In einem Schrank lag, neben verschiedenen anderen, eine dicke lange Kerze, die erwartungsvoll ihrem Gebrauch entgegenharrte.
Sie war sich ihrer Würde recht bewusst. Daher achtete sie auf ihre gerade Haltung und träumte vom Licht, das sie hervorbringen wollte.
Wie enttäuscht war sie jedoch, als am Lichtmesstag die anderen Kerzen hervorgeholt wurden und sie unbeachtet im Schrank verblieb. Wochenlang betrauerte sie ihr Schicksal. Sie wollte schon fast den Kopf hängen lassen, als zwei fest zupackende Hände sie ans Tageslicht beförderten. Nun bekam sie sehr zart farbiges Wachs aufgelegt, und sie schwitzte vor Aufregung. Aber wieder wurde sie danach zur Seite getan. Es verging abermals eine geraume Zeit, bis sie erneut zur Hand genommen wurde. Diesmal war es so dunkel um sie herum, dass sie ahnte, wie sehr die Welt das Licht brauchte. Gutherzig strengte die Kerze sich an zu leuchten. Doch es wollte ihr nicht gelingen. Es blieb noch immer finster. Da knisterte es an ihrem Docht und sie fing Feuer. Zudem rief eine Stimme durch den dunklen Raum: „Lumen Christi!“ Und viele antworteten: „Deo gratias!“ Jetzt strahlte ein Lichtschein von der Kerze auf. Einen Augenblick war es still. Dann ertönte wiederum: „Lumen Christi!“ „Deo gratias!“ Die Kerze bemerkte, dass das Licht von ihr weitergegeben und es um sie herum etwas heller wurde. Und ein drittes Mal hörte sie: „Lumen Christi!“ „Deo gratias!“ Da wurde der Raum vom Licht erfüllt. Mit vielen Kerzen war es weitergetragen worden. Unsere Kerze staunte, denn sie erkannte, dass nicht sie selbst das Licht hervorgebracht hatte, das alles erhellte. Sie war nur entzündet worden von der frohen Botschaft, dass das Licht Jesu Christi da ist und ansteckend wirkt. In der österlichen Freude darüber leuchtete sie bereitwillig und hellstrahlend bis Pfingsten und wann immer die Menschen es brauchten.
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