Reisebericht von Alois Schneider: Durch das revolutionäre Spanien - die Reise der Schneider-Brüder Alois und Willi auf ihrem Puch 250 beginnt am Donnerstag, den 9. Juli 1936 von Hohenberg (Österreich) aus. Am 19. Juli betreten sie spanisches Gebiet.
Am 17. Juli hatten die Faschisten einen Staatsstreich mit zweideutigem Ergebnis durchgeführt, dem ein militärischer Aufstand folgte, der zwischen Loyalisten der republikanischen Regierung und faschistischen Putschisten aufgeteilt war, was den Beginn eines blutigen Bürgerkrieges bedeutete. Alois wird in diesem Tagebuch den Irrsinn des brüderlichen Zusammenstoßes dokumentieren, der manchmal sogar grotesk ist.
[Artikel veröffentlicht in O.M.W Zeitung Nr. 330-335 und Wiener Tagblat 23.08.1936]
Biarritz. Nach acht Regentagen erleben wir heuer zum ersten Male das Wunder des Wanderns. Wir stehen an der Küste des Meeres. In der Ferne ist es violett, grünlichblau in der Nähe; tiefgrüne Streifen zittern dazwischen; weiße Gischtkämme wandern zum Ufer. Zarte Wolkenschleier am Himmel, weiße Wolkerberge am Horizonte. Flutendes Sonnenlicht. Schwarze Felsen. Landzungen mit Palästen und Villen. In der Ferne die Pyrenäen, wild und schroff, von einem Nebelschleier umhüllt.
An der Grenze. Nirgends in der Welt sind die Beamten so liebenswürdig wie in Spanien. Die Pyrenäen sind hier bewaldet - ein herrliches Bild.
Wir kommen nach Irun. Was laufen aber hier die Menschen so närrisch zusammen?
Da steht ein Autobus. Es mutet uns zunächst komisch an, jeder der Burschen, die darin sitzen - es sind ihrer ungefähr zwanzig - hat ein Gewehr oder einen Revolver. Schußbereit. Auch ein Mädchen zeigt drohend die Waffe. Ist das das Sonntagsvergnügen der spanischen Sozialisten? Da haben uns die Zeitungen doch noch zu wenig berichtet. Willi will photographieren. 20 Gewehre sind auf uns gerichtet. "Non fotografiar!" Wilde, entschlossene, verwegene, verzweifelte Gesichter. Wir haben nicht Lust, unter der Kugel der jungen Amazone zu sterben, deren Augen am wildesten funkeln; Willi steckt den Apparat wieder ein. Die Menge erhebt die geballten Fäuste, die Insassen des Autos desgleichen. Fort ist es. Nun komnmt ein Schutzmann. "Podemos ahora fotografiar?" Ein energisches "Non!" Unhöfliche Menschen.
Wir fahren weiter. Aber schon nach einigen Hundert Metern versperrt man uns den Weg. Arbeiter mit Gewehren. Papiere zeigen! Man schaut den Paß an, man versteht nichts. "Fasistos?" - "Non!" - Socialistos? - "Si. Austriacos, amigos". - Die Mienen hellen sich auf. Geballte Fäuste. Wir können passieren.
Wir baden in dem Flusse, der neben der Straße fließt. Autos mit bewaffneten Männern und Frauen fahren vorüber. Geballte Fäuste begrüßen uns. Das schaut doch ein bißchen anders aus als die Dinge, von denen wir bisher in den Zeitungen gelesen. Da muß etwas Besonderes los sein.
Im nächsten Ort gehen Kinder und Frauen zur Kirche. Wir kaufen Weintrauben und Tomaten. Es ist bedeutend billiger als in Frankreich.
Aber wieder werden wir angehalten. Und wieder und wieder. Aber immer genügt die Beteuerung, daß wir keine Faschisten seien, sondern österreichische Touristen, die das schöne Spanien sehen und die liebenswürdigen spanischen Menschen kennen lernen wollen. Überall bewaffnete Leute. Hinter Häusern und Bäumen, Männer mit Gewehren. Autos mit roten Fähnchen.Ü Barrikaden auf der Straße. Aufgerissene Pflaster.
In San Sebastian wollen wir Benzin tanken. Der Bursche aber will uns nicht bedienen. Er sieht wahrscheinlich Spione in uns. Ein Mann, der gut französisch spricht kommt uns zu Hilfe. Er erklärt uns die Lage. In Spanien ist am Vorabend Revolution ausgebrochen. Ein Teil der Armee hat sich gegen die Regierung erhoben. Und mit ihr alle Faschisten.
Die Fahrt ist überaus schön. Steil geht es die Pyrenäen hinan, ein herrlicher Blick in das Tal. Der eigentümliche Charakter des Gebirges: breite, baumlose Abhänge, wild emporstarrende Massive.
In Vitoria scheint das ganze Volk auf der Straße zu sein. Ein großer Brandplatz. Wir fotographieren. Zuerst die Burschen - dabei erheben die meisten die Fäuste. Dann die Kinder - sie tun es den Großen nach. Zuletzt die jungen schwarzhaarigen Damen des Städtchens - die eine erhebt gleichfalls die Faust, zieht es dann aber vor, als friedfertiges, sittsames Mädchen fotographiert zu werden. Unsere Maschinen sind umlagert wie dereinst in Litauen und Lettland.
Wir fahren auf eine Hochebene. Hin und wieder Felder, meist aber ödes Karstland. Trotzdem es Sonntag ist, arbeitende Bauern. Männer, Frauen und Kinder auf Maultieren.
In jedem Ort eine Gruppe bewaffneter Leute. Aber nun auch Polizisten darunter. Wir fahren recht langsam heran, denn die Läufe der Gewehre sind immer auf uns gerichtet. Und sie bleiben es, bis die Untersuchung beendet ist.
Immer werden wir angehalten. Und wieder. Es fällt uns gar nicht ein, daß einmal eines der Gewehre, die auf uns gerichtet sind, losgehen könnte.
Wieder etwa 50 Bewaffnete. Halbwüchsige Burschen darunter. Schon wollen wir uns mit "Non fasistos!" befreien. Da bemerken wir zuguterletzt einen Geistlichen unter den Kämpfern. Wir haben es also nicht mit Sozialisten zu tun. Wir müssen die Pässe vorweisen und ich sage den Leuten, die die Gewehre auf uns gerichtet haben, daß wir Hunger hätten und etwas essen wollten. Da löst sich ein junger, intelligent aussehender Mann aus der Gruppe, gibt sein Gewehr einem Kameraden und läuft mit uns bis zu einem Geschäfte. Da ist ein kleiner schmutziger Raum, voll von Fliegen. Wir essen Sardinen und Brot und trinken ein Fruchtwasser dazu. Der junge Mann, der vorzüglich französisch spricht, erzählt mir über die ausgebrochene Revolution. Das Dorf ist auf der Seite der Aufständischen. Burgos ist ein Zentrum der Armee.
Wir fahren weiter. Ein Lastauto nach dem andern fährt nach Norden. Aus allen recken sich die Hände zum Faschistengruß. Alle sind schwer bewaffnet. Militärische Ordnung. O weh, die ziemlich undisziplinierten, zum Teil mit jagdgewehnen bewaffneten Leute, denen wir morgens begegnet. Vielleicht ist die junge Amazone schon tot.
Überall der Faschistengruß. Auch die Mädchen grüßen uns so. Es sind dies gar nicht die zurückgezogenen Spanierinnen, von denen man liest. Sie belagern uns, wenn wir stehen bleiben, sie wollen mit uns reden, sie wollen fiotographiert sein.
Weiter und immer wieder Autos mit bewaffneten Leuten. Überall faschistisch gereckte Hände.
Die Sonne ist hinter dem kahlen Bergrücken verschwunden. Pferde und Maultiere Weiden an den Hängen. Bauern schneiden Hafer. Vor uns auf dem Felde arbeitet ein schwarzhaariges Mädchen und singt. Bürgerkrieg wütet im Lande. Wir suchen ein Lager. Wir schlafen schlecht, hart und frieren gegen Morgen entsetzlich.
Grauer Himmel. Eigenhartige Baumanlagen mit „agua potable“, trinkbarem Wasser. Feiner, stechender Regen. Wenn das so weitergeht, haben wir Regen noch in der Sahara.
Burgos. Zweimal werden wir angehalten. Der Mann bei der Benzintankstelle ist gegen die Faschisten, er hat aber nicht den Mut, auf meine Fragen zu antworten. Ein Bewaffneter erklärt mir: Ganz Spanien ist in den Händen der Faschisten; nur Madrid nicht. In der Nähe von Madrid ist Kriegsgebiet. Es wird uns nicht möglich sein, in die Hauptstadt zu kommen.
Wir betrachten die einzigartige gotische Kirche mit den zwei hohen Vordertürmen, dem gewaltigen Mittelturme und den zahlreichen Türmchen und Pfeilern. Es regnet heftig. Wir flüchten in eine Trinkstube. Da sitze ich schon zwei Stunden lang und schreibe. Inmitten von Spaniern, die aufgeregt die Ereignisse des Tages besprechen.
Auf der Post werden wir verhaftet und von einem Kommissariat zum andern geschleppt. In einer Kaserne sind Tausende von Soldaten und Freischärlern beisammen. Waffen und Munition werden verteilt. Tiefe Sorge liegt auf den Gesichtern der meisten. Selbst die Offiziere sind nervös. Man hält uns fest und vergißt dann wieder auf uns. Nach einigen Stunden erst stehen wir in einer Kanzlei vor hohen Offizieren. Nach Madrid dürfen wir nicht. Dort hat noch die rote Regierung die Macht in der Hand. Eigentlich nirgends dürfen wir hin und wir sehen daraus, daß die Lage der Ãufständischen nicht so rosig ist, wie man sie uns vor kurzem geschildert. In Burgos sollen wir bleiben, bis es den Faschisten gelungen ist, in die Hauptstadt zu kommen. Nach langen Auseinandersetzungen gibt man uns schließlich den Erlaubnisschein für die etwa 150 km im Osten liegende Stadt Logrono.
Wir kommen nur langsam durch die Kette der Wachen. Es geht dann auf einer fast baumlosen Hochebene dahin. Wieder beginnt es zu regnen. Kein Dorf weit und breit. Keine menschliche Siedlung fast 30 bis 40 km lang. Es ist wohltuend. Keine Menschen, keine bewaffneten Menschen mit schußbereiten Gewehren, keine Revolution. Und als wir endlich in ein Dorf kommen, herrscht auch dort tiefer Friede. Man fragt uns, wie es in Burgos zugeht. Man warnt uns vor Logrono.
Es ist aber ganz ruhig in Logrono. Nur etwa 20 Militärautos mit bewaffneten Menschen und Maschinengewehren stehen vor uns. Es dünkt uns am besten, uns diesen anzuschließen, wenn wir weiter nach Osten vordringen wollen, Barcelona zu. In der Nähe davon, in Manresa, leben zwei Esperantisten, die mit Bekannten korrespondieren. Die will ich besuchen, bei denen will ich bleiben, bis die Sache vorüber ist.
Wir fahren weiter, über die erlaubte Grenze hinaus. An den Fenstern stehen Frauen und Mädchen, klatschen in die Hände und werfen den vorbeifahrenden Faschisten Blumen zu. Auch uns. Man glaubt, wir gehörten zu der in den Kampf ziehenden Kolonne. In manchen Ortschaften werden wir aber dennoch genau untersucht. Unser Passierschein aber wirkt Wunder. Man liest ihn gar nicht, man sieht nur den faschistischen Stempel, die faschistische Unterschrift, man läßt uns passieren.
Etwa 40 km fahren wir noch hinter den Autos. Vor einer kleinen Stadt aber bleiben sie stehen. Die Faschisten springen heraus. Schüsse knallen, ein Mann fällt, ein zweiter. Kein Schrei, kein Laut. Dann knattern wieder ununterbrochen die Gewehre. Etwas weiter entfernt. Die Barrikade ist erstürmt, die Faschisten sind in der Stadt.
Was tun? Sollen wir in die Felder hinein? Sollen wir zurück? Sollen wir durch?
Ich frage einen Mann, der bei den Äutos zurückgeblieben ist. Er sagt mir, er selbst gehe nicht in die stadt hinein, er sei kein Faschist, er sei Chauffeurn und Republikaner. Dann rät er mir, auf einer Nebenstraße in einem Bogen um die Stadt zu fahren. Nun krachen wieder ununterbrochen die Schüsse.
Wir fahren etwa 5 km. Auf einmal ein Graben - hundert Gewehre sind auf uns gerichtet. Ein wildes Geschrei, ein Schuß! Wir stehen. Ein Mann, dem die Nase fehlt, springt auf mich zu, setzt den Revolver an meine Brust und heult mir Worte zu, die ich nicht verstehe. Das Fratzengesicht erfüllt mich mit solchem Entsetzen, daß ich nur den Gedanken habe: Das ist also mein Ende. Kommunisten. Sie bringen dich um! - Und es war gut, daß ich zunächst keine Worte gefunden. Denn ich verstehe nun, wie der Nasenlose brüllt, daß wir uns in den Händen von Faschisten befinden und wir Spione seien. Da zeige ich meinen faschistischen Schein. Die jungen, zum Großteil 14- bis l6jährige Burschen, springen wie wütende Hunde an uns heran, anscheinend ungehalten darüber, daß ihnen eine Beute entgehen soll. Der Nasenlose wird aber nun unser Beschützer. Er treibt sie, den Revolver im Kreise schwingend, mit furchtbarem Geheul in den Graben zurück und prüft unsere Papiere. Ein Radfahrer wird uns zur Seite gestellt, der muß uns durch die Gräben begleiten, bis zur nächsten Ortschaft. Hier sind fast alle Leute bewaffnet, hier ist ein Lazarett. Man trägt Verwundete und Tote hinein. Ich sehe, wie man sich um ein sterbendes Kind bemüht. Wir werden bis aufs Hemd untersucht. In der nächsten Stadt dieselbe Prozedur.
In allen Dörfern, in allen Städten, die wir durchfahren, schreit man uns den Faschistengruß zu. Eine wahnsinnige Begeisterung. Kinder strecken uns ihre Händchen entgegen. "Eviva Espana!"
Wir können nicht weiter. Eine Barrikade, darauf die Worte, daß die neue Brücke gesprengt sei. Schüsse in der Ferne, jetzt näher. Ein Motorradfahrer jagt an uns vorüber, auf die verbotene Straße. "Kommt mit!" Da saust ein Auto heran. Wir bleiben stehen, wir werden angehalten, die falschen. Der Verfolgte flieht über die zerschossene Brücke. Die Offiziere, die Insassen des Autos, sind ergrimmt, als sie ihren Irrtum bemerken. Dennoch aber drückt mir einer die Hand, sagt mir, daß die Sache in Saragossa muy bien (sehr gut) sei und zeigt uns einen anderen Weg.
Immer ein breites Tal, ein weiter Horizont, ein eigentümlich geformtes, welliges, bergíges Land aus rotem Lehm. In der Ferne die Pyrenäen. Stoppelfelder, Weingärten, Wäldchen von Ölbäumen. Unter jenem Ölbaum schlafen wir den tiefen Schlaf der Gerechten.
Saragossa ist eine eroberte Stadt. Alle zehn Schritte Soldaten mit erhobenen Gewehren. Geschäfte gesperrt. Kein Gruß. Arbeiter mit gefesselten Händen gehen zwischen Soldaten vorüber. Dann werden auch wir verhaftet und vor einen Offizier gebracht. Das ist ein freundlicher Mann, der uns die Hände drückt und uns die Erlaubnis gibt, weiterzufahren. Nur vorsichtig sollten wir sein.
Wäre er doch weniger liebenswürdig gewesen. Wir fahren 25 km, werden durch alle Posten gelassen und erfahren nun, daß wir eine höhere Bewilligung brauchen, wenn wir die Provinz überschreiten wollen. Nach Saragossa zurück. Wieder bei einem Kommissariat. Wir werden verhört. "Welcher Partei gehören Sie an?" - "In Österreich gibt es keine Parteien." - "Sind Sie Nationalsozialist?" - "Nein." - "Welche Gesinnung haben Sie?" - "Wir sind Mitglieder der Vaterländischen Front." Wir können uns legitimieren. Man ist in allen österreichischen Dingen ziemlich bewandert. Man gibt uns ein Empfehlungsschreiben, das uns den Weg nach Barcelona öffnen soll. Vor uns stehen Arbeiter, die Hände hoch, und werden einer Leibesvisitation unterzogen.
Eine entsetzlich öde Gegend folgt. Etwa 40 km lang. Die Straße geht auf der Hochebene. Kein Baum, kein Strauch. Es ist heiß und wir bekommen einen Vorgeschmack von der Wüste. Steile Windungen aufwärts, abwärts. Ein Kanal, in dem das Wasser dahinschießt. Baden können wir nicht, wir würden in die Tiefe gerissen. Eine Waschung aber bringt uns Erfrischung.
Bergab, immer bergab, in kunstvollen, aber gefährlichen Windungen.
Endlich wieder eine Ortschaft und vorgehaltene Waffen. Unser Gepäck wird nach Waffen durchsucht. Kaum sind wir zwei km vom letzten Hause entfernt, fährt uns ein Motorrad entgegen. Zwei Burschen oben und - sehen wir recht? erhobene Fäuste. Was wird ihr Schicksal sein, wenn sie in das Dorf kommen? Äls wir uns von unserer Überraschung erholen, sind sie längst wieder vorbei. Vielleicht geht es gut ab, vielleicht waren die Bewaffneten des Ortes schon Republikaner. Wir hören kein Schießen.
In Fraga, einer kleinen Siedlung, essen wir. Die Leute, die uns umstehen, sagen uns, daß in Barcelona Ruhe herrsche und die Regierung an der Macht sei.
Dann sausen Äutos an uns vorbei, mit Bewaffneten, die zum Gruße die Fäuste ballen. Wir sind in der Ebene, im breiten Tale des Ebro. Felder mit Wein und Getreide, von zahlreichen Kanälen berieselt. Wälder von Ölbäumen und Feigenbäumen dazwischen.
Lerida. Das schreckliche Lerida, von dem man uns soviel gewarnt hat. Ein Dutzend bewaffneter Männer empfängt uns. Rote Armbinden nehmen uns jeden Zweifel. Ich erzähle, daß ich nach Manresa wolle, wo ich Freunde unter den Esperantisten habe. Da sind sie freundlich winden rote Schleifen in unser Knopfloch. Wenn wir diese tragen und zum Gruße die Fäuste ballen, würde uns nichts geschehen auf unserem Wege. Die Leute am anderen Ende der Stadt sind aber weniger naiv. Trotz unserer roten Schleifen lassen sie kein Stückchen unseres Gepäckes undurchsucht und durchstöbern unsere Papiere. Mir ist ein wenig bange wegen des faschistischen Geleitschreibens, das Willi im Uhrtäschchen trägt. Sie finden es nicht. Unter den zahlreichen Menschen, die uns umringen, ist kein einziger, der nicht eine rote Schleife trüge. Ein blondes Mädchen, eine Deutsche, ist darunter. Da wird die Verständigung leicht und die Arbeiter helfen uns, unsere Koffer zu schnüren.
In den Ortschaften, die folgen, erhobene Fäuste. Irgendwo weist man uns in ein Büro, damit man uns einen Passierschein ausstelle. Den faschistischen habe ich zerrissen. Wir halten es aber auch für klüger, die rote Knopfschleife in unsere Tasche zu stecken.
Im nächsten Ort eine Menschenmenge. Eine brennende Kirche. Todtraurig sitzt ein altes Mütterchen vor einem Hause und blickt unverwandt hin zu der Rauchsäule. Wir sind auf einer Höhe angelangt, wo Baumgruppen stehen. Daneben Weizengarben. Ihrer werden wir uns bedienen, wenn es dunkel geworden ist. Der Himmel ist blau mit rötlichem Schleier. Gerade im Westen die schmale Sichel des Mondes. Grillen zirpen. Wir sind gut gedeckt. Auf der Straße fahren Autos mit bewaffneten Leuten. Gute Nacht allen.
Wir fahren. Fruchtland zu beiden Seiten. Ölbäume, Mandelbäume, Wein, Stoppelfelder. Vor einem einsamen Haus halten wir. Eine alte Frau gibt uns Milch, Tränen stürzen über ihr Gesicht. als sie mit uns spricht. In Barcelona sind schon viele Hunderte Menschen getötet, viel Tausende verwundet.
Nach etwa 150 km biegt eine Straße ein ins Gebirge daneben. Nach Manresa - 29 km. Auf nach Manresa! Der wilde Bergrücken daneben ist der Monte Serrat, mit seinem weltberühmten Kloster, das eine der größten Bibliotheken Spaniens enthalten soll. In zahlreichen Kurven geht ben der steilen Höhe und dem schwíndelnden Abgrund bergab. Dann eine Siedlung. Barrikaden. Gewehrläufe versperren den Weg. Das wiederholt sich immer wieder, sobald wir zu einer Häusergruppe gelangen.
Ein Fluß fließt neben der Straße. Das Gebirge erinnert etwas an unsere Alpen, nur ist es viel weniger bewaldet als diese.
Manresa. Trotz unseres Passierscheines werden wir wieder einmal bis aufs Hemd untersucht.
In einem Kaffeehaus lasse ich Willi mit dem Rade und suche das Postamt. Hier will ich die Adresse von Esperantísten erfahren. Nach den Brieffreunden meiner Bekannten getraue ich mich gar nicht zu fragen. Sie könnten Faschisten sein, da könnte es uns schlimm ergehen. Ich suche, da bin ich auch schon verhaftet. Zwei Arbeiter, das Gewehr in der Hand, mißtrauisch jede meiner Bewegungen verfolgend. Sie führen mich aber zunächst zur Post, die - ich hätte es mir denken können - gesperrt ist. Lauter Arbeiter. Fast durchwegs ermüdete, abgespannte Gesichter. Der Vorsitzende. aus dessen verwildetem Gesichte aber intelligente Augen blicken, scheint guten Mutes zu sein. Er spricht gut französisch, ist aber auch etwas sarkastisch und so stehe ich ihm nur widerwillig Rede und Antwort. Es hat ihn gereizt, daß ich ihn mit Senor angesprochen und behauptet habe, daß ich keiner Partei angehöre. Ich aber bin verärgert über meine neuerliche Verhaftung. Ich hatte ja schon so vielen, alles was sie wollten, gesagt. Nun aber gefällt es mir, so zu sprechen. wie ich denke. Ich wolle nichts, als mit Esperantisten sprechen und dann weiterfahren. Weiterfahren? Wozu? Sie sind unser Gast. Sie können bei uns bleiben und die Fortschritte der revolutionären Bewegung verfolgen. Sie können mit uns essen und schlafen. Ríngsherum liegen Matratzen und Decken. Alles requiriert, wie das ganze Haus, der ganze Saal, das ehemalige Klubgebäude der Faschisten der Stadt.
So werde ich zwei Stunden festgehalten. Vielleicht ist der arme Willi auch schon werhaftet. Vielleicht auch schon unsere Maschine requiriert. Willi hat nicht einmal die wichtigsten Papiere und kann sich nicht verständigen. Ich habe obendrein vergessen, mir den Namen des Kaffeehauses und der Straße zu merken. Die tausend Leute, die da umherstehen, sind ja ın höchster Erregung. Endlich kommt ein Mann in Hemdärmeln auf mich zu. Ein paar Tage lang nicht rasiert. mit dem Ausdruck furchtbarer Ermattung im Gesicht. Er spricht Esperanto, er weiß, daß eine Österreicherin mit "Genossen" Ferrer - mir fällt eine Zentnerlast vom Herzen - korrespondiert. Es hat von mir einen Artikel in einer Esperantozeitung gelesen, er erfindet Dinge, die geeignet sind, mir das Herz des Vorsitzenden zu gewinnen. Ich muß mich zu ihm setzen, ich erhalte eine Zigarre von ihm, ich könne also bei ihnen bleiben, ich könne aber auch nach Madrid oder Lissabon gehen, wenn ich wolle.
Ich besuche die Brieffreunde. Willi wird geholt, fort geht der Zug. Ein Esperantist nach dem anderen erscheint, begrüßt uns, geht aber bald wieder fort. jeden gibt die Revolution etwas zu tun. Ein kleiner Mann, den ich für einen Kommunisten halte, ladet uns schließlich ein, ihm ín seine Wohnung zu folgen. Stockfinster ist der Eingang. In einem Zimmer sind gerade zwei Mädchen mit dem Auslösen von Mandelkernen beschäftigt. An den Wänden sind Heiligenbilder, in einem Zimmer daneben zahlreiche Kunstschätze: Heiligenstatuen und dergleichen. Es sieht hier aus. wie in einer Kirche. Und ich habe es nämlich nicht mit einem Kommunisten, sondern im Gegenteil, mit einem strenggläubigen Katholiken (ja mit einem erbitterten Faschisten) zu tun. Er fuhrt uns zu seinen Freunden. Zwei alte Damen sprechen zwei Stunden lang über die Bedeutung von Esperanfio im Dienste der Religion und der Kirche. im Hause eines Kaufmannes, eines neutralen Mannes, der sich der Hoffnung hingibt, daß auch bei einem Siege der Regierung die demokratischen Formen wieder zu Ehren kommen, verbringen wir einige schöne Stunden. Er hat eine reizende neunzehnjährige Tochter, die etwas französisch und ein wenig deutsch spricht und beim lezten katalaunischen Blumenfeste zur Blumenkönigin gewählt worden ist. Nach einer halben Stunde kommt atemlos das Dienstmädchen daher. Hausdurchsuchung. Der Mann eilt zurück. In nächster Nähe, beim Bahnhof wird geschossen. Das Mädchen zuckt zusammen, wie ein verfolgtes Reh.
Wir bleiben einen Tag lang in Manresa, essen und schlafen in einem Gasthaus und als wir zahlen wollen, hören wir, die Rechnung sei schon von der Esperantogruppe beglichen. Die beiden Brieffreunde sehe ich nicht mehr. Sie haben mir aber ein Empfehlungsschreiben erwirkt, einen Befehl an alle, die die Wege belagern: Niemand darf uns etwas zuleide tun. Man soll uns helfen und unsere Reise fördern.
Donnerstasg nachmittags. Weiter nach Barcelona. Fruchtland ringsum. Huertas, fruchtbare Gärten. Unser Schreiben wirkt Wunder. Die Gewehre senken sich. Wir können ungehindert durch die Barrikaden, die immer zahlreicher werden. Oft drückt man uns die Hände, nur einmal ist man mißtrauisch und bringt uns vor ein Revolutionsgericht.
In den Vororten von Barcelona sind alle 50 Schritte Barrikaden. Hohe Barrikaden aus Pflastersteinen. in denen Maschinengewehre eingebaut sind. Die Kämpfer, die hier eine rot-schwarze Armschleife tragen sind Anarchisten.
Wir sollen zum Revolutionskomitee. Eine Menschenmenge umgibt uns. Bewaffnete, Neugierige. Zwei Motorradfahrer, die nicht zu den. Kampftruppen gehören! Ein Rad, das nicht requiriert ist! Ein Deutscher kommt auf uns zu. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn. "Es ist heller Wahnsinn, was Sie tun! Bleiben Sie in Barcelona!"
Wir lassen uns schieben. Er schiebt uns zum deutschen Konsulat. Da ist man selber ganz ratlos. Er bringt unsere Maschine in eine Garage und uns in ein Hotel.
Wir schlafen. Ich werde durch Schüsse geweckt, die in nächster Nähe des Hauses fallen. Ein Feuergefecht zwischen den in den Häusern versteckten Faschisten und den die Straße beherrschenden Anarchisten. Willi sagt mir, daß das Schießen schon eine Stunde lang dauere. Am nächsten Tag führt uns der Deutsch-schweizer, der hier seit zehn Jahren als Mechaniker beschäftigt ist, durch die Stadt.
Überall die Greuel der Verwüstung. Die Häuser beschossen, zerschossen. Die aufständischen Offiziere hatten, unterstützt von den Faschisten, die Soldaten gegen die regierungstreue Polizei und gegen die Arbeıter geführt. Im Straßenkampfe wurden den ihnen von der Übermacht die Waffen entrissen, viele warfen sie weg. Die Offiziere mußten sich schließlich ergeben, und wurden fast alle getötet, wenn sie es nicht vorgezogen hatten, sich selbst das Leben zu nehmen. Erbitterte Kämpfe gab es um Kirchen und Klöster. Überall niedergebrannte und ausgeräucherte _Kirchen. Manche dürfen nicht betreten werden, da Einsturzgefahr droht. Auf der Straße liegen Altarbestandteile, Teile von Heiligenbildern und Engelflügel umher. Zahlreiche Lokale, die Versammlumgsorte der Faschisten gewesen, ausgebrannt, ausgeräuchert. Auch die deutsche und die italienische Schule. In den schönsten Palästen bewaffnete Arbeiter zur Erholung. Auf der höchsten Spitze der Kolumbus-säule waren Maschinengewehre. Wahrscheinlich liegen noch die Toten da oben. Überall in der Stadt ein eigentümlicher Brandgeruch. Es hat noch am Tage nach der Schlacht eine große Anzahl getöteter Pferde auf der Straße gegeben. Diese wurden dann an Ort und Stelle verbrannt. Immer Lastautos mit Kämpfern und nach allen Seiten schußbereiten Gewehren. Vor den Versatzämtern endlose Schlaıngen. Bis zum Betrag von 200 Desetas (etwa.150 Schilling) werden alle versetzten Gegenstände zurückgegeben. Sämtliche Gefängnisse geöffnet. Es ist die größte Revolution, die Spanien erlebt.
Im Hafen französische, englische, und deutsche Schiffe, die ihre Staatsangehörigen kostenlos nach Hause befördern. Wahrscheinlich könnten wir mit. Wir wollen aber nach Madrid. Der Passierschein, zu dem uns die Esperantisten in Manresa verholfen, behagt uns nicht. Sie taten des Guten zu viel. In Barcelona amtieren aber auch immer noch Regierungsbehörden; von dort wollen wir unsere Erlaubnis. Wir erhalten sie nicht, man schickt uns zur Grenze. Wir fügen uns, wir haben keinen rechten Willen mehr, wir lassen uns schieben. Es dauert einige Stunden, bis wir die Stadt hinter uns haken. Mehr als 50 Barrikaden versperren den Weg. Noch einmal nähtigen wir auf spanischem Boden.
Am nächsten Tag wieder durch Ortschaften. Immer wieder das gleiche Bild: gewehrstarrende Autos, Barrikaden, auf unsere Brust gerichtete Waffen, Revolutionsgerichte. Dann einige Stunden nichts. Aber tote Pferde liegen auf der friedlichen Straße.
Eine Zigeunerin, die aus dem Walde zu mir kommt, will mir über meine Zukunft erzählen. "Ich bin nicht neugierig darauf".
Wir überschreiten die Grenze. Da sagt man uns, daß eine halbe Stunde vorher vier verwundete Österreicher in einem Auto nach Frankrech gebracht worden sind.
An diesem Samstag im Juli 1936 "will" Herr Schneider seine Zukunft nicht wissen. Was er in dieser Woche gesehen hatte, "war schon an Zukunft".
Nach der Einsetzung der spanischen Republik am 16. Februar 1936, die Demokratie, soziale Gerechtigkeit und die Verteilung des Wohlstands zugunsten der ganz schlecht gestellten Landarbeiter und Arbeiten versprochen hatte, wurde am 17. Juli 1936 ein konterrevolutionärer Putsch organisiert, der von der katholischen Kirche, der Landaristokratie, den Monarchisten und Rechtsextremen getragen war, und der soziale Fortschritte kategorisch ablehnte.
Die Politik Frankreichs und Großbritanniens, die darauf abzielte, jegliche Einmischung in den Konflikt zu vermeiden, hatte den nationalistischen Kräften Tür und Tor geöffnet. Die spanischen Faschisten, die italienischen Faschisten und die deutschen Nationalsozialisten stürtzten sich wie Hyänen in ein Gemetzel, das den Traum der Bevölkerung, aus ihrer absoluter Armut heraus zu kommen, in Blut ertränken sollte.
Am 1. April 1939, als der Bürgerkrieg für beendet erklärt wurde, rächte sich die neue faschistische Regierung Spaniens mit einer beispielslos grausamen Säuberungskampagne, während ihre Alliierten nun anderswo Blut suchten. Nazi-Deutschland fand sein nächstes Opfer nur 5 Monate später, am 1. September 1939, als es sich auf Polen stürzte. Das war der Beginn des Zweiten Weltkriegs.
Bereits im Vorjahr, am 12. März 1938, hatte Alois Schneider den Anschluss Österreichs an Nazideutschland miterlebt. Kurz nach dem Anschluss war er von der Gestapo nach dem Grund für seine enge Korrespondenz mit Spanien befragt worden. Es waren seine Brieffreunde, die Esperantisten, die ihn zwei Jahre vorher in Spanien gerettet hatten. Nazi-Deutschland war ja militärisch stark in die Zerschlagung der neuen spanischen Republik involviert gewesen.
Man wusste genau, dass Herr Schneider ein überzeugter Sozialist war. Er beugte sich aber keiner Drohung und weigerte sich entschieden, das Parteibuch anzunehmen. So wurde er von seiner Arbeit als Schuldirektor in Hohenberg entlassen und konnte während der Zeit des Weltkriegs keine anderen Tätigkeiten ausüben.
Im Jahr 1936 war Alois Schneider auf die Zukunft "nicht neugierig" gewesen.
Ich gebe Ihnen recht, Herr Direktor Schneider. Es war damals sicher besser, nicht zu wissen, was da noch alles kommen sollte!