Audio Live!

January 1997

Symbolträchtig

Der Mann, der sich heute,,Love Symbol" nennt, startet in eine neue kreative Ära. AUDIO live traf den Exzentriker in seinem Paisley Park Studio.



Christiane Rebmann

Eisregen prasselt auf die Kühlerhaube, während das Taxi aus Minneapolis hinaus ins Niemandsland fährt. Die Stadt selbst liegt schon mitten in der Pampa, im US-Staat Minnesota. Und da draußen, westlich der 350 000 Einwohner zählenden City am oberen Mississippi, in einem Vorort namens Chanhassan, residiert der Weltstar: The Artist Formerly Known As Prince – "TAFKAP” – hat hier seinen Paisley Park-Komplex hingestellt.

Das Imperium hat sich der als Prince Rogers Nelson vor 38 Jahren geborene Musiker im Laufe einer einzigartigen Karriere aufgebaut. Mit sieben hatte der Sohn eines jazz-Bandleaders und einer Sängerin bereits begonnen, Piano zu spielen. Mit 13 – da war er schon zu Hause ausgezogen – kamen Gitarre und Schlagzeug dazu. Er stieg in die High-School-Band Grand Central ein, die sich kurz darauf in Champagne umbenannte. Mit 16 hatte das Multitalent gelernt, wie man eine funkastige Melange aus schrägem Rock, kitschigem Pop und tränentreibendem Soul mit der richtigen Dosis aus Jazz-Versatzstücken aufpeppt. Das war die Basis für den Stil, der später als Minneapolis Sound bekannt wurde. Mit 19 unterschrieb Prince bei Warner einen Plattenvertrag, der für einen Anfänger ungewöhnlich kulant abgefaßt war. Seither schockt der kleine Prinz, der seine 1,57 Meter Körpergröße durch das Tragen von Pumps zu überspielen versucht, die Musikwelt mit gewagten Stilmischungen und erotomanischen Texten oft jenseits des guten Geschmacks: Der ganz große Durchbruch kam 1984 mit dem teils autobiographischen Film "Purple Rain". Die gleichnamige LP glänzte mit Hits wie dem Titelsong, "When Doves Cry" und L"et's Go Crazy und hielt sich 24 Wochen an der Spitze der US-Charts. In der Folge veröffentlichte der Workaholic solche Hit-Alben wie "Sign 'O' The Times", Parade" oder den „Batman"-Soundtrack, aber auch eine ganze Reihe von Flops.

Das Taxi halt vor einem weißen Gebäude mit pyramidenförmigem Glasdach. Selt 15 Jahren regiert der Ex-Prince vom Paisley Park-Studio aus und produziert hier seine Alben. Früher strahlte der Bau Hightech Kälte aus jetzt dominieren Pastelltöne: hellblau, rosa und peach, die Lieblingsfarbe des Künstlers, Den Eingangsbereich schmücken weiße Wolken auf himmelblauem Grund. Überall prangen Planetensymbole, Sonne, Mond und Sterne und seine Spezialhieroglyphe, eine Kombination aus den Zelchen für das weibliche und das männliche Geschlecht. Gefragt, wie er sich denn jetzt nennt, deutet er auch auf dieses Love Symbol". Selbst sein Keyboarder vermeldet es, seinen Chef anzureden, um Peinlichkeiten zu umgehen. Eigentlich müßte der Mann doch mal die Nase voll haben von dem Versteckspiel und all den Witzen, die er provoziert seit er den Namen Prince vor drei Jahren ablegte. So titulierte Ihn Amerikas Anarcho-Clown Howard Stern frei übersetzt als den Künstler, der allen schnuppe ist. "Mir sind diese Scherze schnuppe", entgegnet der Künstler, "Ich habe ein sehr dickes Fell. Außerdem wurde ich damit ja selten konfrontiert, well Ich lange Zelt überhaupt keine Interviews gegeben habe." Und dann müht er sich, der Angelegenheit doch noch einen Sinn zu verpassen: „Wenn sich jemand an das Symbol hält, erkenne ich, daß er mich respektiert. Der Name Prince hatte außerdem zuviel Ballast."

TAFKAP pocht nicht nur auf seinen unaussprechlichen Namen. Er verbietet auch den angereisten Journalisten, die Gespräche mit ihm aufzuzeichnen groteskerweise selbst den Kollegen von Radio und Fernsehen. Wir sind nicht vorrangig auf die Welt gekommen, um zu sprechen", erklärt er später im Einzelinterview. "Worte können eine Falle sein. Ich finde es besser, wenn die Reporter nur über das berichten, was sie sich als wichtig gemerkt haben." Aber dann findet er doch noch Spaß daran, sich den Fragen zu stellen. "Ich habe ja schließlich ein Album zu verkaufen", rechtfertigt er seinen Zickzack-Kurs. Aber: „Ich spreche am liebsten über das Business, Musik muß man hören." Der Mann klingt aufgeräumt, obwohl das Gerücht umgeht, sein im Oktober geborenes erstes Kind sei sehr schwer behindert Über dieses Thema zu sprechen, ist jedoch tabu. Immerhin erzählt er mit einem scheuen Lächeln, daß er glücklich sei, Vater zu sein.

Dies scheint er mit der Farbenfreude seiner Kleidung demonstrieren zu wollen: Er trägt ein aus lapan Importiertes, limonengrünes Ensemble – Pulli, Leggings mit Relief, dazu Socken und Pantoletten. Die schwarzen Haare ließ er sich kurz schnel den und um die Ohren herum ausrasieren. Und er hat den Schriftzug “Slave" von seiner Wange entfernt. Denn seit sich TAPKAP von seiner Ex-Plattenfirma losgeeist hat, fühlt er sich frei und emanzipiert obwohl Warner dem verwöhnten Prinzen sein Sklaven-Dasein 1992 mit einem Vizepräsidentenjob plus zehn Millionen Dollar Vorschuß pro Platte versüßen wollte. “Mir gehören keine Master der Prince-Songs mehr; auch nicht "Purple Rain" das tut weh. Statt des sen hat mir Warner goldene LPs gegeben. Aber was sind die schon wert!", trauert er. 

Sein neues Werk nannte TAFKAP passend “Emancipation”. Ich bin auf die Welt gekommen, um dieses Album zu machen. Es gehört mir. Ich kann darüber bestimmen. Wenn ich will, kann ich endlos Singles auskoppeln – oder auch eine neue Platte machen.”  Anders als Warner darf der neue Partner EMI nur noch den Vertrieb seines Outputs regein. Selbstbewußt meint er: “Ich bin der erste großeKünstler, der es so macht; ich bin Pionier – leider.”

Und er ist Chef, in der Firma Paisley Park ist Demokratie ein Fremdwort. Alle Entscheidungen laufen über den Meister. Und so hat er auch die Musiker seiner Band New Power Generation (NPG) mal wieder ausgetauscht. Als Drummer ist jetzt Kirk A. Johnson dabei “Er spielt zwar nicht besonders gut. Dafür bin ich dick mit ihm befreundet und er hat eine Vision." 

Daß die nicht immer reicht der Drummer reichlich und Schwächen auszumerzen hat, zeigt sich in derselben Nacht: Da hat der Chef um zwel. Uhr in die weiß dekorierte Konzerthalle seines Paisley Parks zum Gig geladen. Dort präsentiert er selbst die zugänglichen neuen Songs weniger gefällig, “Jam Of The Year” kommt zickiger als auf dem Album. Dabel assistieren ihm die neuen Gespielinnen Rhonda Smith und Kathleen Dyson. “Rhonda ist die beste Bassistin, die ich je hatte. Sie. geht mit ihrem Baß ins Bett”, grinst er süffisant, Zweideutiges liebt er eben, Kathleen sei als Gitarristin okay, “aber vor allem kennt sie sich mit dem Midi aus. Sie kann alle Geräusche darauf erzeugen”. Für den langjährigen Saxophonisten Eric Leeds gab’s kaum Arbeit: “Er ist so gut, daß er seinen eigenen Spielraum benötigt. Ich wollte aber der einzige Solist sein.”

Auf “Emancipation" singt TAFKAP auch Coverversionen wie Bonnie Raitts “Can’t Make You Love Me" – aus rein humanitären Gründen, wie er versichert. “Ich wollte dafür sorgen, daß die Autoren und Musiker, die mich früher inspiriert haben, ihr Geld zurückbekommen." 

Der Namenlose hat sich auch immer um Junge Kollegen gekümmert: So entdeckte er Bands wie The Time oder Apollonia 6 und förderte Sheila E. Aber auch seine kompostorischen Talente stellte er anderen zur Verfügung: So schrieb er “I Feel For You" für Chaka Khan, und Sinead O'Connor wurde mit dem Prince-Song “Nothing Compares 2 You” berühmt. Mit seinen weiblichen Schützlingen verband Ihn oft auch Privates. 

Doch die Zeiten, in denen Prince Rogers Nelson den wilden Mann markierte, schelnen vorbei Zwar finden Radiosender einige seiner Songs nach wie. vor zu obszön, um sie zu spielen. Und er ge nießt auch die Reputa tion, die ihm durch die US-Vizepräsidentengattin Tipper Gore er wuchs: Sie gründete, empört über die Masturbationsphantasie “Darling Nikki", die Zensurvereinigung PMRC Dennoch bekennt sich der Sex-Maniac, der Anfang '96 seine Tänzerin Mayte heiratete, mittlerweile zur Monogamie. Und das kann auch eine Art von Emanzipation sein. 

This interview was syndicated. Versions of it also appeared in:
  • The Burlington Free Press (Burlington, VT), 25 September 1997
  • The Spokesman-Review (Spokane, WA), 25 September 1997
  • St. Louis Post-Dispatch (St. Louis, MO), 29 September 1997)
 ...and possibly other publications as well.