Deutscher Orden: Als die Ostalb das Land der Kreuzritter war
Von Bernhard Hampp
Lauchheim - Sie trugen Kreuz und Schwert. Sie kämpften und beteten. Sie gelobten nicht nur Armut, Keuschheit und Gehorsam, sondern auch, die Bedrängten zu schützen und die christliche Sache mit der Waffe zu verteidigen. Viele Legenden ranken sich um die Rittermönche des Mittelalters, Templer, Johanniter und Deutschordensritter. Spuren in unserer Region hat vor allem der Deutsche Orden hinterlassen.
Markant thront Schloss Kapfenburg bei Lauchheim auf dem Abtrauf: ein sichtbarer Zeuge für die Pracht des Deutschen Ordens, der die ehemalige Stauferburg 1364 kaufte. Bis zu ihrer Aufhebung Anfang des 19. Jahrhunderts war die Kapfenburg eine selbstständige Kommende – eine Ordensniederlassung – die von einem Komtur geführt wurde. Berühmte Kommenden in der Region waren unter anderem Oettingen, Mergentheim und Ellingen bei Weißenburg. Von Ellingen aus leitete der Landkomtur den ganzen Ordensbezirk, die „Ballei Franken“.
Auch in Ellwangen, Unterschneidheim, Zipplingen und Nordhausen finden sich Relikte des potenten Ordens. Reich waren die Ritter, weil sie mit Ländereien und Gütern beschenkt wurden.
„Man muss sich den mittelalterlichen Menschen ganz anders vorstellen“, betont Buchautor und Heimathistoriker Winfried Kießling: „Der Glaube bestimmte das Leben, das Gebet war lebenswichtig, die Angst vor dem Jüngsten Gericht allgegenwärtig.“
Kreuzfahrer gründeten den Deutschen Orden zunächst als Spitalbruderschaft. Kurz darauf wurde er eine ritterliche Gemeinschaft zum Schutz der Pilger im Heiligen Land. Dann fasste er auch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation Fuß, vor allem aber an der Ostseeküste, wo die Mönche mehrere Jahrhunderte lang einen eigenen Staat besaßen.
Als Ritter- und Priesterbrüder, die den weißen Mantel mit schwarzem Kreuz trugen, kamen nur Adelige in Frage. Je mehr der Ortsadel in Schwaben an Bedeutung verlor und verarmte, desto mächtiger wurde der Deutsche Orden. Er kaufte Liegenschaften und sicherte sich die Patronatsrechte der Kirchen. So konnte er unter anderem die Pfarrer einsetzen. Im territorial zersplitterten Schwaben des Mittelalters und der frühen Neuzeit waren die Machtverhältnisse unklar: Der Ort Unterschneidheim, so Kießling, gehörte zu 60 Prozent dem Deutschen Orden. Den Rest teilten andere Grundherren wie die Grafen von Oettingen, die Reichsstädte Nördlingen und Bopfingen sowie die Klöster unter sich auf.
Licht in das unübersichtliche Machtgeflecht bringt Kießlings Buch „Das Deutschordens-Vogteiamt Unterschneidheim und seine Nachbarschaft“, das demnächst erscheinen soll. Kießling selbst, der aus Lauchheim kommt und in Stuttgart lebt, sammelt seit Jahren akribisch Fakten zum Deutschen Orden. Zur Recherche nutzt er weder E-Mail noch Internet, dafür gräbt er sich durch Archive und Bibliotheken.
Kießlings Buch berichtet von Unterschneidheim, wo der Orden 1363 die Kontrolle übernahm. Das heute noch imposante Rathaus war einst Vogteigebäude. Am Gebäude sind, für den Deutschen Orden typisch, drei Wappen zu sehen: das des Hochmeisters zu Mergentheim, das des Landkomturs zu Ellingen und das Wappen des für Unterschneidheim zuständigen Komturs zu Nürnberg. In der Kirche Sankt Peter und Paul prangt hoch über dem Altar das Wappen des Hoch- und Deutschmeisters Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, der gleichzeitig Fürstpropst in Ellwangen war. Das Pfarrhaus, vom Deutschordensbaumeister Franz Keller 1720 errichtet, haben die Unterschneidheimer Anfang der Siebzigerjahre abgerissen. Keller schuf auch das Kastenhaus des Deutschen Ordens in Nördlingen, das Schloss in Ellingen und den Hohenlohebau des Schlosses Kapfenburg, der heute das Schlossrestaurant und Tagungsräume beherbergt.
Zipplingen unterstand der Kommende Oettingen, die ab 1285 das Patronatsrecht ausübte. Neben der Sankt-Martinskirche erinnert das Pfarrhaus an den Deutschen Orden. Ein schlimmes Schicksal ereilte das Dorf im Dreißigjährigen Krieg, als es die Schweden dem Erdboden gleich machten. Auch im nahen Nordhausen, das ab 1322 zur Kommende Ellingen gehörte, zeugen Kirche und Pfarrhaus von der Macht des Ritterordens. Streit, wer das Sagen im Ort hatte, gab es mitunter zwischen dem Deutschen Orden und den Oettinger Grafen. Dabei ging es nicht selten bis vor das Hofgericht in Wetzlar oder das Kammergericht in Wien.
Kießling nennt ein Beispiel: War im 18. Jahrhundert eine hochgestellte Persönlichkeit gestorben, so mussten die Glocken vier Wochen lang täglich zur Trauer läuten. Um welche Uhrzeit geläutet wurde, bestimmte der jeweilige Herr im Gebiet. Deshalb hatte der Graf von Oettingen in seinem Einflussbereich Wachen in den Kirchtürmen postiert. Die Männer sollten dafür sorgen, dass zur gewünschten Stunde die Glocken klingen.
Die Deutschordensritter als Patronatsherren waren davon wenig begeistert. Sie machten sich von Ellingen aus auf einen 25-stündigen Marsch, um ihr Recht einzufordern. In Belzheim im Nordries warfen sie die Oettinger Soldaten spielend aus dem Glockenturm. In Nordhausen trafen sie auf mehr Gegenwehr, wie Kießling berichtet: Dort hatten sich die Oettinger nebst einem Fass Bier und zwei Laib Brot verbarrikadiert. Schließlich nahmen die Ritter die Kirchtürme in Nordhausen und Unterschneidheim ein, der Truppführer zog sich allerdings aus Angst vor Rache auf die Kapfenburg zurück.
„Die Kapfenburg war eine reiche Kommende“, betont Kießling. Wolle und Fleisch von den Schafhöfen rund um die Burg boten die Ritter auf der bedeutenden Nördlinger Pfingstmesse an. Der Komtur der Kapfenburg war zu diesem Zweck zeitweise Bürger der Stadt Nördlingen.
Schauplatz eines historischen Treffens war die Kapfenburg 1525. Der Deutsche Orden war in Bedrängnis. Rebellierende Bauern hatten viele Ordensburgen zerstört, der Hochmeister Albrecht von Brandenburg-Ansbach hatte sich der Reformation angeschlossen, den Ordensmantel abgelegt und das Herzogtum Preußen als weltliches Lehen angenommen. Auf der Kapfenburg fiel die Entscheidung, dass der gesamte Orden künftig vom Hoch- und Deutschmeister in Mergentheim geleitet werden sollte.
Hundert Jahre später residierte mit Komtur Johann Eustach von Westernach selbst ein Hoch- und Deutschmeister auf der Kapfenburg. Unter seiner Ägide wurde die Festung zum repräsentativen Fürstensitz der Renaissance ausgebaut. Noch heute blickt Westernachs gestrenges Bildnis von der Wand im Rittersaal. Sein Wappen mit dem gekrönten Wolf ziert viele Ecken und Winkel des Schlossgemäuers.
Aufgehoben, verboten, wiederbegründet: Die Wirren der Geschichte hat der Deutsche Orden bis in unsere Tage überlebt – allerdings nicht mehr als Ritterorden, sondern als karitative Gemeinschaft, in der Ordenspriester, Laienbrüder und Ordensschwestern tätig sind. Zum heutigen Orden gehört das Institut der Familiaren. Dessen Mitglieder sind meist Laien, die ein Versprechen auf den Orden abgelegt haben. Einer von ihnen ist Carl Herzog von Württemberg, der den Titel des Ehrenritters trägt. Er stattete der Kapfenburg und der Deutschordensstadt Lauchheim 2010 beim großen Landestreffen der Bürgerwehren einen Besuch ab.
Zeitleiste: Der Deutsche Orden 1196
Kaufleute gründen während der Kreuzzüge vor Akko (heute Israel) eine Hospitalgemeinschaft.
1198
Umwandlung in einen geistlichen Ritterorden.
1291
Verlegung der Hochmeisterresidenz nach Venedig.
1309
Verlegung der Hochmeisterresidenz auf die Marienburg (heute Malbork, Polen).
1364
Erwerb der Kapfenburg durch die Deutschordenskommende Mergentheim.
1410
Schlacht bei Tannenberg: Schwere Niederlage des Deutschen Ordens gegen Polen und Litauen.
1457
Verlegung der Hochmeisterresidenz nach Königsberg.
1525
Verlegung der Deutschmeisterresidenz nach Mergentheim.
1806
Übergang der Kommende Kapfenburg an das Königreich Württemberg.
1809
Aufhebung des Deutschen Ordens in den Rheinbundstaaten durch Napoleon. Verlegung der Hochmeisterresidenz nach Wien.
1929
Umwandlung des Deutschen Ordens, der nur noch in Österreich besteht, von einem Ritterorden in einen geistlichen Orden. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Deutsche Orden auch wieder in Deutschland aktiv.
Erschienen in Ipf- und Jagst-Zeitung/Aalener Nachrichten, 6. Mai 2013