Soll jemand, der wenig oder nichts zum Sozialsystem beigetragen hat, dauerhaft von diesem leben? Hat er nicht die Pflicht, der Gesellschaft, die ihn trägt, etwas zurückzugeben? Zumindest dann, wenn der Staat ihn darum bittet?Der Autorin kann gesagt werden, dass der Staat (das sind doch nur ein paar ausgewählte Leute aus der Bürgerschaft) dieses Recht nicht hat, die Mitmenschen zu verpflichten. - Und in Deutschland ist es ja auch keine »Bitte«, die man ausschlagen könnte, sondern Nötigung und Drangsalierung der Bewohner, durch Hartz4, hinein in die Sklaven-Jobs.
Doch Frau Binder fängt schon an der falschen Stelle an zu kalkulieren. - Es geht nicht um das »Sozialsystem«, sondern um die Wirtschaft. Der Bürger lebt von der Wirtschaft. Diese produziert die Grundeinkommens-Güter (Nahrung, Kleidung, Wohnen und Energie). - In einer immer stärker digitalisierten und rationalisierten Arbeitswelt und Produktionsweise, ist es nicht mehr möglich, im einzelnen festzustellen, wer den Teig geknetet hat, für die Wecken, Semmeln, oder durch was die Jeans, der Strom oder die Wohnung zustande kam, und wem der Nutzer, Käufer, Konsument nun etwas konkret »schuldet«. - Eine solche Rechnung ist einfach nur absurd.
Tatsache ist aber, dass alle Menschen diese Grundversorgung brauchen. Müssen sie jetzt vor irgendjemand den Büßergang antreten? - Jedenfalls wird so von manchen der Eindruck erweckt.
Heute leben wir in der Fremdversorgung. Ich weiß selbst bei dem Bäcker um die Ecke nicht, wer die Brote backt. Und ich habe da auch noch niemandem deswegen aus Dank die Hand geschüttelt. Die Leute sind mir »fremd«. - Und wir leben in einer Überflussgesellschaft. Durch die industrielle Fertigung ist alles im Übermaß vorhanden.
Anders war es vielleicht in der »Selbstversorgung«. In einer Zeit, als die Güter noch knapp waren und jede Hand, die anpackte, wichtig war. - Wenn in der Bauernfamilie der eine Sohn viel herumgehangen hat, dann hätte der Bauer ein Machtwort sprechen können, um seinen Sohn »in die Pflicht« zu nehmen. - Denn wenn alle auf dem Hof mitarbeiten müssen, damit die Versorgung mit Nahrung gelingt, dann sieht das nicht gut aus, wenn sich einer davonstiehlt, und »den faulen Lenz schiebt«. - So jedenfalls könnte man sich die Selbstversorgung (vor über Hundert Jahren?) vorstellen.
In der Fremdversorgung ist es aber unsachlich, sich vorzustellen, der Endabnehmer von Gütern und Dienstleistungen müsse sich konkret gegenüber irgendwelchen Produzenten dankbar erweisen, und als Ausgleich »auch arbeiten«.
Und selbst wenn der Pflichtbegriff in der Selbstversorgung womöglich ein bisschen seine Berechtigung hatte, so haftet ihm auch viel Unrecht an. - Wurden und werden Menschen nicht zu Verhalten und Taten »verpflichtet«, die großes Unrecht darstellen? - Mit dem Pflichtbegriff ist Zwang verbunden. Da wird niemand gebeten. Und wer nicht folgt, der wird bestraft.
Aber passt der Pflichtbegriff überhaupt noch in unsere Zeit. Ist er nicht aus der Mottenkiste der Vergangenheit geholt? - Weder müssen wir heute eine Knappheit der Güter verwalten, noch ist der konkrete einzelne Mensch von Bedeutung, für irgendwelche Produktion. - Wer nicht da ist, krank ist, oder stirbt, wird einfach ersetzt. - Und die Produktion geht weiter.
Auch kommt es einem manchmal so vor, dass dann andere Menschen »verpflichtet« werden sollen, etwas zu tun, zu arbeiten, wenn die Arbeitsvergütung und die Arbeitsbedingungen besonders schlecht sind und kein Mensch freiwillig einen Finger rühren würde, so riecht das »Angebot« nach Ausbeutung.
Die grundsätzliche Idee ist, ein Sicherheitsnetz für jene zu spannen, die wirklich nicht können, finanziert von jenen, die können. Diese Idee zu verteidigen bedeutet aber auch, das System vor Missbrauch zu schützen. Auch ohne Flüchtlingskrise hätte Österreich sich sehr bald dieser Realität stellen müssen, denn längst produzieren unsere Schulen auch Abgänger, die direkt ins Sozialsystem wandern. Wie soll ein solches System langfristig funktionieren?Niemand muss sich dieser Idee, diesem »System« anschließen, das von der Autorin beschrieben wird. - Wir sind nicht verpflichtet, dies zu tun. - Sie beschreibt ein »System« dass nicht funktioniert und nicht mehr in die heutige Zeit passt. - Begriffe wie »Missbrauch, Zumutbarkeit, Anspruchsdenken, Pflicht, Druck, Arbeitswilligkeit«, markieren eine Gesellschaftsvorstellung, die jeglicher Berechtigung entbehrt. Das passt vielleicht zu einem Polizei- oder Gefängnisstaat, oder zu einem diktatorischen Regime. - Aber was haben wir damit zu tun?
Wo Kurz dennoch recht hat: Wer die Vorteile der österreichischen Gesellschaft und des Sozialsystems genießen möchte, sollte auch etwas zurückgeben.Die Autorin verwechselt da etwas. - Gesellschaft hat (heute) nichts mehr mit »Geben und Nehmen« zu tun. - In Wirklichkeit ist es so, dass niemand »nur« nimmt und niemand »nur« gibt. Deswegen kann diese Phrase ganz weggelassen werden.
Es genügt festzustellen, dass wir Menschen, sobald wir geboren sind, unser ganzen Leben lang »bedürftig« bleiben. Und wird unser »Bedarf« nicht gedeckt, so geraten wir in Not. - Man möge nur einmal einen Obdachlosen beobachten. Auch wenn er den ganzen Tag auf der Parkbank liegt, so wird ihn doch irgendwann der Hunger und der Durst zwingen, diese Bedürfnisse zu befriedigen. - Und so gibt es eine ganz Reihe von »Bedarfen«, die wir Menschen haben, die wir decken müssen, damit wir unser Erdendasein menschenwürdig verbringen können. - Das ist eine sachliche Feststellung. Daraus irgendwelche »Pflichten« und Gebeschuld ableiten zu wollen, ist nicht möglich.
In einer Grundeinkommens-Gesellschaft brauchen wir Menschen, die sich vorstellen können, was Gemeinschaft, Gesellschaft heute überhaupt bedeutet. Wir müssen Bedingungen schaffen, die es allen Menschen ermöglichen, ein »gutes Leben« zu leben, und es muss die Chance gegeben sein, unseriösen (Arbeits)Angeboten aus dem Weg zu gehen. Dazu bedarf es der »Freiheit«, zu keinen Beziehungen und Verhältnissen verpflichtet zu sein. - Und es müssen die Grundeinkommens-Güter produziert und bereitgestellt werden. Die Bedingungen, dies auf der wirtschaftlichen Seite zu leisten, sind heute sehr gut, durch den technischen Fortschritt. Aber die Kartellgesetze müssen verschwinden. Der Konkurrenzkampf zwischen den Unternehmen ist schädlich und kaum noch begründbar. - »Der Markt« sollte aber schon erhalten bleiben, damit neuen, besseren Produkten eine Plattform geboten wird, sich zu präsentieren.
Wenn wir all das einsehen, die Einsicht haben, wie Gesellschaften gestaltet werden müssen, damit sie menschenwürdig sind und die Menschenrechte geachtet werden, dann müssen wir selbst die Gesellschaften so herrichten. - Dann müssen wir selbst die entsprechenden Gesetze und Regeln erlassen, die dazu beitragen, dass »unsere« Grundeinkommens-Gesellschaft funktioniert. - Dies geschieht in einer Direkten Demokratie. - Dann können wir ein »gutes Leben« ermöglichen, ohne das wir es nötig haben, wie es heute vielerorts passiert, andere Leute aus unserer Gemeinschaft auszubeuten, zu nötigen, zu erniedrigen, sie zu verarmen, von Staats wegen in Armut zu treiben, damit sie von dem herrschenden Teil der Bevölkerung zur Arbeit gezwungen werden.
So gibt es eine Fülle an Aufgaben, die uns bevorstehen, die wir bewältigen müssen, wenn wir nicht in dieser Welt leben wollen, die in dem zitierten Artikel beschrieben wird.