Dunkelheit, Stille, nur ganz dumpf dringen die Geräusche des nächtlichen Waldes an mein Ohr. Schüchtern bahnt sich ein zarter Lichtstrahl seinen Weg durch das Dickicht, spiegelt sich zart in den Wellen des Teiches, an dessen Ufer ich im nassen Moos liege und gibt langsam etwas von meiner Umgebung preis.
Ich erkenne meinen getreuer Kumpan und Waffenbruder, der am Wasser kniet, seine Rüstung abgelegt hat und sein Haupt mit dem kühlen Nass des Teiches erfrischt.
Auch ich lege mein Lederhemd ab, den Gürtel mit Schwert und Dolch beiseite, um mir den Staub des vergangenen Tages abzuwaschen. Ich will mich ebenfalls erfrischen um wieder bereit zu sein für neue Taten, die uns Rittern des „Feurigen Stuhls“ zur Ehre gereichen.
Der Morgennebel über dem Teich wird immer mehr von den stärker werdenden Strahlen der Sonne durchdrungen und langsam aufgelöst, doch die Erinnerung an das gestrige Abenteuer bleibt immer noch hinter dem Nebel in meinem Kopf verborgen. Das gestrige Tagewerk, was war es wohl?
War es Minnedienst für eine holde Maid, Kampf gegen Raufbolde und Wegelagerer um die hilfsbedürftigen Schwachen vor Unrecht zu schützen, oder war es eine Zusammenkunft mit anderen unseres Ordens. Diese Begegnungen, die traditionell mit vielen stolzen Reden beginnen, zu denen jeweils ein Humpen Wein geleert wird, und mit Branntwein enden, der sowohl die Schmerzen in den Gliedern lindert, wenn man sich nur kräftig damit einreibt, als auch viele Nöte und Sorgen vertreibt, wenn man nur genug davon trinkt. Alles zusammen führt oft dazu, das sich die Nebel im Kopf der edlen Ritter erst nach und nach im Laufe des nächsten Tages lichten.
Es muss wohl so eine Zusammenkunft gewesen sein, und doch blitzt da und dort die Erinnerung an das lächelnde Antlitz eines Mädchens auf, an anmutige Körper, die sich im Tanze wiegen, um uns alten Haudegen den Kopf zu verdrehen. War es wohl zweien der liebreizenden Marketenderinnen gelungen, meinen Gefährten und mich etwas abseits, im Schutz der Dunkelheit, zu umgarnen und sich unserer Minnedienste zu versichern? Waren sie vielleicht frühmorgens aufgestanden, um uns ein kräftiges Frühstück zu besorgen? War meine Maid auch wirklich lieblich und hübsch anzusehen?
All die Antworten auf diese Fragen sind noch hinter dichtem Nebel in meinem Kopf verborgen. Auch mein Kumpan und Feuerstuhlbruder versucht mit klarem Wasser aus dem Teich die Nebel in seinem Kopf zu verjagen. Als ich neugierig zu ihm hinüberblicke, bekomme ich nur ein fragendes Kopfschütteln retour. Noch bevor wir gemeinsam versuchen können, die Ereignisse der Nacht, des vergangenen Tages zu rekonstruieren, hören wir laute Geräusche. Ist es das Stampfen von Pferdehufen, ist es ein Wiehern? Die Geräusche verstummen plötzlich, ich höre leichte Schritte auf uns zukommen und erkenne die beiden Marketenderinnen vom gestrigen Treffen! Wie ein Blitz kommt die Erinnerung, sofort gefolgt von einer weiteren, folgenschweren Erkenntnis!
Sie sind gar nicht wie Marketenderinnen gewandet, nein, sie tragen, wie soll ich es benennen, „Jeans“, so sagt man wohl in einer fernen Zukunft dazu. Dann erkenne ich das Gesicht meiner Mary, und dann das Antlitz von Moni, der Freundin meines Motorradkumpels Willi! Die Wirklichkeit stürzt auf mich ein, die Nebelfetzen in meinem Kopf werden von Marys Worten hinweg geblasen. „Wir haben euch Kaffee und Wurstsemmeln mitgebracht, ihr seid ja gestern am Mittelalterfest voll abgefahren auf alles was mit Ehre, Ritterlichkeit, und vor allem Saufen zu tun hat, auch wenn der Minnedienst abends darunter gelitten hat! Jetzt reißt euch zusammen, wir wollen ja noch zu Franz fahren, der uns in sein Haus eingeladen hat.“
Wir trinken den starken Kaffee, der uns mit Hilfe der Wurstsemmeln vollends in die Gegenwart zurückholt und brechen auf. Ich ziehe meine Lederjacke wieder an, setzte den Helm auf und öffne mein Visier während ich meine Maschine anlasse. Es klingt ein klein wenig wie Wiehern von Pferden in meinen Ohren, als sie anspringt, während Willis Einzylinder am Stand dahin tuckert und das Trampeln von Pferdehufen erahnen lässt.
Als wir auf einem Feldweg die Bundesstraße erreichen und uns in den Verkehr einordnen, finden meine Gedanken an ein schönes, fantasiereiches Versinken in eine alte, uns fremde Welt einen Ehrenplatz in meinen Erinnerungen.