Tante Resis Skoda

Als ich in die Volksschule ging, war die Westautobahn kurz vor Wien aus. Man fuhr bei der heutigen Ausfahrt Pressbaum herunter auf die Bundesstraße Nr.1 denn die Autobahn bis Auhof, wo sie heute in das Wiener Straßennetz mündet, musste erst noch gebaut werden.

Nun, wie kam ich als Taferlklassler auf die Autobahn. Ganz einfach, ich hatte eine Tante in St. Pölten. Tante Resi wohnte mit meinem Onkel Franz zwischen dem Bahnhof St. Pölten Hauptbahnhof und der Westautobahn.

Manches mal besuchte ich mit meinen Eltern die Tante. Meistens führen wir mit der Westbahn in einem Eilzug, der zwar ein bisschen langsamer war als die Schnell und Expresszüge, aber man sparte sich den „Schnellbahnzuschlag“, der für meine Familie doch teuer war, lieber brachte mein Vater eine Jause für alle mit, denn „die Tante und der Onkel haben ja auch keinen „Geldscheißer“ sagte er immer zu mir.

Tante Resi verlor in der Kindheit ihre beiden Beine unterhalb des Knies. Sie ging mit Prothesen und lernte Onkel Franz, der ebenfalls eine Behinderung hatte kennen, mit dem sie sich ein Auto leisteten, denn die Beiden wollten ein bisschen was von der Welt sehen, und durch ihre Behinderungen war normales Reisen sehr mühsam. Sie schlossen sich immer Autoreisegruppen an, die vom ÖAMTC geführt wurden, auf den Campingplätzen halfen alle zusammen, und so konnten auch die beiden ihr kleines Stück vom Wirtschaftswunder, dem Aufschwung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges genießen.

Onkel Franz konnte durch seine Körperliche Behinderung kein Auto lenken, meine Tante brauchte damals Spezialumbauten. Kupplungs- und Bremspedal waren breit und so gestaltet, das sie nicht abrutschen konnte. Damit sie gefühlvoll Gas geben konnte, hatte sie ein Pedal das sie seitlich mit dem rechten Knie nach außen drückte. Das ging viel besser als mit den Beinprothesen.

Also kamen wir mit unserem Jausenpackerl bei meiner Tante an, verbrachten mit den beiden einen netten Nachmittag und Onkel Franz bestand dann immer darauf, das sie uns mit ihrem Auto, einen Skoda 440, auf den er sehr stolz war, nach hause nach Wien brachten.

Tante Resi konnte ihrem Franz nichts abschlagen und so saßen wir schon bald im Auto Richtung Wien. Auf der Autobahn war es damals sehr ruhig und man konnte entspannt dahin fahren.

Nur als man sich dem Ende näherte, galt es noch den einen oder anderen Lastwagen zu überholen, damit man nicht nachher auf der Bundesstraße hinterher zuckeln musste. Tante Resi am Steuer war eher vorsichtig und zurückhaltend, während Onkel Franz eher der Draufgänger zu sein schien.

Bei Altlengbach konnte er meine Tante noch sehr einfach dazu überreden, die Lastwagen zu überholen. Meine Mutter schlug sich auf die Seite ihrer Schwester und meinte, wir hätten es ja nicht eilig, mein Vater besänftigte sich und sagte, das müssen die Autofahrer selbst bestimmen. So wurde es im Auto ruhiger und wir verfolgten jedes einzelne Überholmanöver mit Spannung.

Es kam vor, das sich meine Tante kurz vor Pressbaum plötzlich sehr unwohl fühlte, denn sie wollte langsamer werden, trat bereits kräftig auf die Bremse, um sich hinter einem Lastwagen einzuordnen, während Onkel Franz mit der Hand auf ihr Kniepedal griff und mit den Worten „Komm Reserl, den pack ma no!“ ordentlich Gas gab. Wie auch immer, manchmal reihte sich Tante Resi hinter dem Lastwagen ein, manchmal konnte sie ihn gerade noch überholen, bevor die Straße enger wurde, und wir führen weiter nach Wien.

Es wurde oft die ganze Fahrt entlang des Wienflusses bis hinein an Schönbrunn vorbei kein Wort zwischen meiner Tante und Onkel Franz gesprochen, bevor sie sich wieder zulächelten und vertrugen. So sind mir Onkel und Tante mit ihrem Skoda auf ihre eigene scharmante Weise im Gedächtnis geblieben.