Letzten Winter kam mein Kater Sleepy immer öfter abends zum Übernachten ins warme Haus. Er, der Naturbursche, der Wind und Wetter trotzt, sein Revier immer kontrolliert, bei Regen, Schnee oder Sonnenschein, wird langsam alt. Er sucht immer öfter die Wärme, springt dann auf die Wohnzimmerbank, wo ich abends oft sitze und fernsehe. Wenn die Decke, die dort liegt, nicht schön zusammengelegt und für ihn frei ist, maunzt er leise, so als ob er sagen will „Na geh, meinen Platz ist nicht hergerichtet.“ Dann streiche ich seine Decke glatt, er macht es sich bequem und ich lege meine Hand sanft streichelnd auf ihn.
Manchmal sehen wir uns an, und mir fallen so allerlei Geschichten über Herrn Katzerich, so nenne ich ihn dann, ein. Er erinnert mich irgendwie an mich selbst, zeigt mir, das auch ich schön langsam alt werde, denn ich genieße ebenfalls die Wärme vorm Schweden-Ofen, die mich früher gar nicht interessiert hat.
Sanft streiche ich ihn über sein linkes Ohr, das von vielen Kämpfen mit Revier-Rivalen gekennzeichnet ist. „Altes Schlitzohr“ sage ich leise zu ihm, während ich bemerke, das mein Fuß wieder schmerzt.
Ich bin auch kein Springinkerl mehr, so wie Sleepy, der vor vielen Jahren einen etwa ein Jahr alten Findlings-Kater, den wir „Mr. O´Malley“ nannten, unter seine Fittiche nahm. Er brachte ihm all den Unsinn bei, den ein gesunder junger Kater können muss. Die zwei sprangen sich an, krachten einen Meter über dem Boden in der Luft zusammen, jagten einander über Stock und Stein, aber wehe eine fremde Katze ließ sich blicken. Sofort waren beide Seite an Seite im Vormarsch gegen den Eindringling. Nachdem Mr. O´Malley alles von Herrn Katzerich gelernt hatte und sein eigenes Revier wollte, zog er weiter. Unsere Gasse verträgt nur einen ausgewachsenen Kater, unseren! Herr Katzerich hat sein Revier fest im Griff, oder besser gesagt, in seinen Krallen. Er ist der König der Löwen des Flugfeldviertels. Ich mag ihn sehr. Wir zwei haben wohl viel gemeinsam.
Ich stehe auf um mir einen Kaffee zu holen, mein Fuß tut mir weh und ich muss plötzlich daran denken, wie Herr Katzerich mit hängendem Schwanz humpelnd die Gasse entlang kam. Als er mich entdeckte, streckte sich sofort sein Schwanz steil in die Höhe, stolzen Schrittes kam er ins Haus, von humpeln keine Spur mehr. Trotzdem musste ihn der Tierarzt versorgen, denn seine Vorderpfote war durchgebissen und eiterte stark. Ich konzentriere mich auf meinen Schritt, gehe aufrecht und gleichmäßig in die Küche, mein Kater muss ja nicht sehen, das ich Schmerzen im Fuß habe.
So wie ich meine Familie gerne unterstütze, kümmert sich auch mein lieber Sleepy um unsere Katzenfamilie. Durch einen Wohnungswechsel von Sohn Georg kamen seine zwei jungen Katzen zu uns ins Haus. Beide waren eher verschreckte Wohnungskatzen, die nun langsam Garten und Umgebung kennenlernen durften. Besonders Nura war immer mit Sleepy unterwegs. Sleepy, der ja zumeist die ganze Nacht auf Zug durch die Gemeinde war, wusste wohl, das wir uns Sorgen um die jungen Katzenmädchen machten, wenn sie nicht um Zehn Uhr abends zu Hause waren. Ich sah ihn immer wieder so gegen dreiviertel Zehn mit Nura die Gasse entlangkommen. Er setzte sich dann auf der gegenüberliegenden Straßenseite hin und wartete, bis Nura an der Türe gekratzt hatte und hereingelassen wurde. Wenn er sie dann wohlbehalten abgeliefert hatte, machte sich Herr Katzerich wieder auf den Weg zu seinen nächtlichen Wanderungen. Ob er wohl heute auch noch bis spät in die Nacht durch die Gegend streift? Ich bin schon lange nicht mehr so spät unterwegs, wie früher.
Ich gehe mit meinem Kaffee zurück zur Fernsehbank und streichle meinen Kater, der das mit wohligem Schnurren quittiert. Ich ziehe ein Stück der Decke über meine Knie, Sleepy drückt sich näher an mich und steckt seinen Kopf unter meine Hand. Ich spüre eine starke Verbundenheit mit meinem Kater, leise, an die vielen gemeinsamen Erlebnisse denkend, sage ich zu ihm „Alt werden wir halt.“
Das mag er nicht. Herr Katzerich steht auf und geht. Wenn ihm was nicht passt, geht er einfach. Ich verstehe ihn, ich mag ja auch nicht ans alt werden denken.
Ich werde jetzt auch einfach gehen!