Der Spiegel

18 November 1996

Der reichste Sklave der Welt

...über den Star, den sie einst Prince nannten


Thomas Huetlin


Draußen, wo Minneapolis aufhört I and das Nichts anfangt, stehen ein paar schnell hochgezogene Software-Bunker. Und dann gibt es noch einen anderen Bunker, den sein Besitzer für eine Art Tempel hält.

Damit der Sound gut bleibt in diesem Bunker, dürfen die Verstärker nie ausgeschaltet werden, und deshalb wundert sich niemand darüber, daß der Chef auch in schlechten Jahren eine Stromrechnung von mindestens 100 000 Mark hat.

Wer wissen will, wie der Bunker heißt, bekommt schnell Antwort: Paisley Park. Wer aber wissen will, wie der Chef heißt, muß sich mit einem der bizarrsten Identitäts-Verwirrspiele der Neuzeit herumschlagen. Seit drei Jahren hört der Mann, den sie früher Prince nannten, nicht mehr seinen Namen. Statt dessen hat er ein Zeichen zugelegt, das aussieht, als hätten ein abstrakter Mann and eine abstrakter Frau einen Notenschlüssel aufgespießt. “Symbol” nennen ihr jetzt die einen. “The Artist Formerly Known As", kurz “Tafkap", die anderen. Seinen Angestellten und Musikern erspart er wenigstcns dieses Problem. Sie müssen ihn “Sir” nennen. Selbst wenn sie wieder einmal mit ihm bis zum Morgengrauen üben mußten: “Sir".

In den letzten Wochen ist “Sir” wieder gut drauf. Als ob er damit demonstrieren wollte, daß an den Gerüchten um sein neugeborenes Kind, das behindert oder gar gestorben sein soll, nichts dran ist. Sagen mag er zu dem Thema nichts. Nicht mal, ob das Baby wirklich schon da ist Er zicht die Show durch: “Sir” ist gut drauf. So gut, daß er die Wände seines

Bunkers mit blauer Farbe und weißen Wolken hat anmalen lassen. So gut, daß er gerade mit “Emancipation” ein Album herausgebracht hat, bei dem keiner mehr sagen wird: “Der, wie heißt er jetzt eigentlich, hat eine neue Platte, die Musikkritiker als perlende Melange aus Rockfunk und Jazz-Elementen bezeichnen – so was kauf’ ich sicher nicht.”

Weil “Emancipation” ein Neubeginn sein soll, hat “Sir” sich allerhand einfallen lassen. Er hat nicht eine, sondern drei CDs herausgebracht. Jede der drei CDs ist genau eine Stunde lang. Das, meint “Sir", hänge mit den Konstruktionsweisen der alten ägyptischen Pyramiden zusammen. Mehr sagt er nicht. So genau kennt er sich mit den Ägypten nun auch wieder nicht aus.

Was noch? Er hat mit “Betcha by Golly Wow!” eine wunderbare Soulballade der “Stylistics” neu aufgenommen. Er hat mit “Get Yo Groove on” eine Art Party-Waffe auf CD, mit der er bald bei Jimmy Jam, seinem größten Konkurrenten in Minneapolis, die Einfahrt hochdonnern mochte. “Und zwar voll laut” sagte er der Zeitschrift Rolling Stone: “Honk! Honk!”

Der Mann, der in der achtziger Jahren als größtes Genie seit den Beatles gefeiert wurde und in den Neunzigern so weit sank, daß er bei der Eröffnung zweitklassiger Nachtklubs herumstehen mußte, um überhaupt einmal wieder in die Zeitung zu kommen, begann den Abend der Weltpremiere mit einem Song, den er jahrelang nicht mehr gespielt hatte. Der titel: “Purple Rain". Sein Kommentar: “Die Rechte gehören zwar noch immer den Warner Brothers. Aber ich kann mich jetzt wieder an die Griffe erinnern.”

Jahrelang waren “Purple Rain” und andere Hits seiner großen Zeit bei “Sir” ebenso beliebt gewesen wie Prince, der Name, den in seiner Anwesenheit keiner mehr aussprechen durfte.

Die glanzvolle Vergangenheit war tabu, weil sie mit der Plattenfirma Warner zusammenhing; dem Konzern, dem Prince mit 19 Jahren den bis dahin besten Debütvertrag der Musikgeschichte (volle Kontrolle bis zum Erscheinen der Platten) abschwatzen konnte; der Ausbeuterisch, der Prince 1992 den damals bestdotierten Superstarvertrag der Musikgeschichte abgepreßt hatte: 60 Millionen Dollar Garantiesumme fur sechs CDs plus 25 Prozent Gewinnbeteiligung plus ein Gehalt als Vizepräsident der Firma plus Beteiligung von Wamer an seinem Paisley-Park-Kunstler-Park, einem Verein, der viel Geld kostete und wenig hereinbrachte.

Warner hat mit viel gerechnet, mit viel Geldausgaben sowieso, aber nicht mit Prince. Denn wenn Gott die Welt erschaffen hat, dann muß Prince sie beschallen, und je älter er wird, desto mehr merkt er, daß dieses Unternehmen schiefgeht. Deshalb wollte er Warner zwingen, seine Platten nicht einmal im Jahr, sondern viel mehr, viel öfter herauszubringen. Deshalb sagt er Sachen wie: “Warum nicht 700 000 Kopien Blues-Gitarren-Musik einfach einem Gitarren-Magazin beilegen?” Deshalb hatte er Ideen wie: “Ich würde gerne eine neue Single nur mit einer A-Seite herausbringen und von den Leuten verlangen: Kauft die B-Seite im nächsten Jahr.”

Nun ist es nicht so, daß die Leute bei Warner keine Verrückten gewohnt waren, nur wenn ihnen einer ein eingeführtes, sündteueres Markenzeichen wie Prince versenken will, werden sie sauer. Ende 1993 kam es zum großen Streit. Warner behielt den Namen Prince und bekam schlechte Songs. Symbol wechselte die Firma (in Europa zu Edel), schrieb weiter schlechte Songs und hatte mit “The Most Beautiful Girl in the World” einen Zufallshit. Außerdem malte er sich jetzt den Namen “Slave” auf die Backe. Da nützte es Warner auch nichts mehr, daß sie zwischendurch eine CD des Stars unter dem Namen Symbol rausbrachten.

Natürlich hatte der Mann recht. Natürlich kämpfte hier ein Künstler mit viel Geld gegen einen Konzern mit noch mehr Geld. Ein klassischer Konflikt um Glück und Freiheit – in einer Zeit, über die der amerikanische Schrifitsteller Hunter S. Thompson zu Recht sagt, ihre Verehrung für Regeln und Ordnung gehe so weit, daß die wahren Helden heute Football- und Basketballschiedsrichter seien.

Als der Streit seinen Höhepunkt erreichte, kündigte der reichste Sklave der Welt an, keinen neuen Song mehr zu schreiben und seine Schallplattenkarriere zu beenden. Was er mit seiner Freizeit tun wollte, blieb ein Rätsel. Mal sagte er, er werde sich in Zukunft dem Theater, interaktiven Medien, Nachtklubs und dem Kino widmen. Mal sagte er, er gehe mit seiner Band auf eine Tournee, die vier Jahre dauere. Der Madison Square Garden sei schon gebucht. Der einzige, den er noch am Konferenztisch duldete, war Gott. “Er rät mir, ich soll weitermachen", sagte das Symbol, “ich bin immer glücklich, niemals traurig und werde niemals runterschalten.”

Schließlich gab Warner auf und den Sklaven frei. Zum Dank schenkte er ihnen noch die unverkäufliche CD “Chaos and Disorder und schloß einen neuen Vertrag mit dem Unterhaltungskonzern EMI. Der soll in Zukunft nur noch dafür zuständig sein, die CDs des Künstlers, die für das firmeneigene Label “New Power Generation Records” produziert werden, in die Läden zu stellen. Wann immer der Chef will. Wieviel der Chef will.

Und es sieht so aus, als wolle der Chef den Markt fluten. “Ich möchte das großte Regal im Laden mit den meisten Titeln", sagt das Symbol. “Ich weiß, sie werden sich nicht verkaufen, aber es reicht schon, wenn wenigstens irgend jemand eine von jedem Stapel mitnimmt” Das Symbol erzählt gem, daß es 20 Instrumente beherrscht. Der Taschenrechner gehört nicht dazu.

Daß Verkäuflichkeit für Pop so wichtig ist wie die Elektrizität, hat das Symbol von Anfang an gewußt. Er besuchte an der High School zweimal die Woche Kurse mit dem Titel: “Das Geschafft mit der Musik". Seine Lehre: “Ich werde versuchen, so umstritten wie möglich zu sein.” Ein Star werde er dann automatisch. 100 Millionen bis heute verkaufte Platten beweisen, daß er damals gut aufgepaßt hat.

Das rasende Ego, das ihm zur überragenden Popkarriere der achtziger Jahre verhalf, hat ihn in den letzten Jahren oft zur Witzfigur werden lassen. Wenn er jetzt die vollständige Kontrolle über seine Geschäfte bekommt, wer darf ihm dann noch die Meinung sagen?

Leider nicht einmal die einzige Person, die ihm noch nahe ist: seine Frau Mayte. Als er bei der Weltpremiere von “Emancipation” in einem lila Rüschenanzug durch die Zuschauer schritt, durfte sie ihn begleiten. Auf die Frage, warum er von den Schönheiten, die ihn umgeben, gerade sie für die Ehe erwählt habe. antwortete das Symbol, sonst ein mysteriöser Schweiger: “Weil sie die einzige ist, die. mir gegenüber niemals negativ war.”