In einer sternenklaren Nacht um Neumond ist es finster. Nur ein alter Seebär, der in seiner Jugend noch gelernt haben mag, nach den Sternen zu navigieren, findet leicht seinen Weg. Wir anderen Menschen unserer Zeit brauchen noch ein bisschen zusätzliche Hilfe. Die Rücklichter eines Autos, die immer kleiner werden, oder ein schwacher Lichtstrahl, der immer stärker leuchtend näher kommt und sich zu guter Letzt teilt und damit beide Scheinwerfer zu erkennen gibt. So erkennen wir den Verlauf einer Straße. Wir bemerken Kurven und, wenn die Lichter rhythmisch aufblitzen, so wissen wir, diese Straße ist von Bäumen gesäumt. Das sind nur kleine Beispiele wie wir an einfachen Details Wege erkennen, oder durch fahles Spiegeln des Sternenlichtes auf Wasser aufmerksam gemacht werden, sei es eine ruhige Oberfläche eines Teiches auf der wir die Sternbilder spiegelverkehrt und kaum verschwommen erkennen können oder das unruhige Gefunkel auf den Wellen eines dahinplätschernden Baches. Hören wir dazu ein Tosen, so sind größere Wassermassen auf ihrem Weg. Auch die vielfältigen Geräusche geben uns so allerlei Wissenswertes über unsere Umgebung preis, wenn wir genauer hinhören. So verliert die Dunkelheit rasch ihren Schrecken, denn wir sind nicht blind und verloren, diese Dunkelheit schärft rasch unsere Sinne und macht uns auf ihre Art mit unserer Umgebung vertraut.
Anders jedoch der Nebel. Er schluckt die Geräusche, die zu uns dringen wollen, er verzerrt die Lichter rund um uns und stumpft unsere Sinne ab. Als Ausgleich dafür regt er unsere Phantasien an. Nicht unsere Umgebung lässt uns der Nebel erkennen, nein er holt unsere tief verborgenen Ängste und Nöte aus den hintersten Winkeln unserer Seele hervor und projiziert sie, gemeinerweise unter Zuhilfenahme unserer eigenen Phantasien, in den strahlendsten Grautönen seiner vielfältigen Schwaden. Erfolgreich lässt uns der Nebel damit an unseren Verstand zweifeln, versetzt uns in Panik ob der Bilder, die wir zu sehen glauben. Sitzen wir am Steuer unseres Wagens, so wissen wir Bescheid, kennen die schmutzigen Tricks des Nebels, der uns ins Unglück lenken will. Wir wissen, das der Troll, der mitten auf der Straße vor uns auftaucht, nur ein Gespinst aus Nebel und verirrten Lichtern ist und halten direkt auf ihn zu, doch als dieser Troll zum übergroßen Riesen mutiert, hat schon so manch einer ein Vorderrad in den Matsch neben der Fahrbahn gesetzt und die Gewalt über sein Auto verloren.
Halten die Nerven und sehen wir den zu wahrhaft gigantischen Ausmaßen angewachsenen Troll plötzlich in zarte unscheinbare Wattewölkchen zerfallen, so geben wir wieder Gas, denn unbewusst haben wir ja doch gebremst und hinter uns nähern sich zwei Scheinwerfer mit rasender Geschwindigkeit. Während wir runter schalten um schneller weg zu kommen, pressen wir den Kopf nach hinten in die Kopfstützen um das berühmte Peitschenschlagsyndrom zu mildern, das dem nicht auszuschließenden Aufprall, verbunden mit splitternden Glas und dem plötzlichen Erlöschen der auf uns zuschießenden Scheinwerfern unweigerlich folgen konnte.
Da reißt der Nebel auf, völlig klare Sicht ist vor uns, der Truck, bereits gefährlich nahe hinter uns, blinkt links, schert im letzten Moment aus, überholt und verschwindet in dem wieder dichter werdenden Nebel vor uns.
Der Klang des großen Diesels verändert sich, als sich der Lastwagen langsam im Grau vor mir auflöst und es scheint mir einen Moment so als ob der Nebel zu mir spricht: „Gut gemacht, mein Freund. Ich werde das nächste mal noch tiefer in die Trickkiste greifen müssen, um dich zu fordern.“
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An der nächsten Rastmöglichkeit halte ich an um meine Nerven zu beruhigen. Der Nebel hatte mich „mein Freund“ genannt. Will ich das? Ist das vielleicht sogar eine Ehre? Ich bin nicht in der Lage, diese Fragen zu beantworten. Ich weiß nur eines, Ich kann auf keinen Fall erwidern und den Nebel meinen Freund nennen!
Langsam lässt mich der Nebel los, meine Gedanken werden wieder frei und ich fahre ruhig nach Hause.