Rätsel aus dem Bauch der Erde
Zu Erich Paproths Ausstellung „Ángelitos Negros. Pintura Rupestre.“
Von Bernhard Hampp
Píntame angelitos negros, mal mir schwarze Englein, bittet Venezuelas Dichter Andrés Eloy Blanco den Maler. Erich Paproths Engel sind hochgewachsen, schlank und pechschwarz, haben Flügel oder nicht und tanzen vor dem erdfarbenen Hintergrund einer vergessenen Zeit. Sie gleichen ihren Vorbildern an den Wänden der Höhlen von Valltorta bei Castellón und Los Lebreros bei Vélez Blanco – und auch wieder nicht, denn sie haben Persönlichkeit. Der Berliner Künstler hat sie aus ihren Höhlen geholt und doch in ihrem Umfeld gelassen.
Erich Paproth, geboren 1955, ist promovierter Prähistoriker und evangelischer Theologe. Als er 1989 begann, sich ausschließlich der Malerei zu widmen, war dies kein Schnitt. Denn was ihn als Wissenschaftler fasziniert hatte – die Art, wie unsere Vorfahren Menschen malten – bestimmt seine künstlerische Arbeit Sie ist sein einziges Thema.
Paproth besucht Höhlen in Europa, Australien, Mexiko auf der Suche nach den von ihm so genannten kursiven Menschendarstellungen: Figuren in Bewegung. Außer dem Skizzenblock ist immer ein Behälter für Erde und Sand dabei. Spuren dieser Materialien finden sich in jedem seiner Bilder, für die er mit Lasurtechnik den Hintergrund aufträgt und dann die schwarzen Menschenfiguren an die ausgewählten Stellen setzt.
Die Farben trägt der Künstler, wie seine Vorgänger vor 5.000 oder 30.000 Jahren mit Stöcken, Pinseln oder bloßen Händen auf. In Workshops können Kinder bei Erich Paproth lernen, zu malen wie die Urmenschen. Aber von der reinen Reproduktion sind diese Höhlenmalereien weit entfernt: Die Figuren sind reduziert oder mit Flügeln verfremdet, sie kommunizieren, begegnen sich oder weisen sich ab. Alltagsgegenstände wie Bogen oder Speere finden sich in Paproths Welt nicht, sie würden vom Zeitlosen ablenken.
„Erinnerungen aus dem Bauch der Erde“ nennt der Künstler seine Bilder. Der unvoreingenommene Betrachter, so wünscht er sich, soll ahnen, was in diesem Bauch seit Jahrtausenden schlummert. Haben die schwarzen Menschenfiguren an den Höhlenwänden noch etwas mit den Menschen von heute zu tun? Oder nicht? Hier wird die Sache spannend, denn Paproth kann nicht aus seiner Haut als Wissenschaftler.
Seine Bilder werfen die gleichen Fragen auf, über die sich Forscher den Kopf zerbrechen: Wieso sind auf den Höhlenmalereien weltweit nur Männer dargestellt? Warum stellen figürliche Plastiken aus den gleichen Epochen, etwa die berühmte Venus von Willendorf, dagegen immer nur Frauen dar? Deutet es darauf hin, dass in den damaligen Gesellschaften Männer und Frauen getrennt lebten? Und warum malten die kleinen, gedrungenen Höhlenbewohner stets große, schlanke Figuren? Weil sie von sich selbst nur die Schatten kannten?
Erschienen in Costa Cálida Nachrichten, Juni 2007