Morgengrauen

„Wo bin ich?“ war Sibilles erster Gedanke an diesem schönen Morgen. Während sie langsam wach wurde, schossen die Fragen nur so durch ihren Kopf. Sie sah die Morgensonne durch ein ihr fremdes Fenster scheinen. Sie lag - ja wo war das nur - ihr Bett war es auf keinen Fall, auf einer ihr fremden Couch. Sie dachte nach, was war geschehen? Und was hatte sie an? Erschreckt fühlte sie an ihrem Körper unbekanntes, Neues. Das war kein Nachtgewand, auch nicht ihre übliche Freizeitkleidung.

Warum dachte sie nur an Freizeitkleidung? Klar, es war Sonntag Morgen, es ging um eine Wochenende. Sie machte mit ihrem Freundeskreis einen Ausflug. Und außerdem war da noch was, aber was wohl? Erst einmal fertig aufwachen, dachte Sibille, während sie sich wieder mit dem Gefühl auf ihrer Haut beschäftigte. Nun wusste sie es, es war Leder, das sie auf ihrer Haut fühlte. Ihre Hände betasteten ihren Oberkörper, langsam blickte sie an sich hinab, als sie sich aufsetzte und die Decke weggerutschte.

Sie war mit einem Ledermieder bekleidet. Ein sexy Teil, das ihren weiblichen Körper schmeichelte und äußerst attraktiv formte. So etwas hatte sie sich immer schon in ihren geheimen Träumen gewünscht. Eine Mischung aus zwei Teilen mittelalterlichem Kurtisanen – Kostüm, wie sie es von diversen Mittelalterfesten kannte, und einem Teil Lederfetisch für den frivolen extra Kick.


Zwei neue Gedanken schossen ihr durch den Kopf! Warum habe ich das an und wie geht meine Bekleidung untenrum weiter? Sie sprang auf, blickte an sich hinab und sah die design gerechte Fortsetzung nach unten.

Ein Höschen aus weichem schwarzem Leder bekleidete sie spärlich. Ein breiter dazu passender Gürtel verband Höschen und Mieder. Neben der Couch fand sie ein Paar passender kniehoher Stiefel, die Sibille gleich anzog, um vollends aufzustehen.

Da spürte sie etwas unterhalb des Gürtels! Was war das. Ihre Hände tasteten danach. Ein Vorhangschloss hing an ihrem Lederhöschen. „Ist das ein Keuschheitsgürtel?“ schoss es Sibille durch den Kopf , sie fingerte nervös daran herum, ließ sich wieder auf die Couch fallen.


„Wo bin ich, was ist passiert, warum habe ich diese Sachen an, Wo ist mein Gewand, mit dem ich hierher gekommen bin?“ Die Gedanken rasten in ihrem Kopf „Warum trage ich einen Keuschheitsgürtel? Habe ich in der Nacht, ohne es zu wissen Sex gehabt und der Typ will mich nun ganz für sich und hat mir deshalb einen Keuschheitsgürtel verpasst? Und wo ist mein Freund, oder war er es sogar, der mich verschlossen hat, um mich vor anderen zu schützen? Wo bin ich da hineingeraten?“

Sibille sah sich in dem Raum um in dem sie sich befand. Sie lief zur Tür und probierte ganz vorsichtig, ob sie sich öffnen ließ. Es ging. Sibille schloss die Türe gleich wieder ganz leise und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie war nicht eingeschlossen. Etwas beruhigter, öffnete sie die Tür nochmals einen Spalt und sah hinaus in einen Gang mit vielen Türen. Schräg gegenüber sah sie ein Tür mit dem Schild „00“.

Und wie soll das jetzt klappen, dachte sie bei sich. In ihrem Zimmer fand sie einen Bademantel, den sie überwarf und über den Gang nach „00“ huschte. Sibille drehte den Besetzt - Riegel herum und stellte plötzlich zu ihrer Erleichterung fest, das neben dem Vorhangschloss ein verdeckter Zip war, somit war ein großes Problem gelöst.


Sibille wusch sich die Hände und betrachtete sich in dem großen Spiegel über dem Waschbecken.

Sie fand sich attraktiv und sexy. Mit einem langen, aber sehr hoch geschlitztem Rock dazu sah sie genauso aus, wie sie es sich in ihrer Fantasie vom „Mittelalter spielen“ immer erträumt hat. Sibille ging vorsichtig wieder in das Zimmer zurück, in dem sie aufgewacht war. War sie nun schon wach oder träumte sie noch. Sibille wusste keine Antwort. War es ein Traum, so konnte er ihr schon gefallen. Sie liebte diese Art von Fantasie.

Doch wie kam sie real in diese Situation? Sibille sank auf die Couch und schloss die Augen. Was war passiert? Sie fühlte sich etwas erregt durch ihre Bekleidung, oder war da noch etwas gewesen in der Nacht? Sie war so verunsichert, dass sie nicht mehr wusste, was sie denken oder fühlen sollte. „Wenn doch Joe da wäre, dann wäre das sicher sehr schön mit ihm!“ seufzte sie. Hin und hergerissen von ihren Gefühlen, denen sie im Augenblick weder trauen konnte noch wollte, versuchte sie sich zu erinnern.


Da war doch diese Woche mit extra viel zu tun. Wenig Schlaf, viel Stress im Job, dann noch ihre Wohnungsrenovierung. Es war nicht leicht, in Gedanken zum Wochenende zu kommen. Sie war richtig ausgebrannt.

Sie fühlte sich einerseits gut, glaubte nicht daran, das ihr böses widerfahren sei. Aber sie hatte auch vom Stockholm Syndrom gelesen, das gab ihr zu denken. Aber ginge das überhaupt so schnell? An einem Wochenende? Welcher Tag war heute? Wie lange war sie schon hier? Und wieder überschlugen sich ihre Gedanken. Wenn doch Joe hier wäre. Oder gehört Joe zur Bande? Ist er der Anführer? Haben die mich gefesselt und verschleppt? „Verrückt, Joe muss mich ja nicht fesseln, um mich zu verschleppen!“ Und Sibilles Erregung stieg an. Der Gedanke, sich Joe vollkommen hinzugeben, sich ihm in Fesseln auszuliefern und somit alles Joe zu überlassen, wurde immer stärker. In hilfloser Hingabe nur fühlen, nur spüren, das reizte Sibille schon lange.

Sie hatte mit Joe noch nie darüber direkt gesprochen, „aber wer weiß, mein Joe kennt mich sehr gut“, dachte Sibille.

Und jetzt bin ich in den Fängen dieser Bande, …. oder nur total verrückt geworden!


Sibilles Gedanken flogen nur so herum, als sie Schritte auf dem Gang hörte. Sie lauschte, es waren zwei Personen. Eher leichte Schritte, Frauenschuhe, sie kamen immer näher, stoppten vor ihrer Türe. Es klopfte. Geschirr schepperte und eine heisere Stimme sagte „hier hast du Kaffee und einen Toast, bist du schon angezogen?“ „Ja“ antwortete Sibille zögernd. „Deine Augenbinde liegt auch daneben, wir kommen in zehn Minuten, schnüren dein Mieder nach, bringen dir die Schandgeige und holen dich ab. Ok?“ flüsterte die Stimme. „Ok?“ mehr fragend als bestätigend erwiderte Sibille und die Schritte am Gang entfernten sich. Als sich Sibille traute, die Tür einen Spalt zu öffnen, waren die Frauen verschwunden und ein Tablett stand davor. Sie nahm es auf und trug es ins Zimmer. Ein paar Bissen vom Buttertoast und die Tasse Kaffee halfen Sibille auch nicht auf die Sprünge. Sie starrte auf das schwarze Tuch, das die mysteriöse Stimme Augenbinde genannt hat. Wie in Trance verband sich Sibille die Augen und setzte sich hin. In den folgenden Minuten flogen die unterschiedlichsten Gedanken durch ihren Kopf, sie wusste überhaupt nicht was das alles wird, wie sie sich verhalten soll und wo ihr der Kopf stand.


Wie durch eine körpereigenes Schutzprogramm gesteuert, empfand und hörte Sibille nun alles wie durch Watte. Sie hatte kein Zeitgefühl mehr, als es nach zehn Sekunden oder auch zehn Stunden an der Tür klopfte. „Bist du bereit?“ wieder erklang die heisere Stimme und Sibille antwortete mit einem kräftigen „Ja!“. Sie erschrak selbst darüber, wie selbstverständlich ihre Antwort kam. „Schön, du hast dir schon die Augen verbunden.“ Sie spürte wie sie an ihrem Armen gepackt wurde „steh nun auf damit wir dich schnüren können.“ und schon wurde an ihr herumgezerrt, sie spürte wie der Mieder immer enger wurde und ihre Rundungen noch stärker betonte. „Warum muss ich jetzt an meine Rundungen denken“, Sibille konnte nicht klar denken, „was passiert jetzt mit mir, die sagten doch auch was von einer Schandgeige“. Und schon wurden ihre Hände vor ihrem Hals in die Höhe gehoben und etwas legte sich auf ihre Schultern und umschloss eng ihre Handgelenke. So fühlt sich also eine Schandgeige an, dachte Sibille, das einzige was ich noch tun kann, ist ihnen eine lange Nase zu zeigen. Mir ist es auch schon viel besser ergangen, seufzte sie, während es nun durch die Tür ging. Man führte sie geschickt in einen Hof, der erdige Boden verriet es, Ketten rasselten, legten sich um ihre Hüften, ein Sack wurde über ihren Kopf geworfen und dann wurde es still.


So stand Sibille nun da. Eine Schandgeige um den Hals, einen Sack über den Kopf, die Augen verbunden, angekettet zwischen zwei Pfählen, in einem sonst sehr heißen sexy Outfit. Und immer noch wusste sie nicht, wie ihr geschah, wie ihr zumute war, und wie es wohl weitergehen sollte.

Eine Stimme ertönte nun laut. “Man hat euch, einer Kurtisane gleich flanierend, am Stadttor nachts gesehen. Zur Geisterstunde hat euch die Wache aufgegriffen und in den Kerker abgeführt“ Sibille kam diese Stimme irgendwie bekannt vor, noch war ihr nicht klar, woher.

„So spreche ich nun Recht, wie es mir von Geburt an ist befohlen“ erklang die Stimme wieder, „Ihr seid verurteilt, jedem edlen Wandersmann, der am Pranger vorbeiziehen möge bis zur Mittagsstund, einen Kuss zu gewähren, wenn er unter euren Sack sich beugt!“ ein Trommelwirbel ertönte „Doch sobald ein Schmied und Schlosser auf der Wanderschaft euch einen Kuss zu rauben sich erbötig macht, so soll er auch das Schlösse, das über eurem Schoss ihr tragt, entsperren und euch frei und offen machen für den Kurtisanen-stand, den ihr wohl gestern Nacht erwählt euch habt!“ Sibille war sehr unsicher, war noch immer halb im Fantsie-Traum, halb in einer Realität, die für sie nicht sehr real erschien.

„Findet sich jedoch noch vor der Mittagsstund der Recke hier am Pranger ein, der einst dies Schloss euch gab um eure Unschuld zu behüten, so sei ihm wohl die Wahl gewährt, zu seinem Weibe euch zu nehmen, trotz eures Wandelns in der finstren Nacht, doch nimmt er euch nicht, so seid ihr frei in eurem neuen Stand als Kurtisane, nachdem ein Schlosser an Euch sein Werken hat vollbracht!“

Erneut erklang ein Trommelwirbel, diesmal gefolgt von Fanfarenklängen. Ein Bänkelsänger begann sein Lied, andere Musiker fielen ein, es herrschte im nu ein buntes Treiben, das Sibille unter ihrem Sack nur hören und erahnen konnte.


So stand sie nun schon einige Minuten da, der Nachklang der Worte des „Rechtsprechenden“ vermischte sich mit der Musik und den Geräuschen des fröhlichen Treibens.

Was passierte nun wohl als nächstes?

Sie spürte, das sich jemand näherte, sie berührte.

Sibille erzitterte, als sie spürte, das der Sack über ihrem Kopf bewegt wurde. Zwei Lippen pressten sich auf ihren Mund und raubten ihr einen Kuss. Sie spürte eine Hand in ihrem Schoss, zu dem Klirren ihrer Ketten mischte sich ein metallisches Klicken. „Ich liebe dich“ flüsterte ihr eine wohlbekannte Stimme ins Ohr „ willst du meine Frau werden!“ „Joe, du? … Ja!“ schrie sie begeistert auf.


Joe küsste Sibille, sie erwiderte diesen Kuss nun heftig. Er öffnete die Schandgeige und streifte ihr die Augenbinde ab. Während sie nun ihre freien Arme um ihn schlug, fielen die Fesseln zu Boden und beide schüttelten nun auch den Sack ab.

Joe riss nun das bewusste Vorhangschloss mitsamt dem Schlüssel in die Höhe und rief laut: „Zum Weibe will ich sie nehmen, kein Schlosser muss für uns Geschick beweisen!

Ich frug sie grade jetzt soeben, ob treu sie folgen will mir immerdar, sie gab mir Antwort durch ein deutlich: Ja!

So lasst uns feiern wie´s in unsrem Spiele ist der Brauch, mit Barden, Gauklern, trinket Freunde, schlaget voll den Bauch.“


Joe dankte seinen Freunden aus der Mittelalterszene, die mitgeholfen hatten, seinen eindrucksvollen Antrag an Sibille zu stellen, und sie alle genossen „ihre mittelalterlichen Freuden“ auf ihrem Fest.


Sibille war überglücklich über Joe´s Entführung mit Heiratsantrag, aber auch sehr dankbar, das ihr kleines Überarbeitungs – Black out, das gemeinsam mit ihrer blühenden Fantasie ordentlich mit ihr durchgegangen war, keinerlei Böses zur Folge hatte und sie zwar ordentlich verunsichert, aber nie ernsthaft geängstigt hatte. So konnte sie mit Joe gemeinsam das Mittelalter - Fest voll genießen.