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Mehrsprachige Literatur und ästhetisches Lernen
Sektionsleitung
ist Dozent an der Universidade Federal de Minas Gerais, in Belo Horizonte, Brasilien.
Kontakt über: andenkongress(a)gmail.com
Sektionsbeschreibung und Hinweise zur Sektionsarbeit
In der heutigen globalisierten Welt mit zunehmenden Migrationserscheinungen zwischen verschiedenen Ländern und Kontinenten ist auch das Phänomen einer mehrsprachigen, polyphonen und multikulturellen Literatur keine Seltenheit mehr. Autoren, die ihre Werke nicht in ihrer Muttersprache publizieren (sogenannte exophone Literatur), sondern sich der Sprache ihres Gast- bzw. Aufnahmelandes bedienen, kommen immer häufiger vor. Im deutschsprachigen Raum finden wir die Japanerin Yoko Taweda, den Russen Wladimir Kaminer, die Türken Feridun Zaimoglu und Emine Sevgi Özdamar, den Syrer Rafik Schami oder auch den Iraker Abbas Khider, um nur einige Beispiele zu nennen.
Es sollen hier aber auch Autoren und Autorinnen berücksichtigt werden, die in einer Exilsituation ihre in der Muttersprache verfasste Literatur zunächst in einer anderen Sprache publizieren mussten. Ein sehr bekanntes Beispiel dafür ist Anna Seghers mit ihren weltbekannten Werken Das siebte Kreuz und Transit. Diese Sektion wird sich mit der Frage von Transnationalität und Literaturtransfer zwischen verschiedenen Kulturen befassen und mit den Einsatzmöglichkeiten dieser Literaturen im DaF-Unterricht .
Bibliographie:
Anastasio, Mateo, Margot Brink, Lisa Dauth et. al. (Hrsg.) Transnationale Literaturen und Literaturtransfer im 20. und 21. Jahrhundert. Plurilingualeund interdisziplinäre Perspektiven. Bielefeld: Transcript Verlag, 2023.
Ette, Ottmar: Zwischen Welten Schreiben. Literaturen ohne festen Wohnsitz. Berlin: Kadmos, 2005.
Jaeckel, Volker/ Oliveira, Gabriela Gomes de: Representações da temática da migração nas literaturas alemã e espanhola no século XX. In: Revista Eletrônica Literatura e Autoritarismo: Dossiê n°25, 2021, S. 83-104. Abrufbar: https://periodicos.ufsm.br/LA/article/view/63594
Kilchman, Esther: Mehrsprachige Literatur und Transnationalität. In: Handbuch Literatur und Transnationalität, hg. Von Doerte Bischoff und Susanne Komfort-Hein. Berlin: De Gruyter, 2019, S. 79-89.
Nagy, Hajnalka: Literarität und Literarizität in der Migrationsgesellschaft.Mehrsprachige (Kinder- und Jugend-) Literatur für einen sprachaufmerksamen und dominanzkritischen Unterricht. In: leseforum.ch Online-Plattform für Literalität, Nr. 2/2018, S. 1-16. Abrufbar: https://www.leseforum.ch/sysModules/obxLeseforum/Artikel/625/2018_2_de_nagy.pdf
Sektionsprogramm
Volker Jaeckel
Universität Bern
"Schreiben zwischen zwei Welten: Widerstand, Exil und Migration bei Anna Seghers"
Anna Seghers, die bekannte deutsche Schriftstellerin, wurde 1900 als Netty Reiling in Mainz geboren und lebte im Exil in Frankreich und Mexiko. Als Jüdin und Kommunistin wurde sie zu einer der wortgewaltigsten Stimmen der deutschen Widerstandsliteratur gegen den Nationalsozialismus. Weltweit bekannt wurde sie durch ihre Romane Das siebte Kreuz (1942) und In Transit (1944), die zuerst auf Englisch und Spanisch erschienen, mehrfach verfilmt und in viele Sprachen übersetzt wurden. Bis zu ihrem Tod 1983 in Ost-Berlin war sie eine transnationale Schriftstellerin, die zwischen zwei Welten schrieb, zwischen Lateinamerika und Europa, für eine Leserschaft, die während des Kalten Krieges zwischen der kapitalistischen Welt und der sozialistischen Welt gespalten war. In diesem Vortrag wird nicht nur auf ihre bekannten Romane als Beispiele einer universellen und mehrsprachigen Literatur eingegangen, sondern auch auf ihre Kontakte zu lateinamerikanischen Autoren, insbesondere ihre Freundschaft mit Jorge Amado, wie sie von dem österreichischen Autor Robert Cohen in seiner Erzählung Anna Seghers im Garten von Jorge Amado (2021) literarisch verarbeitet wurde.
COHEN, Robert. Im Garten von Jorge Amado, Berlin: Faber & Faber Verlag, 2021.
MELCHERT, Monika. Im Schutz von Adler und Schlange, Berlin: Quintus Verlag, 2020
SEGHERS, Anna. Transit. Berlin: Aufbau-Verlag, 1993.
SIGUAN, Maria; VILAR, Loreto M. ; ZANCAS, Rosa Pérez;
MAEDING, Linda (eds). Kreuzwege – Neuwege. Literatur und Begegnung im deutschen und spanischen Exil. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2014.
WEIDERMANN, Volker. Brennendes Licht. Anna Seghers in Mexiko. Berlin: Aufbau-Verlag, 2020.
Beispiel aus dem Unterrichtsalltag
Annekathrin Schäfer
Universidad Nacional de Córdoba, Argentinien
annekathrin.schafer(a)unc.edu.ar
Das ästhetische Lernen und die Ausbildung einer Visual Literacy haben in den vergangenen Jahren als Fertigkeit innerhalb des Diskurses der Fremdsprachendidaktik wachsende Aufmerksamkeit erfahren. Bilder vermitteln Wissen von Welt, doch Bilder sprechen keine universelle Sprache, sie werden stets ausgehend von einem bestimmten kulturellen Hintergrund des jeweiligen Betrachters verstanden. Bildrezeption ist folglich kulturell geprägt. Insofern können Bilder als Akteure mit performativem Potential (Inal, 2022) verstanden werden: Sie sind offen und ihre Bedeutung entwickelt sich im Laufe des Rezeptionsprozesses. In herkömmlichen Lehrwerken werden Bilder zumeist im Sinne von „schwachen Bildern“ (vgl. Boehm, 2019, zit.n. Inal, 2022) verwendet, die nicht auf ihren Eigenwert verweisen, und selten als „starke Bilder“, die über ihre Fähigkeit, Wirklichkeitsaspekte sichtbar zu machen, reflektieren. Im 21. Jahrhundert, das offensichtlich von Bildern dominiert ist und in dem visuelle Medien bei der Erschließung von Welt eine zentrale Rolle spielen, stellt ästhetisches Lernen eine Möglichkeit dar, den Bildkonsums zu „entschleunigen“, „Resonanzerfahrungen“ (Bismarck/Beisbart, 2020) zu fördern, kritisches Denken anzuregen und die Lernenden mit einer multimodalen Diskursfähigkeit auszustatten.
Im Vortrag wird zunächst ein allgemeiner Überblick über den genannten didaktischen Ansatz gegeben, anschließend werden erste Reflexionen zu Erfahrungen aus der DaF-Unterrichtspraxis vorgestellt.
Bismarck, K. & Beisbart, O. (Eds.). (2020). Resonanzpädagogischer Deutschunterricht. Lernen in Beziehungen. Beltz.
Chen, E. V. (2014). Die Sprache der Dinge: Ästhetisches Lernen und Visual Literacy in der Ausbildung von DaF-Lehrenden. Über die Arbeit mit Bildern und Objekten. En N. Bernstein & C. Lerchner (Eds.), Ästhetisches Lernen im DaF/ DaZ-Unterricht. Literatur – Theater – Bildende Kunst – Musik – Film. Materialien Deutsch als Fremdsprache Band 93 (261-277). Universitätsverlag Göttingen.
Hecke, C. & Surkamp, C. (Hrsg.). (2015). Bilder im Fremdsprachenunterricht. Neue Ansätze, Kompetenzen und Methoden. Narr.
Inal, B. (2022). Bilder und Visual Literacy im Fremdsprachenunterricht. Theorie, Analyseansätze, Bildbeispiele. Studien zur Fremdsprachendidaktik und Spracherwerbsforschung. Wissenschaftlicher Verlag Trier.
Johanna Nuber
Universidade Federal do Ceará, Fortaleza, Brasilien
Johanna.nuber(a)daad-lektorat.de
"Performatives Lernen in mehrsprachigen Literaturformaten"
Der Input setzt sich mit den Potentialen von performativen Lesungsformaten mit multilingualer Textbasis auseinander und zeichnet anhand eines Praxisbeispiels die Prozesse bei der Produktion eines „Drehbuchs“ für eine mit einer Gruppe Deutschlernender entwickelten literarischen Veranstaltung nach.
Am Anfang steht zunächst ein Text: Im Radius eines (primär) deutschsprachigen Textes lesen und denken wir – mit dem Text, mit seinem Mono- oder Multilingualismus, in Übersetzung und über den konkreten Text, seine Sprache(n) und die Einzelsprache als Maßeinheit hinaus. Übersetzung meint dabei sowohl Übersetzung in die vertraute Erstsprache wie auch in andere, mehr oder weniger gut beherrschte Sprachen und in andere Medien. Welche Resonanzen erweckt der Text? Woran erinnert er, welche andere Wörter und Texte beschwört er herauf? Das Ziel ist: auf Grundlage des Textes eine performative Lesung auf die Bühne zu bringen. Die Herausforderung besteht darin, aus dem sprachlichen Material und seinen Querverbindungen, Beiklängen und Abzweigungen gemeinschaftlich ein Format zu entwickeln, das auditive, visuelle und taktile Elemente aktiviert und einen begehbaren, vielstimmigen Raum für ein mehr oder weniger textaffines und sprachvertrautes Publikum stiftet, in dem Literatur erfahrbar wird. Dabei steht den Teilnehmenden die Wahl der Mittel frei: Sound und Rhythmen, Lichteffekte, Lesungsparts und szenische Elemente, Sprachnachrichten, Interviews, field recordings, Videoarbeiten, etc. Mit der gemeinsamen Produktion eines mehrsprachigen Skripts und einer Veranstaltung eröffnet sich den Lernenden ein literarisches Experimentierfeld, auf dem sie die Schwellen der (Wort-)Bedeutung erkennen, unterlaufen, überschreiten oder verschieben können und auf dem sie sich an ein neues, vielsprachiges Sprachgefühl annähern können. Am Ende steht eine vielsprachige Performance, mit der die Grenzen der eigenen Sprache neu ausgelotet werden.
Nathalia Villamizar
Universidad de Antioquia, Medellín, Kolumbien
nathalia.villamizar(a)udea.edu.co
"Lass uns die Worte finden: dichten und lernen in transkulturellen Gesellschaften"
Dass die Debatten um die letzten Migrationsprozesse für den Bereich Deutsch als Fremdsprache von besonderem Interesse sind, ist unbestreitbar, und zwar nicht nur im Hinblick auf die damit verbundenen Anforderungen und Problematiken, sondern auch im Hinblick auf die Möglichkeiten, die sie für Sprachlehr- und -lernforschung eröffnen. In meinem Beitrag behandle ich zunächst die Notwendigkeit der Förderung eines transkulturellen Bewusstseins im DaF-Unterricht sowie die Wichtigkeit, dies aus einer ästhetischen und literarischen Perspektive zu tun. Zweitens stelle ich das Werk des kolumbianischen Dichters Selnich Vivas vor, der Gedichte auf Deutsch, Spanisch und Minika (Sprache eines indigenen Volks im Amazonas) veröffentlich hat. Sein Gedichtband Lass uns die Worte finden, der zunächst auf Deutsch verfasst und später vom Autor ins Spanische übersetzt wurde, gewann 2011 den National-Literaturpreis der Universität Antioquia; 2021 wurde es in einer deutsch-spanischen Ausgabe neu veröffentlicht. Dieses Werk soll dazu dienen, einige Überlegungen zu den Begriffen der Transnationalität und der Mehrsprachigkeit anzustellen und für die Einbeziehung translingualer und transnationaler Dimensionen in einen kreativen Fremdsprachenunterricht zu plädieren, die eine kritische Reflexion von Identitäts-, Sprach- und Kulturkonzepten ermöglicht und zu den aktuellen Konfigurationen mehrsprachiger und poly-logischer Gesellschaften beiträgt.
Oscar Alejandro Espinosa Montero
PROULES, Universidad de Guadalajara, Mexiko
oscar.espinosa(a)proulex.udg.mx
"Migrationsliteratur im DaF-Unterricht. Didaktisierungsbeispiel von "Der andere Türke" "
In diesem Vortrag wird das Konzept der „Migrationsliteratur“ untersucht und dessen Bedeutung für den Deutschunterricht im Rahmen der kulturellen Mediation herausgearbeitet. Anhand des Werkes „Der andere Türke“ von Şinasi Dikmen (1985) werden didaktische Ansätze für die Integration dieses Werkes in den Deutsch als Fremdsprache (DaF)-Unterricht präsentiert. Der Vortrag richtet sich an Lehrkräfte, die sich mit deutschsprachiger Literatur aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten vertrautmachen möchten und innovative Methoden zur Vermittlung von Mediation in ihren Unterricht integrieren wollen.
Balcı, U. (2017): Migrantenliteratur im DaF-Unterricht. AV Akademiker Verlag. Boran, Erol M. (2022) Die Geschichte des türkisch-deutschen Kabaretts. Selbstdarstellung und Fragen der Zugehörigkeit. Transcript Verlag
Dikmen, Ş.(1986): Der andere Türke. Berlin: Express-Edition.
Hoff Karin (Hg.) (2008): Literatur der Migration - Migration der Literatur. Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik. Bd. 57. Herausgegeben von Heiko Ücker. Peter Lang Verlag.
Annekathrin Schäfer studierte Kulturwissenschaften, Allgemeine und verleichende Literaturwissenschaften und Kunstgeschichte an der Universität Leipzig (Deutschland). An der Universidad Nacional de Córdoba (Argentinien) erwarb sie zudem einen Masterabschluss in Culturas y Literaturas Comparadas. Sie ist Teil der Forschungsgruppe Texto, imagen y traducción: literatura de habla alemana y neerlandesa del siglo XXI. An der Sprachenfakultät der Universidad Nacional de Córdoba ist sie in den Bereichen Landeskunde und DaF, der Übersetzungs- und Lehramtsstudiengänge Deutsch tätig. Ihre Interessenschwerpunkte liegen im Bereich Literatur und Kunst, im besonderen im Bereich der Text/Bild-Beziehungen und der Visual Literacy als methodischem Ansatz der Fremdsprachendidaktik.
Johanna Nuber hat Anthropologie, Französische Philologie und Vergleichende Romanische Literaturwissenschaft in Berlin und São Paulo studiert. Ihre Doktorarbeit führte sie in die Karibikforschung: Sie wurde mit einer Arbeit über “Poetiken des Körpers in der jüngeren haitianischen Literatur” promoviert. Aktuell besetzt sie das DAAD-Lektorat an der Universidade Federal do Ceará (UFC) in Fortaleza im brasilianischen Nordosten, das neben der Lehre im Bereich Deutsche Literatur und den Beratungstätigkeiten auch die Planung und Koordination des Kulturprogramms der Casa da Cultura Alemã umfasst.
Nathalia Villamizar (Medellín) studierte Philosophie und Literaturwissenschaft an der Universität Antioquia (Kolumbien) und promovierte im Bereich der Komparatistik an der Universität Potsdam (Deutschland). Derzeit ist sie Dozentin und Forscherin an der Universität Antioquia in den Bereichen Germanistik, Hispanistik und Sprachdidaktik. Autorin des Buches Heimat. Mimesis und Bewegung in den autofiktionalen Werken von Thomas Bernhard und Fernando Vallejo, sowie weitere wissenschaftliche Artikel zur Literatur- und Kulturwissenschaft.
Oscar Espinosa Montero ist Absolvent der Universität Guadalajara mit einem Bachelor-Abschluss in Französisch als Fremdsprache sowie der Université Rennes 2. Er hat zudem einen Master-Abschluss in Deutsch als Fremdsprache von der Universität Leipzig, den er ebenfalls an der Universidad de Guadalajara erworben hat. Herr Espinosa Montero verfügt über langjährige Erfahrung im Unterrichten von Französisch, Türkisch und Deutsch. Aktuell ist er Leiter der Deutschabteilung und verantwortlich für die ÖSD-Prüfungen bei PROULEX. Darüber hinaus ist er als Übersetzer und Dolmetscher für Türkisch-Spanisch tätig. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Phonetik, Migrationsliteratur und Fremdsprachendidaktik.
Volker Jaeckel ist Professor für Germanistik und Komparatistik an der Bundesuniversität von Minas Gerais (UFMG) in Belo Horizonte. Nach dem Studium der Hispanistik, Politologie und Germanistik war er DAAD-Lektor in Belém, hat in Romanischer Literaturwissenschaft promoviert und unterrichtete an den Universitäten in Potsdam, Berlin, Jena sowie als Gastdozent in Freiburg, Argentinien, Brasilien und Kolumbien, war Gastforscher an den Universitäten in Düsseldorf, Flensburg, Alcalá de Henares und Valencia. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der Großstadtliteratur, Darstellungen von Krieg in der Literatur, transnationalen Erinnerungskulturen und Migrationen. Er leitet an der UFMG seit 2020 eine Forschergruppe zu Exil und Migration. Letzte Buchveröffentlichungen: (Hg.) Literatura do exílio, Belo Horizonte: Faculdade de Letras, UFMG, 2021; Sobre ciudades y guerras. Ensayos de literatura y cine contemporáneos, Bogotá: Instituto Caro y Cuervo, Imprenta Patriótica, 2021.
Wir freuen uns auf das persönliche Kennenlernen bzw. Wiedersehen in Sucre!