Zuerst Vorgestern und dann Gestern schon wollte ich den Account löschen, vorher nur noch kurz reinschauen, ob es was neues für mich gibt, ob mir jemand geschrieben hat, mir jemand geantwortet hat.
Es ist dieses faszinierende Reich der Fantasie, der Abenteuer, die oft so unglaublich, aber auch so erregend und so erfüllend scheinen, das man sich darin völlig verlieren kann.
Man tauscht sich mit anderen aus, über seine Vorlieben, seine Fantasien, kommt ins schwärmen, ob der Möglichkeit, endlich mit Gleichgesinnten darüber zu plaudern, und vielleicht sogar all das, wovon man schon immer geträumt hatte, gemeinsam tun zu können.
Und doch, letztendlich klappt es nicht. Vieles ist so fremd, unrealistisch, und doch, im Gespräch wird es konkret, einfach machbar, zur Erfüllung eines langgehegten Wunsches, den man doch immer schon hatte. Und dann, wenn es schon fast soweit ist, das es real wird, das man sich wirklich in ein Abenteuer der ganz besonderen Art hineinstürzen kann, kommen die Zweifel.
Auf wem lasse ich mich da ein, ich kenne die Person ja gar nicht. Mache ich mir nur etwas vor; wird mir da etwas vorgegaukelt, was ja gar nicht der Realität entspricht? Gut, ich habe auch ein bisschen geschummelt, mich interessanter gemacht, mich so beschrieben, wie ich sein wollte, und nicht wie ich bin. Klar, das macht man so, das sagt jeder, ein bisschen schönfärben ist doch ok. Und wenn es vielleicht doch in viel größerem Maßstab getan wird? Wenn die Anonymität des Internets schamlos ausgenutzt wird, um mich zu täuschen? Ob ich vielleicht nur in die Irre geführt werde, damit man sich über mich lustig machen kann, weil ich das Unglaubliche glaube?
Na schön, auch ich habe ja so manches etwas dick aufgetragen, behauptet, das ich meine wilden Fantasien schon oft real und mit großer Freude für alle Beteiligten realisiert habe. Problemlos, ohne Pannen, ohne sich Weh zu tun, einfach nur zum Vergnügen. So habe ich es immer wieder beschrieben, was ich mir bis jetzt meist nur in meinen kühnsten Träumen zusammen fantasiert habe. Oft habe ich keine Ahnung, wie etwas in der Realität sein würde, und doch behaupte ich vor den Anderen nur das, was mir wahrscheinlich gefallen würde, auch ein klein wenig wozu mich die anderen anstiften, oder um Anzugeben, was ich alles bewerkstelligen könnte.
Was ist, wenn ich an so jemanden komme, wenn ich beginnen will, Sachen zu probieren, von denen wir keine Ahnung haben, wir die Risiken nicht kennen und nicht wissen, wie wir uns absichern sollten?
Und doch, immer wieder kommt die Verlockung, eine neue Formulierung, die ja so fantastisch real, so überzeugend so gefühlvoll, so wirklichkeitsnah ist.
Wenn so viele davon schreiben, da muss doch etwas dran sein, da wird es doch da draußen jemanden geben, der all diese Dinge tut, der mit mir all diese fantastischen Dinge erleben will.
Mit gegenseitiger Achtung, gegenseitigem Vertrauen und gegenseitiger Rücksichtnahme, das wäre die Voraussetzung. Aber ist das nicht ein Paradoxon. So manches dieser Abenteuer, von denen wir hier sprechen, basiert doch auf dem Spiel mit der Rücksichtslosigkeit, den Reiz der Missachtung, den man auskosten will, das Vertrauen einzutauschen gegen eine Hilflosigkeit, die den Partnern das Spielfeld von Macht und Unterwerfung eröffnet ?
Ist in solch einem Gedankenspiel, einem erregenden Traum, nicht eine völlig andere Welt mit ihren eigenen Gesetzen vorherrschend, die ja jederzeit durch das Aufwachen zurück in die sichere Realität zurückgelassen werden kann, ohne Schaden zu nehmen.
Nur mit einem erregenden Prickeln ob der traumhaften Erinnerung an ein befriedigendes Spiel mit dem im Traum selbst erschaffenen Partner, vielleicht einer wunderhübschen, zarten jungen Sexbombe, die sich bereitwillig unterordnet, einem in allen Belangen und Gelüsten hörig ist, oder vielleicht ein strenges, in schwarzes Leder gekleidetes Vollweib mit üppigen Rundungen, eine Reitgerte in der Hand haltend, mit der sie ihre Forderungen zur Erfüllung der triebhaften Lust unterstützt. Auch nur Teil einer wilden Orgie zu sein, in der man alle Hemmungen hinter sich lassen kann, ist oft ein solcher Traum, es gibt ja so viele verschiedene Varianten des Lustgewinns.
Egal, ob man schweißgebadet aufwacht, wie aus einem Albtraum, endlich der wilden, unersättlichen Domina entkommen, aber dennoch ein Gefühl prickelnder Erregung gepaart mit seltsam wohligen Schauern in sich fühlt, oder ob man sich nach dem Erwachen zurücksehnt, nach der tollen Sexbombe, mit der man spielen durfte, oder lieber das ausgelassene Treiben der frivolen Gruppe fortsetzen möchte, kann man das überhaupt in die Realität übertragen?
Obwohl es in vielen Foren, Datingseiten und Communities im Internet genauso beschrieben wird, genauso davon gesprochen wird, denke ich doch, das es nicht direkt möglich ist, das alles so einfach Real werden zu lassen.
Wie fantastisch es sich auch anfühlen würde, es wären dann nicht einfach nur Traumfiguren, die ihre zugewiesenen Rollen spielen, selbst fiktiv erschaffen, wie in so manchen modernen Videospielen, sondern man hat es mit Menschen zu tun. Menschen, denen vielleicht diese Spiele ebenfalls gefallen, aber dennoch Menschen mit ihren persönlichen Bedürfnissen, Gefühlen und ganz besonders mit ihren Stärken und Schwächen, die oft auch ihre speziellen Tricks anwenden, um zu bekommen, was sie wollen.
Dann ist es aus mit der Traumwelt, mit den Cyber Abenteuern, wo es offensichtlich nur um einen selbst geht, und man alles herum, auch die „handelnden Personen“ frei erfinden kann, und man keine Rücksicht darauf nehmen muss, das es sich um echte Menschen, um eigenständige Persönlichkeiten handelt, die nicht nur das geben wollen, was man gerne haben möchte, sondern sich auch nehmen, was einem nicht gefällt, was einem vielleicht sogar schadet.
Ich merke auch immer wieder, dass die Suche nach dem großen Glück im Internet nichts bringt, nicht im realen Leben, weil es sich hier um nichts reales handelt. Das Leben überhaupt nicht widerspiegelt.
Sollte ich nicht wirklich lieber meinen Account löschen?
Mit so vielen habe ich geschrieben, Vorlieben und Wünsche geteilt. War das alles wirklich nur zur Anregung der Fantasie bestimmt, zum Ausschmücken der Träume?
Oder vielleicht gibt es ja irgend wo da draußen doch jemanden, ….
wer weiß? ...
Soll ich nicht wirklich gleich meinen Account löschen?
Vielleicht schaffe ich es dann, wieder mehr Zeit für die realen Dinge, die echten Schönheiten des Lebens zu haben.
Aber zuerst, nur ganz kurz, muss ich noch einmal reinschauen! Vielleicht hat sich ja doch von irgendwo da draußen …
Nur ganz kurz, nicht wieder so lange wie gestern, und vorgestern, ….
UPS, es ist wieder sehr spät geworden! Ich gehe jetzt schlafen!
Morgen, gleich in der Früh, da lösche ich den Account! Morgen, ganz sicher!
Das habe ich ganz fest vor!
Morgen!
Vielleicht sollte ich vorher nur schnell reinschauen?---