Der amerikanische Grundeinkommens-Aktivist Scott Santens schreibt über das Thema »Muss das Grundeinkommen an unterschiedlichen Orten unterschiedlich hoch sein.« in seinem Beitrag »Should the Amount of Basic Income Vary With Cost of Living Differences«. [1]
Dieses Thema kommt immer wieder in die Diskussion, berechtigterweise. Der Geldbetrag soll für alle gleich sein, was dem Gerechtigkeitsgedanken entspricht. Aber was ist, wenn die Lebenshaltungskosten an unterschiedlichen Orten verschieden sind.
Santens diskutiert das Thema einmal aus individueller Perspektive und dann aus lokaler Sicht.
Er bezeichnet das Grundeinkommen als Opportunitätszuwachs, Möglichkeitenzuwachs. - Wer ein Grundeinkommen hat, hat mehr Möglichkeiten. Wer nun in einer teuren Stadt leben will, wie zum Beispiel »New York«, der muss sich dessen bewusst sein, dass dort die Lebenshaltungskosten wesentlich höher sind, als auf dem Lande.
We all have a right to live anywhere in the country, but no one has a right to live specifically in NYC, and to do so living alone and with no job in the heart of the city.
Dafür sind aber auch die Möglichkeiten größer, einen Job zu finden, der einem zusagt. Aber auch die Infrastrukturangebote, Kultur- und Kommunikationsmöglichkeiten sind umfassender als in einer Kleinstadt oder im Dorf. - Diese Infrastrukturmöglichkeiten setzt er geldmäßig dem Grundeinkommen dazu bzw. zieht es ab, wenn der Mensch auf dem Lande lebt. - Er nennt das Grundeinkommen ein »minimum amount of opportunity«.
Er sagt dann, dass das Grundeinkommen ein Geldbetrag sei, der dem Einzelnen zur freien Verfügung bereitsteht. - Das heißt, wie viel der Grundeinkommen-Bezieher von diesem Geld für etwas ausgibt, ist seine Sache. - Es wäre also möglich, das Geld überhaupt nicht für die Existenzsicherung zu verwenden, weil z. B. der Grundeinkommens-Bezieher mit sechsunddreißig noch bei seinen Eltern wohnt, und die monatlichen 1000 Euro für seine Forschung über »Unbekannte Flugobjekte« verwendet. :-)
Wenn allerdings das Grundeinkommen als reiner »Möglichkeitenzuwachs« diskutiert wird, erscheinen auch andere Szenarien möglich. - Da ist der Glücksritter, der das gerade erhalte Geld »gewinnbringend« zum Spielkasino trägt, um es arbeiten zu lassen und den Geldbetrag zu verdoppeln. Aber vielleicht ist der Geldbetrag am selben Abend »futsch«, und derjenige konnte seine Möglichkeiten nicht nutzen und muss sich am nächsten Tag vom Sozialarbeiter beraten lassen, wie er jetzt die Lebensmittel bezahlen soll, die er noch im laufenden Monat braucht. - Götz Werner hatte gesagt, ein Grundeinkommen würde dazu führen, dass niemand mehr eine Ausrede hat, er hätte keine Möglichkeiten. - Aber was würde diese Wahrheit nützen, wenn die Bettler nicht weniger würden und die Obdachlosen trotz Grundeinkommen immer noch unter der Brücke schlafen.
Kurzum, der reine »Möglichkeitenzuwachs« erscheint mir als Erklärung für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) nicht ausreichend und eher heikel, weil das sichere Terrain der »Existenzsicherung« aufgegeben wird und nur noch über einen Geldbetrag diskutiert wird, der zur »beliebigen Verwendung« bereitstünde. - Das ist dann doch nicht die Idee, die ich zuvorderst im Sinn habe.
Santens sagt, der Einzelne muss selber überlegen, ob er in der teuren Stadt leben will, und nur mit einem Grundeinkommen dann etwas knapp dastünde, aber mit mehr Möglichkeiten sich zu entfalten, oder ob der Bürger preisgünstig auf dem Land lebt, dafür aber weniger Infrastrukturmöglichkeiten hat. - Da wird deutlich, in welchem Maße das Grundeinkommen eine eigenverantwortliche Handlungsweise voraussetzt. - Es ist somit durchaus denkbar, sich mit einem Grundeinkommen zu »verzocken«, indem der Grundeinkommens-Bezieher die falschen Entscheidungen trifft.
Basic income unlocks these kinds of choices that would not exist otherwise, but it’s one or the other and the decision concerning what kind of opportunity is more important is up to the individual.
Eine zweite Perspektive macht Santens auf, wenn er von den unterschiedlichen Mietpreisen in den Kommunen spricht. Es gibt zwei Möglichkeiten, was die Entwicklung der Mietpreise angeht. Einmal könnte das Grundeinkommen immer gemäß den lokalen Unterschieden angepasst werden, was Santens für den falschen Weg hält, weil die Preissteigerungen kein Ende finden würden, und es gäbe die Möglichkeit zu sagen, das Grundeinkommen ist ein Mittelwert für eine Grundsicherung aller Menschen in einer Gemeinschaft. - Und an diesem Mittelwert entlang sollten sich die Preise für die existenzsichernden Güter bewegen.
The point of a universal amount, is to say »this is the average minimum amount of money in this country required to cover basic needs.«
Da das Grundeinkommen den Bürgern die Möglichkeit gibt, überall zu leben, während heute die Menschen sich an den Plätzen konzentrieren, an denen es »bezahlte Arbeit« gibt, könnten die Grundeinkommens-Bezieher ein Nachfrage-Potential bedeuten, an das sich die Marktpreise anpassen.
Basic income gives people the basic freedom to move. This introduces downward pressure on prices, as cities suddenly find themselves competing for residents. If those charging rent charge too much, people are free to move where people are charging less. There will be more movement between small towns and cities nationwide. This creates the incentive to not raise rents. There’s even an incentive to lower rents within cities through the introduction of smart new businesses looking to capture the new low-end housing market created by everyone having basic income.
Grundsätzlich ist er aber der Meinung, dass das Thema die Einführung des Bedingungslosen Grundeinkommen betrifft und wenn es so weit ist, sicherlich noch eine Konkretisierung stattfinden wird. - Zum Beispiel könnte bei Einführung des Grundeinkommens eine Einmalzahlung an jeden erfolgen, der Ortswechsel erleichtert. Außerdem brachte er ins Spiel, dass neben der Bundesleistung »Grundeinkommen«, zusätzlich »Länderleistungen« vorstellbar sind, die als Dividende an die Bürger ausgezahlt werden, ähnlich dem Alaska-Fonds. [2] Dadurch hätten die Bürger weitere Einkommen zu dem Grundeinkommen.
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Scott Santens Überlegungen sind sicherlich in erster Linie auf die USA bezogen und dennoch interessant zu lesen. - Eine Übertragung dieser Diskussion auf Deutschland würde erst einmal dazu führen, die bestehenden Verhältnisse ins Auge zu fassen. - Arbeitslosengeld II ist ein Grundeinkommen. - Es muss unbedingt befreit werden vom »Arbeitszwang«. Und es muss bezüglich des zur Verfügung stehenden Geldbetrages angehoben werden. - Aber ansonsten ist Hartz4 ein Grundeinkommen.
Und wie ist das mit den Mietpreisen geregelt? Die Jobcenter orientieren sich an »Mietspiegeln« und setzen einen Wert fest, zu dem sie maximal die Miete übernehmen. - Nun könnte gesagt werden, dass das darauf hinausläuft, was Santens kritisierte. Nämlich, dass die Mieten überall immerzu steigen und die Mietzahlungen, die die Kommunen übernehmen, ebenfalls. - Also mithin eine unerwünschte Entwicklung.
Vielleicht muss einfach klar sein, dass es nicht damit getan ist, einen (beliebigen) Geldbetrag »Grundeinkommen« zu nennen. - Denn in Wirklichkeit ist es doch so, dass sich entlang dieser Marke am Markt Angebot und Nachfrage entwickeln müssen. Für den »Nachfrager« kann sich dieser Geldbetrag als zu gering erweisen oder im Gegenteil, »ausgesprochen üppig«, je nach persönlicher Lage. Und weiter steht dem gegenüber ein »Angebot«, das eventuell mit seinen Preisen nicht mit dem Grundeinkommens-Betrag harmoniert. - Welchen Wert dieser Geldbetrag am Ende tatsächlich haben wird, zeigt der Alltag.
Es ist somit für Grundeinkommens-Befürworter nicht damit getan, eine Geldsumme zu nennen, die für angemessen angesehen wird. Da steckt noch viel mehr an Aufgaben und Arbeiten dahinter.
Santens glaubt, dass sich das Angebot an Gütern dem Mittelwert des Grundeinkommens anpassen wird, also auch solche Mieten zustande kommen, die ein Grundeinkommens-Bezieher bezahlen kann. - Sollen wir der Marktwirtschaft vertrauen. :-) Ich denke schon.
Ich bin aber auch der Meinung, dass es nicht verkehrt ist, als mündiger Bürger, sich gleichzeitig für ein Grundeinkommen einzusetzen und für wirtschaftliche Entwicklungen, die zu dauerhaft niedrigen Preisen führen. - Der einzelne Bürger soll sich beschäftigen und engagieren, in den Bereichen, die ihm wichtig sind. - Zum Beispiel durch Beteiligung an Wohnungsbau-Genossenschaften, die bewusst preiswerten Wohnraum schaffen und über zinsfreien Grund und Boden geringe Quadratmeterpreise erreichen. Andere »Baustellen« sind die Nahrungsproduktion [3], die Kleidungsherstellung, die Energieerzeugung. - Alles Bereiche, mit denen sich im Einzelnen beschäftigt werden muss. - Die Wirtschaft ist unsere Wirtschaft. - Wir müssen wissen, wie sie funktioniert und wie sie an unsere Bedürfnisse angepasst wird, insbesondere wie eine ressourcenschonende, nachhaltige, preiswerte Versorgung mit den existenzsichernden Gütern erreicht werden kann.
Was ich nicht unterstützenswert finde, sind Konzepte eines »starken Staates«. Denn so etwas läuft immer auf eine Bevormundung der Bürger hinaus. Eine Staatswirtschaft oder Planwirtschaft, »von oben« angeordnet, um niedrige Preise zu erzwingen, halte ich für erwiesenermaßen zum Scheitern verurteilt. (Siehe sozialistische Staaten) - Aus diesem Grund und auch weil der »Freiheitsgedanke«, die individuelle Freiheit, die zentraler Bestandteil der Grundeinkommens-Idee ist, eine liberale Idee darstellt, glaube ich nicht an ein »linkes« Grundeinkommen. - Es wird eine »zurechtgestutzte« Marktwirtschaft sein, die Grundeinkommens-Gesellschaft, in der das »Kapital« massiv an Bedeutung und Macht verlieren wird. Es wird eine Gesellschaft sein, in der das Individuum einen Bedeutungszuwachs erfahren wird, mit direkt-demokratischen Rechten und Möglichkeiten, um in Netzwerken und allein, für einen menschenwürdigen, die Menschenrechte achtenden Staat einzutreten.
[1]
http://www.scottsantens.com/should-the-amount-of-basic-income-vary-with-cost-of-living-differences
[2]
https://de.wikipedia.org/wiki/Alaska_Permanent_Fund
[3]