Demnach wären Markt und Staat auf diejenigen Leistungsbereiche zu begrenzen, in denen informelle Arbeitsformen überfordert sind. Während in kapital- und qualifikationsintensiven Wirtschaftsbereichen kaum Expansionschancen für informelle Arbeitstätigkeiten liegen dürften, ist zu vermuten, dass insbesondere in arbeitsintensiven Bereichen erhebliche Entwicklungsmöglichkeiten selbstorganisierter Initiativen bestehen. Voraussetzung für eine solche ausgewogene Vernetzung wäre allerdings die angemessene materielle Absicherung1 der informell Tätigen sowie die Sicherstellung der freiwilligen Entscheidung2 in Bezug auf die Zugehörigkeit zu den drei Sektoren. Dies schließt ein, dass flexible Übergänge ohne Verlust erworbener Rechte jederzeit realisierbar sein müssten. Hierzu gehören verkürzte und flexible Arbeitszeiten, wie großzügige Teilzeitregelungen, Langzeiturlaub, gleitender Ruhestand etc., die erst die Möglichkeiten für einen ständigen Wechsel zwischen den verschiedenen Arbeitssphären eröffnen ..... Insbesondere durch verkürzte und "flüssige" Arbeitszeiten ergeben sich wachsende Möglichkeiten für eine individuelle Kombination von Berufs- und eigeninitiierter Arbeit.3
(S.25)
Ohnehin müssen auch in Zukunft flächendeckende Versicherungs- und Versorgungsleistungen auf zentraler Ebene geregelt werden. Auf diese Weise kann einer Entwicklung vorgebeugt werden, in deren Verlauf sich die gesellschaftlichen Ungleichheiten verschärfen und wachsende Bevölkerungsgruppen unter die Armutsgrenze fallen .... Im Gegenteil dazu muss für eine Angleichung der Verteilungsergebnisse des Arbeitsmarktes durch eine kompensatorische Sozialpolitik gesorgt werden, die eine Grundabsicherung, unabhängig von der erwerbswirtschaftlichen Arbeit, garantiert.4 Nur so können sich Wahlmöglichkeiten entfalten und neue, den Staat langfristig entlastende Lebens- und Arbeitsformen ausbreiten. (S.26)
Allerdings verbleibt ein nicht unbeträchtlicher Teil von Gütern und Dienstleistungen, die nur unter Bedingungen kapital - und technologieintensiver Produktion in großen Maßstab erbracht werden können. Es kommt darauf an, durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität diesen Teil der Arbeit so stark zu reduzieren, dass Freiheitsspielräume für selbstbestimmte Tätigkeiten erweitert werden.5 Allerdings kann ein gesellschaftlicher Bereich autonomer Tätigkeiten nur dann gegen seine drohende Vereinnahmung durch den kapitalistischen Modernisierungsprozess aussichtsreich geschützt werden, wenn fremdbestimmte Lohnarbeit auch weiterhin Gegenstand reformpolitischer Aktivitäten, etwa im Sinne einer Selbstverwaltung und Selbstorganisation der industriellen Arbeitsprozesse und einer Humanisierung der Arbeit bleibt. Eine überzogene Strategie der Befreiung von Arbeit, wie sie von prominenten Vertretern eines ökologischen Sozialismus neuerdings vorgetragen wird (vgl. vor allem Gorz 1980), gibt den Kernbereich der »Arbeitsgesellschaft« kampflos preis, ohne die Möglichkeit einer produktiven Koexistenz von humanisierter Lohnarbeit und selbstbestimmter Eigenarbeit auch nur ins Auge zu fassen. Um unrealistischen Erwartungen, also Illusionen in Bezug auf ein »Reich der Freiheit« entgegenzutreten, sei allerdings daran erinnert, dass die Gruppe der politischen Protagonisten dieses Konzepts gegenwärtig noch diffus erscheint und mit starken Gegenbewegungen zu kämpfen hat, die eine rasche und problemlose Realisierung dieses Gesellschaftsentwurfs verhindern. Hierzu zählen alle diejenigen Institutionen und gesellschaftlichen Kräfte, die ihre Existenzberechtigung bzw. ihren Nutzen aus dem noch vorherrschenden Modus der Produktion, Verteilung und Konsumtion gesellschaftlicher Werte ziehen. Zu diesen zentralen Trägern der auf dem Rückzug befindlichen »Arbeitsgesellschaft« gehören nicht zuletzt die Gewerkschaften, die nicht umhin kommen werden, organisationspolitische Konsequenzen aus der sich abzeichnenden zukünftigen Entwicklung der Arbeit zu ziehen, etwa indem über die unmittelbar lohnarbeitsbezogenen Interessen hinaus ebenso die Interessen derer artikuliert und vertreten werden, die aus dem System erwerbswirtschaftlicher Arbeit verdrängt wurden6 und — mehr oder weniger freiwillig — eine Lebensperspektive jenseits der Lohnarbeit entwickeln ..... Eine Transformationsstrategie muss deshalb schrittweise vorgehen und zuallererst bestehende Hemmnisse für die Ausdehnung des informellen Sektors abbauen. Beispielsweise müsste die enge Kopplung der Systeme sozialer Versicherung und Versorgung mit dem System der Lohnarbeit gelockert7
und die dringend notwendige Flexibilisierung von Arbeitszeit - und Organisationsstrukturen vorangetrieben werden. (S.27)
Aus: Rolf G. Heinze / Thomas Olk; Selbsthilfe, Eigenarbeit, Schattenwirtschaft - Entwicklungstendenzen des informellen Sektors; in "Zukunft der Arbeit" (1982)
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Eigentlich haben die Protagonisten vor 32 Jahren durchaus erkannt, dass es so nicht weitergehen kann, dass die Arbeitswelt sich fortlaufend ändert und die Menschen neue Wege werden gehen müssen.
Und ihre Konzepte ähneln in gewisser Weise oder sind sogar deckungsgleich, mit denen der heutigen bGE-Befürworter. Der Mensch muss, um arbeiten zu können, materiell abgesichert sein und seine Arbeit selbst wählen können. [1,2]
Eigeninitiierte Arbeit [3] und Berufsarbeit ist nichts anderes, als ein mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen abgesichertes Leben, in dem abhängige Beschäftigung und »freies Tätigsein« miteinander kombiniert wird. Wobei »freies Tätigsein« ganz unterschiedliches bedeuten kann: Die eigene Persönlichkeit weiterentwickeln, Therapie machen, gesund werden, sich selbst »heilen«. Aber auch Bildung, Studium, Schulabschlüsse nachholen. Und: den eigenen Lebensweg finden, unterschiedliches Leben ausprobieren. - All das geht nur, wenn die Existenz abgesichert ist. - Dafür sorgt ein bGE.
»Angleichung der Verteilungsergebnisse des Arbeitsmarktes« [4] bedeutet nichts anders, als das alle Menschen angemessen an der Wertschöpfung in einem Gebiet beteiligt werden. Und das wiederum ist identisch mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen (bGE).
Durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität werden Freiheitsspielräume für selbstbestimmte Tätigkeiten erweitert. [5] Hier wird von den Autoren darauf hingewiesen, dass der Produktivitätsfortschritt in Form von mehr »Freiheit«, zum Wohle aller Menschen verwendet werden kann.
Diejenigen, die aus dem System erwerbswirtschaftlicher Arbeit verdrängt wurden [6] , sind heute die »Arbeitslosen«. Für deren Interessen setzen sich die Gewerkschaften nicht ein. Im Gegenteil, diese haben das Hartz4-System mit auf den Weg gebracht.
Und die »Entkopplung« von Arbeit und Einkommen deuten die Autoren ebenfalls an, wenn sie schreiben »Lockerung« oder Entflechtung der Systeme der Versorgung und Systeme der Lohnarbeit. [7]