Was ist der Sozialstaat

Die »Argumente« der Politiker im Schweizer Nationalrat [1], die wir letzte Woche hören konnten, sind sicher ähnlich denen der Politiker in anderen Ländern.- Ich kenne nicht die Verhältnisse in der Schweiz, da ich dort noch nicht war. Von Deutschland kann ich aber sagen, dass in den letzten Jahren Armut und Elend immer sichtbarer werden.

Neben den vielen Tafel-Gängern, Flaschensammlern, Menschen, die in Mülltonnen wühlen, Hartz4-Empfänger, armen Rentnern, Frühverrenteten und Billiglohnjobbern, sind immer mehr Menschen auf der Straße lebend, sich den ganzen Tag da aufhaltend: Obdachlose, psychisch Angeschlagene, Kranke, viel mehr Frauen, als früher, aber auch Personen, denen anzusehen ist, dass das nicht ihr Leben war, vor kurzem noch.

Wo ist da der Sozialstaat, der angeblich funktioniert und den Menschen hilft, in Notlagen?

Haben wir eine »ausgewogene solidarische Gemeinschaft«. Was soll das sein.

[Das bGE] ist radikal subjektbezogen, z. B. im Gegensatz zur Sozialhilfe, die von Haushaltgrössen und realen Lebensgemeinschaften ausgeht, um den Bedarf zu ermitteln. Das ist bedarfsorientiert und belastet den Steuerzahler weniger.

Aber um wen geht es. - Um den Steuerzahler oder um die »Subjekte«, die Individuen. - Und um was geht es. Ein Luxusleben, oder das Allernötigste, das jeder Mensch jeden Tag braucht?

Überdies wird [mit einem bGE] der Grundgedanke unserer Sozialpolitik, nämlich die Hilfe zur Selbsthilfe, die Hilfe zurück in die wirtschaftliche Selbstständigkeit zu finden, vernachlässigt, wenn nicht torpediert.

Muss das nicht der Betroffene selbst entscheiden, was ihm möglich ist. Und zeigt er dies nicht in seinem Verhalten. - Sind Menschen wie Hunde, die wir dressieren und abrichten können, damit sie dies und das tun? - Wer keine »wirtschaftliche Selbständigkeit« schafft, den müssen wir ertragen. Oder soll er besser umgebracht werden? Euthanasie, weil »nicht selbständig«.

Allen Hilfen muss sich der Betroffene »freiwillig« annähern können. Alles, was nach Druck und Zwang aussieht, ist schlecht.

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Der Staat muss sich die »Bedingungen« anschauen, die in den jeweiligen Menschen wirksam sind, muss sehen, welche Möglichkeiten der Mensch hat. Und er muss erkennen, wann ein Mensch Hilfe braucht und er muss diesem dann helfen, was in erster Linie bedeuten kann, das Grundlegende im Leben zu gewähren, die Wohnung, das Geld für den täglichen Bedarf. - Das wäre ein soziales Gemeinwesen. [2]

Aber der Staat macht es umgekehrt !

ER will die Bedingungen festlegen, nach denen Hilfe gewährt wird. Der Staat sagt nicht, ich schaue, wie die Bedingungen im Menschen sind, er sagt, erfülle MEINE Bedingungen und wir werden sehen, ob ich dann bereit bin, dir zu helfen.

Wer über das Stöckchen nicht springt, das der heutige Sozialstaat dem Bürger hinhält, der kriegt nichts ! - Der Alkoholiker, der nicht zu den Terminen im Jobcenter erscheint, sich keine Atteste von einem Arzt ausstellen lässt, dass er krank ist, der den »Behördenkram« nicht erledigt, seitenlange Vordrucke nicht (richtig) ausfüllt, der hat die Bedingungen nicht erfüllt, der wird sanktioniert, bekommt kein Geld für die Wohnung, verliert diese, steht auf der Straße und ist obdachlos. - Hätte er doch bloß alle Bedingungen der Behörden erfüllt, dann ginge es ihm besser.

Dabei ist diese Logik absurd. - Denn es ist doch gerade das bei den Hilfebedürftigen vorliegend, dass sie nicht in der Lage sind, im Hamsterrad der Anpassungs- und Wettbewerbsgesellschaft und zum Teil eben auch bei den ganz normalen Verrichtungen des Alltags, zurechtzukommen. - DAS macht sie zum Sozialfall.

Alle die Gestrauchelten und Gestrandeten, die wir durch die Straßen wandeln sehen, die in den U-Bahnhöfen sich aufhalten, zeigen uns doch, dass der »Sozialstaat« NICHT funktioniert. - Wie können aber dann die Politiker behaupten, ihr Modell, ihr System würde funktionieren und sei das richtige?

Weil sie es so wollen. - Sie wollen einen solchen Staat, ein solches Verfahren, wie es heute ist. - Wer sich »sozialen Integrationsmaßnahmen und Begleitmaßnahmen der sozialen Sicherungen« nicht fügt, sich entzieht, der SOLL nichts bekommen. - Das ist die Idee des heutigen Sozialstaates. Der Bürger soll gezwungen werden, sich zu unterwerfen. Wenn er dies nicht tut, nicht kann, dann soll er »sich zum Teufel scheren«.

Der praktizierte Sozialstaat ist unmenschlich, weil er in letzter Konsequenz immer vom Bürger etwas fordert. - Und natürlich gerade dann, wenn dieser Hilfe braucht und »schwach« ist. - Das ist so, als ob der Einbeinige sagt, ich brauche Hilfe, und der Staat sagt, springe erstmal über das Stöckchen, das ich dir hinhalte. Und wenn du das nicht schaffst, weil du nur ein Bein hast, dann hast du dich halt nicht richtig angestrengt.

Und dieses Beispiel kann auf den Alkoholiker übertragen werden, den psychisch Belasteten, den Entnervten und Entmutigten. - Alle sie können und wollen nicht mehr über hingehaltene Stöckchen springen, die der Staat sich ausdenkt, als »Bedingungen«, damit die Menschen Hilfe bekommen.

Ja, vielleicht ist es ja wirklich so, dass bezüglich mancher Maßnahmen eine Einzelfallbetrachtung durch einen aktiven Staat zu viel verlangt ist, zu kostenintensiv, zu aufwendig. - Aber gerade dann und deshalb ist ein Bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) der viel bessere Weg, weil er ohne Betrachtung des Einzelfalls erstmal annimmt, dass alle Menschen eine Existenzsicherung brauchen. - Denn heute finden die Bedürftigen auch bei den grundlegenden Bedürfnissen keine Lösung, weil der Staat selbst bei diesen elementaren Dingen, Bedingungen stellt, und zwar unbesehen der persönlichen Situation der Betroffenen.

Um noch bei dem Alkoholiker zu bleiben. Warum ist es nicht möglich zu sagen, der Mensch kommt nicht zu unseren Terminen, kriegt nichts auf die Reihe, aber seine Wohnung soll er behalten können, auch dann, wenn er uns keinen Antrag unterschreibt, keinen Arbeitsvertrag, keine Eingliederungsvereinbarung. - Und er soll ein Geld bekommen, damit er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. - Eine quasi »formlose« Zuwendung. - Und wenn der Staat wirklich »sozial« sein will, könnte er sagen, dem schicken wir immer Mal einen Streetworker vorbei, einen Sozialarbeiter und bieten weitere Hilfen an. - Das wäre ein Sozialstaat.

Heute ist der Sozialstaat eine »Zwangsarbeiter-Rekrutierungseinrichtung«. Er wird von den Politikern benutzt, um die Menschen gefügig und unterwürfig zu machen. - Wer nicht den »Anordnungen« Folge leistet, sich nicht den »Bedingungen« anpasst, der wird finanziell ignoriert. Der bekommt nichts. - Der soll sich in Luft auflösen.

[1]

Amtliches Bulletin - Die Wortprotokolle von Nationalrat und Ständerat

[2]

Der Bürger kann eben nicht sagen, sorry, liebes Amt, ich bin momentan etwas neben der Kappe, habe meinen Arbeitsplatz verloren, den ich 15 Jahre innehatte, durch Mobbing, und ich will erstmal nichts wissen von dieser unfairen Arbeitswelt und brauche eine Auszeit, ich weiß noch nicht wie lange. - Selbst wenn es dem Betroffenen genau so gehen würde, die Sachbearbeiter im Amt würden sich kaputtlachen, wenn der es wagen würde, so ein Statement abzugeben.

Und doch wären das genau die Bedingungen, die in dem Menschen vorherrschen, die seine Befindlichkeit ausmachen. Und eigentlich wäre es richtig, dass sich die Staatsdiener nach seiner Situation richten.

Aber das Amt interessiert das nicht. Sie wollen nichts wissen von der persönlichen Lage der Menschen. Selbst wenn die Person sich durch ihr Sachwissen und Fähigkeiten in der alten Firma eine bestimmte Position erarbeitet hatte, ihr wird gnadenlos die Rolle des Lernlings, des Anfängers angeboten, in einem neuen Job, in dem Bereich in dem sie aktiv war. - Und natürlich verbunden mit einem Anfängergehalt.

Warum und wieso jemand seinen Arbeitsplatz verloren hat und was das für eine psychische Belastung darstellt, ist für die Sachbearbeiter ohne Belang. Danach wird nicht gefragt. - Sie halten sich ausschließlich an die »gesetzlichen Vorgaben« und die besagen, dass der »Arbeitslose« wieder in ein Beschäftigungsverhältnis mit Erwerbseinkommen gedrückt werden soll.

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Die für eine funktionierende Gesellschaft gültigen Bedingungen sind in den einzelnen Menschen. - Und nicht, dass der Staat künstlich welche erschafft, und sie gegen die Bürger einsetzt, gegen ihre innere und äußere Verfassung.