Das hat der Richter gesagt, und mir ein paar Monate „Hefn“ verpasst. Immerhin hatte ich ein Messer in der Hand. Da sitze ich nun, warte auf mein Sporttraining, das man mir zugestanden hat und das ich auf keinen Fall verpassen möchte. Hier in der Zelle wartet man sehr viel. Auf den Anbruch des Tages, auf das Frühstück, auf den Spaziergang, auf das Mittagessen, auf den Sport, und so geht das weiter, bis man am Abend darauf wartet, das das Licht ausgeht.
Beim Warten kann ich gut nachdenken. Nachdenken über das, was passiert ist, wie es begonnen hat und letztendlich, wie es weitergehen soll.
Doch beginnen wir am Anfang, besser gesagt vor dem eigentlichen Beginn, mit der Vorgeschichte.
Als ich in der Arbeit noch sehr aktiv war, viel herumgekommen bin und nicht ständig hinter dem Schreibtisch saß, war ich ein stattlicher Mann. So sagt man wohl zu meiner Figur, groß, mächtig, etwas Speck, aber auch eine Menge Muskeln. Wir hatten oft viel zu tun und wenn wir dann einmal in ruhe Mittagspause machen konnten, aßen wir reichlich und gut. Da das nicht jeden Tag war, nahmen wir auch nicht all zu viel an Gewicht zu.
Doch dann begann ich da und dort meinen Körper zu spüren. Mal zwickte das Kreuz, mal zwackte ein Gelenk, immer öfters ging mir viel schneller als in meiner Jugend die Luft aus, wenn ich mich anstrengte. Klar, etwas zugenommen, schlechte Ernährung, weil ja oft nur Zeit für eine Leberkäsesemmel oder eine Heiße, scharf, mit einem Sechzehnerblech, wie wir die Burenwurst mit scharfen Senf und einer Dose Bier nannten.
Ich sprach auch mit meiner Hausärztin darüber, eine sportliche, schlanke Frau, die sogleich zu mir sagte, ich müsste gesünder Essen. Da gibt es viele Möglichkeiten, das zu tun. Gesunde Mineral und Vitamindrinks, damit man all das, was der Körper auch braucht, um teures Geld in sich hinein leeren kann. Statt billigen Supermarkt-Lebensmitteln sollte man zu den gesunden, aber teuren Bio–Zeugs greifen.
Oft dachte ich mir, das ist alles nur deswegen so teuer, das man sich gar nicht alles leisten kann und somit auch weniger isst. Aber ich musste doch gesund essen. Also aß ich auch. Und machte „Bewegung“, etwas Sport, was halt grade ging, ohne das aktuell irgend ein Zwacken oder Zwicken mich daran hinderte. Gesund war viel Bewegung in frischer Luft. Klar, davon bekam ich immer gleich einen gesunden Appetit. Dann musste ich schnell etwas gesundes essen.
Nach dem Essen öffnete ich mir den Gürtel, eventuell auch den Hosenknopf und lehnte mich ermattet zurück. Schließlich hatte ich sehr viel für meine Gesundheit getan. Gesunde Bewegung gemacht, gesunden Appetit gehabt und ordentlich gesundes Essen in mich hineingestopft. Dann umfing mich eine gesunde Müdigkeit und ich musste immer öfters etwas Ruhen.
Das Problem mit den, nach dem Essen immer zu engen Hosen, erledigte ich im nächsten Kleidergeschäft. Ich kannte da ein XXL Center, das hatte immer etwas nettes, passendes auf Lager. Die Preise waren ebenfalls XXL, und somit begann das Abnehmen. Eigentlich nur auf meinem Bankkonto, aber ich ließ mich nicht entmutigen. Gesundheit war mir wichtiger als schnöder Mammon.
Das war die Vorgeschichte, und dann kam der Tag an dem ich eine Wanderung im Wienerwald plante. Da ich auf einer Seite zu einer Wanderhütte, die eine sehr gute Restaurantkritik hatte, aufsteigen wollte und dann auf der anderen Seite ins Nebental hinunter wollte, fuhr ich am Morgen mit dem Taxi hin. Auch nicht billig, aber man leistet sich ja sonst nichts. Das Taxi fuhr kurz vor dem Ziel, dem Beginn des Wanderweges, an einer Bio-Bäckerei vorbei. Ich dachte bei mir, Bio ist gesund und ein gutes gesundes Frühstück ist wichtig für den ganzen Tag. Also frühstückte ich ausgiebig in der Bio-Konditorei, die gleich rechts neben der Bio-Bäckerei war.
Dann ging ich los, schnaufend und schwitzend ging es bergauf zur Hütte. Ich ließ mich sofort in einen Sessel sinken, bestellte, um Luft ringend, ein Krügerl Bier und nach einem großen, großen Schluck gleich noch eines und eine Portion Schweinsbraten. Der Braten war in der Karte auf der Seite mit den Bildern von glücklichen, freilaufenden Schweinen zu finden und auch ein Bio-Gütesiegel, das ich noch nicht kannte, war zu sehen. Das musste einfach besonders gesund sein.
Noch ein Bier zum nachspülen und ich machte mich auf den Weg ins andere Tal. Der Gürtel blieb offen, der Hosenknopf auch, denn die Hose schien auch so zu halten. Leider, auf halben Weg, rutschte sie doch und brachte mich dadurch aus dem Gleichgewicht. Ich fiel der Länge nach hin und tat mir ordentlich weh. Zum Glück kamen zwei nette junge Männer vorbei, halfen mir hoch und stützten mich links und rechts bis ich endlich langsam und mit schmerzenden Knochen die ersten Häuser Wiens unten im Tal erreichte. Ich sah einen Bankomat, gleich in der Nähe eines Taxistandplatzes und freute mich auf die Heimfahrt. Ich gab den netten jungen Männern meine letzte Barschaft als dank für ihre Hilfe und Unterstützung, sie hatten mich ja halb getragen, da ich kaum Bergab laufen konnte.
Am Bankomat angekommen, wollte ich Geld fürs Taxi beheben. Es musste noch problemlos möglich sein, denn mein Bioversand wollte die Monatsrechnung erst nächste Woche abbuchen.
Aber nichts ging mehr. Konto überzogen, Karte blieb im Automaten. Sollte mein Bioladen doch schon, nein, das wollte ich nicht glauben, oder war es die neue größere Hose die ich Anfang der Woche doch mit Karte bezahlt habe, obwohl ich wusste, das es sehr knapp ist.
Da stand ich nun ohne Geld, ohne Karte, ich musste mit meinem Handy Freunde anrufen und bitten, das sie mich abholen kommen. Als ich mein Smartphone aus der Tasche nahm, fiel mir sofort der große Sprung in der Mitte auf. Ich versuchte es vorsichtig in die andere Hand zu nehmen um den Schaden zu betrachten, als es in zwei Teile zerfiel, denn ich war bei meinem Sturz drauf gefallen. Meinem Gewicht hatte es wohl nicht standgehalten. Nun stieg in mir langsam Panik auf. Kein Geld, kein Handy, um jemand herbei zu bitten, keine Idee, was ich tun sollte.
Mein Atem ging schnell und schnaufend, mein Herz raste, nur extrem langsam konnte ich einen klaren Gedanken fassen. Ich musste wohl oder übel die Zähne zusammenbeißen, meine schmerzenden Knochen in Bewegung setzen und losgehen. Ich ging, hoffte, irgendwo Hilfe zu finden, vielleicht bei der Polizei, oder sonst wo, wo ich um einen Telefonanruf bitten konnte, damit mich jemand abholen würde.
Schwitzend, schnaufend und stöhnend, mit schmerzverzerrtem Gesicht ging ich die Straße entlang. Die Sonne brannte herab, ich war gefühlte Stunden unterwegs und der Schweinsbraten vom Hüttenwirt war schon restlos verbraucht. Müdigkeit und Hunger begannen den Schmerz in meinen Knochen zu verdrängen. Ausgebrannt, ausgelaugt, verzweifelt und nach Luft ringend schleppte ich mich um eine Häuserecke.
Ich traute meinen Augen nicht, ein Würstelstand!
Mit letzter Kraft brachte ich ein paar schnelle Schritte zusammen und wollte dem Würstelmann meine Bestellung zurufen. „Gib her, wos host?“ mein Atem stockte, nach ein paar Schnaufern wollte ich meine Wünsche genauer ausdrücken. Während ich noch mit der einen Hand auffordernde Handbewegungen machte, sah ich das der Würstelmann in die Kassa griff und mir ein paar Geldscheine mit den Worten „d´ host“ entgegenhielt. Er glaubte, ich wolle ihn überfallen. Ich dachte aber, er wollte wissen ob ich Geld habe, und wollte ihm meine Geschichte erzählen. Ich griff in die Tasche um mein kaputtes Handy herzuzeigen, erwischte aber mein Fahrtenmesser, das ich seit meinen Pfadfindertagen besaß und zeigte es dem Würstelmann. Der wedelte noch heftiger „host, do host“ stotternd mit seinen Geldscheinen herum. Ich konnte nicht sprechen, schnaufend, verzweifelt, hungrig und aufgeregt wie ich war, schob ich seine Geldscheine zur Seite und angelte mit dem Messer, das ich anstatt des Handys in meiner Hand hatte, nach einer Bratwurst, die auf dem Grill lag. Ich biss ein Stück der auf dem Messer aufgespießten Bratwurst ab, fühlte mich, obwohl ich mir den Mund verbrannte, sofort etwas besser und wollte dem guten Mann seine Geldscheine zurückgeben, als ich mich plötzlich auf dem Bauch liegend vorfand, die Hände auf den Rücken gedreht. In einer Hand ein paar Geldscheine, in der anderen das Messer. Die Wurst war zu Boden gefallen.
Eine zufällig vorbeikommende Polizeistreife hatte das Geschehen verfolgt und mich zu Boden geworfen.
Ja, ich hatte ein Messer in der Hand. So wie es der Richter bei der Urteilsverkündung sagte.
Ich hatte wirklich nur ein Messer in der Hand, die Bratwurst wurde nicht mehr gefunden.
Die Geldscheine in meiner anderen Hand aber schon.
Nun habe ich viel Zeit zum Nachdenken. Nur das was ich essen werde, ist kein Thema mehr. Gott sei dank ist es nicht nur Wasser und Brot.