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Plurizentrik und sprachliche Variation
Mittwoch, 16.10. von 10:30-13 Uhr im patio histórico, Raum 1
Sektionsleitung
ist OeAD-Lektorin an der Universidade Federal do Paraná in Curitiba, Brasilien.
ist Ordentlicher Professor für Deutsch als Fremdsprache / Deutsch als Zweitsprache an der Universität Freiburg, Schweiz.
Kontakt über: cristina.rettenberger(a)oead-lektorat.at
Kontakt über: andenkongress(a)gmail.com
Sektionsbeschreibung und Hinweise zur Sektionsarbeit
Viele Studierende aus Ländern, die eine große Entfernung zum deutschsprachigen Raum haben, erleben einen „Schockmoment“, wenn sie im deutschsprachigen Raum ankommen und das im Deutschunterricht Gelernte in die Praxis umsetzen. Warum passiert das? Obwohl das Thema der Plurizentrik und der sprachlichen Variation in vielen Deutschkongressen nichts Neues ist, ist es deshalb noch lange nicht abgeschlossen, denn deren Relevanz, Chancen und Herausforderungen sind zeitgemäß.
Inwieweit wird aber die sprachliche Vielfalt des Deutschen im Fremd- und Zweitsprachenunterricht und in der Ausbildung von DaF/DaZ-Lehrkräften in der Praxis zum Ausdruck gebracht? Welche wesentlichen Aspekte und Kompetenzen sollten beim Lernen und Lehren der deutschen Sprache in Bezug auf deren Vielfalt vorausgesetzt werden? Der Umgang mit dieser Vielfalt ist sowohl für das Erlernen als auch für das Lehren der Sprache wichtig. Denn es ist eine Tatsache, dass sich Sprache und Kultur nicht trennen lassen, und somit sind die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede in der Standard- und Regionalvarietät ein identitäres Merkmal einer oder mehrerer Gesellschaften. Somit soll diese Vielfalt sowohl im Sprachunterricht als auch in der Ausbildung von DaF-/DaZ-Lehrkräften im Bewusstsein verankert werden. Das wachsende Interesse an sprachlicher Variation und die Inexistenz einer einzigen deutschen Standardform, die vor allem innerhalb der Thematik der Plurizentrik beleuchtet wird, soll in dieser Sektion im Fokus stehen.
Die Beiträge in dieser Sektion können folgende Teilaspekte berücksichtigen:
Inwiefern bildet das landeskundliche Lernen im Unterricht die Vielfalt im deutschsprachigen Raum ab?
Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich in der Unterrichtspraxis beim Miteinbeziehen des DACH-Prinzips?
Wie kann eine angemessene und realitätsnahe Idee der sprachlichen und kulturellen Vielfalt dargestellt werden, wenn der Zielort und die Zielgruppe weit entfernt sind?
Welche Variationen des Deutschen im Bezug auf die Ebenen des Sprachsystems und des Sprachgebrauchs sollten besonders hervorgehoben werden?
Wie gehen Lehrmaterialien und Lehrende mit der Asymmetrie der Plurizentrik um?
Welche kulturellen Inhalte werden in den Lehrbüchern, Prüfungen und Materialien wiedergegeben und wie stehen diese in Verbindung mit dem DACH-Prinzip und der sprachlichen Vielfalt?
Wie gehen Lehrende mit Dialekten und Umgangssprache(n) um? Welche Rolle spielen diese beim Erlernen der deutschen Sprache?
Wie kann der soziale und situative Aspekt eines Sprachgebrauchs und deren Sprachvariationen kontextgemäß beim Erlernen der deutschen Sprache berücksichtigt werden?
Praxisbeispiele, Projekte und Projektvorschläge, Forschungsberichte, Inputs und Vorträge sind herzlich willkommen!
Sektionsprogramm
Christian Ernst
Universidade de São Paulo
ernst(a)usp.br
"“Diversität” und “Plurikulturalität” in DaZ-Lehrwerken für Integrationskurse in Deutschland – eine dominanzkritische Analyse"
DaF/DaZ-Lehrwerke können dominanzkulturelle Darstellungs- und Deutungsmuster reproduzieren. Lernende sehen sich dann mit einer weißen, heteronormativen und leistungsorientierten Mittelklasse-Gesellschaft konfrontiert, die zudem Körperidealen entspricht. Gerade in Integrationskursen kann dies kontraproduktiv sein. Die seit 2023 erscheinenden, neu konzipierten bzw. überarbeiteten Lehrwerke „Miteinander“ aus dem Hueber-Verlag und „Die neue Linie 1“ aus dem Klett-Verlag erklären daher, eine plurikulturelle und diverse Gesellschaft abzubilden und Lernenden Identifikation zu ermöglichen. In diesem Beitrag werden die aktuellen und zuletzt vom BAMF anerkannten A2.2-Bände dieser Lehrwerke einer dominanzkritischen Mehrebenenanalyse (vgl. Degele & Winker 2009) unterzogen. Es zeigt sich, dass unzureichende Verständnisse von Pluralität und Diversität vorliegen und Forschungsdiskurse zu Diversität und Postmigration zwar aufgegriffen, aber nur oberflächlich umgesetzt werden. Deutschland und die deutsche Sprache werden homogenisiert dargestellt und soziale wie regionale Differenzlinien und sprachliche Varietäten ausgeblendet. Durch die Tilgung von Varietäten in den Audiotexten werden die Lernenden zudem mit der Norm des Standarddeutschen als Maßstab konfrontiert, was dem Konzept der Plurilingualität entgegenläuft.
Büchsel, Almut: Teilhabe durch Deutschlernen? Repräsentation von Vielfalt im Deutschunterricht. Materialien der Berliner Volkshochschulen. In: Freese, Anika; Völkel, Oliver-Niels: Gender_Vielfalt_Sexualität(en) im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. München: Iudicium, 2022, S. 108-124.
Burwitz-Metzler, Eva: Konzepte und Skalen zu Plurikulturalität und Plurilingualität im Companion Volume, 2018. Deutsche Gesellschaft für Fremdsprachenforschung (DGFF). Online: https://www.dgff.de/assets/Uploads/ZFF-2-2019-03-BurwitzMelzer.pdf
Corti, Agustín: Sprachvarietät und Kulturen: Eine mediale Analyse von Materialien. In: Rückl, Michaela (Hrsg.): Sprachen und Kulturen: vermitteln und vernetzen. Beiträge zu Mehrsprachigkeit und Inter-/Transkulturalität im Unterricht, in Lehrwerken und in der Lehrer/innen/bildung. Münster, New York: Waxmann 2016, S. 85–97.
Ernst, Christian: Reproduktion von Dominanzkultur im DaF-Lehrwerk und die Perspektive der Lernenden. Eine Analyse der Repräsentation der Gesellschaften der amtlich deutschsprachigen Länder in DaF kompakt neu. In: Karina Becker (Hrsg.): Mehrsprachiger und dominanzkritischer Deutschunterricht, in Vorbereitung (erscheint 2024).
Europarat: Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lehren, lernen, beurteilen. Begleitband. Stuttgart: Ernst Klett, 2020.
Fäcke, Christine: Lehrwerkforschung – Lehrwerkgestaltung – Lehrwerkrezeption. Überlegungen zur Relevanz von Lehrwerken für den Fremdsprachenunterricht. In: Rückl, Michaela (Hrsg.): Sprachen und Kulturen: vermitteln und vernetzen. Beiträge zu Mehrsprachigkeit und Inter-/Transkulturalität im Unterricht, in Lehrwerken und in der Lehrer/innen/bildung. Münster, New York: Waxmann 2016, S. 37–48.
Rieger, Christine: Bildung – Intersektionalität – Othering. Pädagogisches Handeln in widersprüchlichen Verhältnissen. Bielefeld: transcript, 2016.
Runnels, Judith: Pluricultural Language Education and the CEFR. Cambridge: Cambridge University Press, 2021.
Winker, Gabriele/Nina Degele: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld 2009.
Yıldız, Erol (2018): Vom methodologischen Nationalismus zu postmigrantischen Visionen. In: Hill, Marc; Yıldız, Erol (Hrsg.): Postmigrantische Visionen. Erfahrungen – Ideen – Reflexionen. Bielefeld: transcript Verlag. S. 43–61.
Antonia Schneider
selbständig / Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland
chachaschay(a)gmail.com
"„In Nearle giz dia scheaschda Mess!“ (Inter-)kulturelles Lernen im/mit dem „Dialekt“ zwischen Tradition, Migration und aktuellen Lebenswelten im DaF-Unterricht. "
Sprachenlernen und Sprachvermittlung sind eng mit (inter-)kulturellem Lernen verbunden, wenn es um regionale Variation und Dialekte geht, noch mehr. Bedeutungen von Wörtern und Äußerungen stellen nicht nur aufgrund der Phonetik, Syntax, Morphologie und Semantik in ihrer Differenz zum Standarddeutschen eine Herausforderung für Lehrende und Lernende dar, sondern auch in Hinblick auf die regionale Verankerung von Alltagserfahrungen, die Kontextgebundenheit spezifischer Lebenswelten und die rapiden Veränderungen im Sprachgebrauch und sprachlicher Repertoires.
Anhand von Beispielen aus dem Nördlinger Ries, wo eine Variante des Schwäbischen („Rieserisch“) gesprochen wird, soll aufgezeigt werden, wie Sprache in ihrer (in diesem Fall dialektalen) Vielfalt mit interkulturellem (und auch historischem) Wissen sowie regionalen Alltagserfahrungen und Lebenswelten verknüpft ist. Wie wirkt sich die neu entstandene sprachliche und kulturelle Vielfalt in den Interaktionsräumen auf regionaler Ebene und auf den Sprachunterricht aus und wie kann dort auf kreative und innovative Weise Raum für neue, multimediale Formen und Dynamiken interkulturellen Lernens geschaffen werden, z.B. bei Museumsbesuchen, mit Memes, Liedern, Filmausschnitten und authentischen Dialogen.
Dabei geht es nicht nur um überlieferte kulturelle Traditionen, Revitalisierung oder die Vermittlung von landeskundlichem Wissen und sprachlichen „Grundkenntnissen“, sondern auch um aktuelle Entwicklungen in einer Region, in der Migranten aus der ganzen Welt und damit auch Deutschlernende (u.a. Fachkräfte, Ärzte, Geflüchtete), die ihre eigene Sichtweise auf regionale Gegebenheiten und sprachliche Variation entwickeln. Über den regionalen Kontext hinaus sollen auch Parallelen und Anwendbarkeit in anderen mehrsprachigen Kontexten (u.a. in DACH oder Bolivien) ausgelotet werden.
Meyr, Melchior (1983): Zur Ethnographie des Rieses. Neu herausgegeben mit Vorwort und ergänzenden Erläuterungen von Albert Schlagbauer. Nördlingen: Steinmeyer.
Schmidt, Friedrich Georg Gottlob (2010): Die Rieser Mundart. Berlin: Nabu.
Schneider, Antonia/ Abel, Johanna (2019): „Im stillen Wasser verbergen sich die Teufel. Dimensionen und Dynamiken (inter-)kulturellen Lernens im Kurs Deutsch als Fremdsprache“, in: Sabine Klocke-Daffa (Hg.): Angewandte Ethnologie. Perspektiven einer anwendungsorientierten Wissenschaft. Wiesbaden: Springer-Verlag.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/schweschier-guacamole-witze-und-musik-in-rieser-mundart,StdgMGM
Keity Link Seifert
Colégio Sinodal Ruy Barbosa, Rio do Sul, Brasilien
keity.link(a)csrb.com.br
"Der Deutsche Katharinenser: uma análise do dialeto alemão falado no Vale Europeu no estado de Santa Catarina, sul do Brasil, e sua influência no aprendizado do Hochdeutsch"
Die Kuh auf dem Bast, assim se chama o livro escrito e publicado pelo pastor alemão Alexander Lenard em 1963, que morou e trabalhou em Dona Emma. A leitura desse livro me fez analisar e questionar o dialeto alemão falado por mim e por meus familiares e amigos, e também pelos meus alunos, moradores aqui do Vale Europeu. Essa análise me mostrou como o dialeto pode influenciar, ajudar e às vezes também atrapalhar a aprendizagem do Hochdeutsch.
LENARD, Alexander. Die Kuh auf dem Bast. 2ª Edição. Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1963.
BOLLE, Willi e KUPFER, Eckhard E. Cinco Séculos de Relações Brasileiras e Alemãs | Fünf Jahrhunderte Deutsch-Brasilianische Beziehungen (PT/DE). Editora Brasileira, 2013.
Antonia Schneider, studierte Ethnologie, Deutsch als Fremdsprache und Spanische Sprachwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nach der Promotion im Fachbereich Ethnologie war sie im süddeutschen Raum als Dozentin u.a. im Bereich Deutsch und Lehrbeauftragte am Institut für Ethnologie an der LMU in München tätig. Von 2019 bis Juni 2024 war sie DAAD-Lektorin an der Universidad Católica Boliviana San Pablo, La Paz. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Ethnologie des Lernens, (Ethno-)linguistik und -semiotik, Multimedialität, sprachliche Variation, (inter-)kulturelles Lernen und interkulturelle Kommunikation, Sprachen und Kulturen der Anden.
Christian Ernst ist DAAD-Lektor und Gastdozent an der Universidade de São Paulo und Lehrbeauftragter für Fachdidaktik Deutsch und Lehrbeauftragter für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Neueste Veröffentlichung: Reproduktion von Dominanzkultur im DaF-Lehrwerk und die Perspektive der Lernenden. Eine Analyse der Repräsentation der Gesellschaften der amtlich deutschsprachigen Länder in DaF kompakt neu. In: Karina Becker (Hrsg.): Mehrsprachiger und dominanzkritischer Deutschunterricht, in Vorbereitung (erscheint 2024).
Keity Link Seifert estudou Letras Português Alemão na Unisinos em São Leopoldo, Rio Grande do Sul, Brasil. Durante sua graduação trabalhou como bolsista de Iniciação Científica na área da Imigração Alemã, despertando assim seu interesse por esse tema. Atualmente é professora de alemão no Colégio Sinodal Ruy Barbosa em Rio do Sul, Santa Catarina.
Wir freuen uns auf das persönliche Kennenlernen bzw. Wiedersehen in Sucre!