Die Chronik unseres Dorfes
Idyllisch, zwischen Feldern, Wiesen und großen Wäldern gelegen, welches sich am Dorfbach entlang bis in die Niederungen des Muldentales zieht, präsentiert sich unser westerzgebirgisches Dorf Wildbach. Ein grüner Flecken, den man nicht unbedingt wahrnimmt, wenn man die ehemalige Poststraße von der Bergstadt Schneeberg in Richtung Hartenstein nimmt und das Dörfchen nur steift. Doch um den einen Blick in die 620-Seelen Gemeinde kommt kein Wanderer, Radler oder Autofahrer herum. Hier am oberen Ortseingang, wo man sich auf einer Bank am Wappenstein niederlassen kann, bietet sich eine Aussicht über das Dorf bis hinunter zur 1806 geweihten Kirche, zum Poppenwald und die uns umgebenen Höhenlagen, wie den Hartensteiner Forst, den Gebirgszug der sogenannten „schönburgischen Bastei“ die vor Alberoda liegt und den Schlemaer Schafberg. Ein wahrlich beeindruckender Ausblick!
Wildbach wurde, wie so viele im Muldetal angesiedelte Dörfer, ab Mitte des 12. Jahrhunderts gegründet. Für unseren Ort legte man das Jahr 1157 fest, was sicher kein genaues, allerdings ein gut geschätztes Datum zu sein scheint, denn um diese Zeit wurde auch die auf einem Felsvorsprung über der Mündung des Wildbaches in die Zwickauer Mulde und im Steiner Wald befindlichen Besiedlungsburg „Eisenburg“, heute „Isenburg“ genannt, errichtet.
Die Ländereien wurden streifenförmig an die Neubauern, die zum größten Teil aus Franken und Thüringen stammten, vergeben, um ihren Lehnsbesitz urbar zu machen, zu roden, zu ackern und zu bestellen. Als eine beliebte Form der Aufteilung galt das Waldhufendorf, wobei jeder Bauer Land zum Hausbau, Wiese, Feld und ein Stück Wald bekam. In Wildbach geschah dies in beide Richtungen, südlich und nördlich des Dorfes, wobei man diese zweireihige Struktur noch heute sehr gut erkennen kann. Man muss sich vorstellen, dass ausschließlich die 24 Bauerngüter und eine kleine Kirche das Ortsbild prägten. Es gab weder weitere Häuser, noch unsere Dorfstraße. Nur zwei Kommunikationswege, der heutige Kastanienweg und der Kirchsteig, verbanden die Güter miteinander und kleinere Fußwege führten in Richtung Kirche. Der Mühlweg im Poppenwald und die Hartensteiner Straße waren die Wege, die dem Dorf zum Handeln dienten.
Es waren 23 Bauern, die sich hier niederließen und sich ein neues Leben aufbauen wollten. Mit der Pfarrhufe waren es 24 Grundstücke, welche mitten im „Miriquidi“, dem Dunkelwald, wie man ihn nannte, angelegt wurden und welche bis heute, den Grundstein unseres dörflichen Lebens bildeten.
Zum Wasser, also dem Bach, hatte Jeder im Dorf freien Zugang, denn dieser befand sich auf der „Gemein“, dem sogenannten Anger. Heute ist dieser Streifen fast vollständig mit Häusern bebaut und unsere Dorfstraße schlängelt sich, fast parallel zum Bachverlauf, darauf entlang durch unseren Ort.
Bis Wildbach erstmalig urkundlich Erwähnung findet sollen doch noch einige Jahrhunderte vergehen. Nachdem die Besiedlung des Westerzgebirges durch die Vögte von Weida, hier müssen die Familien der Herren von der Planitz und der Herren von Uttenhofen genannt werden, vorangetrieben wurde, die Mulde war die damals natürliche Grenze, verschoben sich durch kleinere kriegerische Auseinandersetzungen allerdings die Grenzen, wobei schon um 1300 die Isenburg durch Zerstörung ihr Ende fand. Die Wildenfelser und Meinheringer bauten nun eine neue Verteidigungslinie am rechten Ufer der Mulde und so entstand die Burg Stein, auf welcher der Vasall Heidenreich von Stein-Grünhain saß und als Kolonisator fungierte.
Es entstand später die Herrschaft Stein, wozu Wildbach mit dem 1732 neu gegründeten Ort Stein, Langenbach, Lerchenberg und Teile von Neudörfel gehörten, unter der Familie von Schönburg, welche bis 1878 die Lehnsherrschaft inne hatte.
Im Jahre 1446 wird Wildbach und Langenbach erstmalig auf einer Urkunde zu lesen sein, bei der es um die Aufteilung der Gebiete unter den Gebrüdern von Schönburg geht. Das „Buch der Wohltäter“ des Franziskaner-Ordens in Zwickau überliefert uns aus den Jahren 1460-62 die ersten bekannten Namen: Hoczler (Hotzler), Scheibner, Weidener, Neffe (Neef), Richter und Meler (Mehlhorn). Die meisten dieser Familiennamen gibt es noch heute.
Als im März 1478 der bekannte Zwickauer Handelsmann Martin Römer den Brüdern von Schönburg den Poppenwald abkauft, hinterlässt die Geschichte auch hier wieder ein Dokument als Zeitzeuge. Ab dem Jahr 1514 werden sämtliche Haus- und Grundstücksverkäufe für Wildbach in Gerichtsbüchern niedergeschrieben und nach einer Anordnung ab 1588 auch alle Trauungen, Taufen und Begräbnisse in den Kirchenbüchern festgehalten. Unser Dorf wächst und gedeiht zu einem funktionierenden landwirtschaftlichen Ort. 1834 zählte man 467 Einwohner, 1890 sogar 959 und im Jahre 1950 unwirkliche 1159 Einwohner, wenn man bedenkt, dass die Anzahl der Häuser unmerklich höher war.
Die große Pfarrhufe zeugt davon, dass unser Ort als Kirchdorf gegründet wurde. Die in den Jahren vor 1804 abgebrochene alte Kirche mit Mittelreiterturm stammte laut Pfarrer Theodor Landgraf (1840-1919) aus vorreformatorischen Zeiten. Das einzige Relikt aus dieser damals noch katholischen Kirche ist eine Madonnenfigur, welche auf das Jahr 1310 datiert wird. Dies könnte auch die Erbauungszeit dieser Kirche gewesen sein. Aus deren Vorbauten ist leider kein zeitzeugendes Dokument zu finden. Der erste nachweisbare evangelische Pfarrer Matthias Gering trat 1549 hier ins Amt. Ihm folgten weitere 25 Geistliche bis 2018, als Pfarrer Ulrich Kauk (geb. 1954) in den Ruhestand ging. Der wohl bedeutendste in dieser Reihe war wohl schon genannter Theodor Wilhelm Landgraf. Er erstellte die Chronik der Kirchgemeinden Wildbach und Langenbach, hinterließ eine große Sammlung an Familienblättern und Leichenpredigten und ließ die Kirchendecke neu gestalten. Der heutige Kirchenbau wurde in den Jahren 1804 bis 1806 gefertigt. Um schnell an Baumaterial zu gelangen, trug man große Teile der nahen Ruine Isenburg ab und sprengte deren Turm. Die alte Wehranlage wurde somit zum Steinbruch und mit seinen Schieferplatten zum Spender vieler Gebäude in unseren Dorf. Der Neubau ersetzte den Vorgängerbau um die wesentlich größere Zahl an Einwohnern zu fassen, denn der damalige Ort Stein war nach Wildbach gepfarrt und diese kamen nun seit 1732 jeden Sonntag ebenfalls in unsere Kirche zum Gottesdienst.
Ab dem Jahr 1588 werden die ersten bekannten Lehrer erwähnt. Der erste Wildbacher Schulmeister war Jacob Simon. Wie und ob es damals ein eigenes Schulgebäude gab, oder nur eine Stube ist nicht nachweisbar, jedoch steht fest, dass es 1676 laut Aktenlage eine Schule in Fachwerkbauweise gegeben hat. An diese Stelle wurden immer wieder verbesserte und vergrößerte Schulgebäude gestellt. Das letzte noch heute erhaltene Backsteingebäude beherbergt unter anderem die Heimatstuben mit Museum im Erdgeschoss, welches Heimatfreund Claus Beier (1951-2019) mit Hingabe ins Leben gerufen hat. Nach Einstellung des Schulbetriebes in Wildbach, Ende der 1960er Jahre, beherbergte das Gebäude lange Zeit den Kindergarten, bis dieser in das Mehrzweckgebäude mit Gemeindeverwaltung, Arztpraxis und Sparkasse in die Dorfmitte zog. Der Platz, der eingebettet zwischen alter Schule, Kirche, dem Pfarrhaus mit Pächterhäuschen, dem 2010 neu erbauten Backhaus, Schule und dem sagenumwobenen Mehlhorn‘schen Gut liegt, wird heute oft als zweites Ortszentrum für Veranstaltungen genutzt. Doch auch als Ort der Ruhe und Besinnung kann er uns dienen mit seinem Blick auf den 56 Meter emporstrebenden, von Falken umkreiste Kirchturm, auf das alte Fachwerkgemäuer, seinen Bänken, seinem Bibliothekshäuschen oder der Sitzgruppe unter der Friedenslinde. Seit 2019 gibt die „weiße Frau von der Isenburg“, die einer Sage nach in der Burgruine lebte, in Form einer lebensgroßen Holzfigur Obacht auf das Geschehen auf dem Kirchplatz.
Wildbach wurde von Beginn an als ein Bauerndorf gegründet, welches sich zusätzlich mit der Rodung angrenzender Wälder und mit etwas Köhlerei den Lebensunterhalt verdiente. Später wurden auch die Handwerksberufe wie Maurer, Schmiede, Zimmerer und Maler immer wichtiger. Ein großer Erwerbszeig über viele Jahrhunderte wurde die Weberei. In einige Häuser wurden Webstühle eingebaut, die mit als festes Inventar an den nächsten Käufer übergeben wurden.
Die Errichtung der Holzschleifereien und der Papierfabrik in Niederschlema brachte Ende des 19. Jahrhunderts sehr viele Einwohner in Arbeit. Aber nicht nur das, sondern es gab einen großen Zuzug von Arbeitern von außerhalb. Es ging sogar soweit, dass Gustav Heinrich Toelle (1840-1900), der um 1890 im Hartensteiner Forst seine „Holzschleiferei Prinzenhöhle“ erbaute, eine eigene Brücke über die Mulde errichten ließ, damit die Belegschaft keinen weiten Weg zur Arbeitsstelle hatte. Die sogenannte „Toelle-Brücke“ im Poppenwald am Fuße der Isenburg wurde aber leider 1945 in den letzten Monaten des 2. Weltkrieges beim Rückzug der deutschen Soldaten gesprengt. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass man diese Fußgängerbrücke als touristischen Höhepunkt im Muldetal einst wieder erbaut, besonders auf Hinblick des entstehenden Muldetal-Radweges und die immer wichtiger werdende Bedeutung Wildbachs als Tourismus- und Wandergebiet.
Um 1920 gab es mehrere Steinbruchbesitzer, welche sich demzufolge mit Tief- und Hochbauarbeiten selbstständig machten, wie zum Beispiel Willy Mehlhorn (geb. 1892), welcher 1928 die Dorfstraße erstmals grundhaft und für Fahrzeuge ausbaute. Neben den Bauerngütern, die nach Gründung der LPG zusammengeschlossen wurden und damit auch bis nach 1990 die Grundstruktur des Ortes als Hufendorf zum großen Teil für eine lange Zeit verloren ging, gab es in Wildbach weitere kleine Läden, wie zwei Bäckereien, Fleischer, Mangel, Material- und Grünwarenläden, Friseur und Bekleidungsladen und ab den 1920er Jahren Handschuh- & Weißwarenfabriken. Keines dieser hat bis heute überlebt. Auch die erste eigene Mühle am Poppenwald, welche 1866 durch Georg Friedrich Becher (1805-1893) erbaut wurde und später nur noch als „Clauß-Bäck“ bekannt war, gibt es heute nicht mehr.
Wo gearbeitet wird, muss auch gesessen und viel getrunken werden. Um 1905 wurde das kühle Bier im Örtchen Stein im Restaurant „Drei Linden“, welches vorher das Gasthaus „Schweizerhaus“ hieß, ausgeschenkt, und zwei Häuser weiter lud der Wirt des Gasthof „Zur Schmiege“ ein, bei ihm Platz zu nehmen. Die erste Schenke in Wildbach, der sogenannte „Erbkretscham“ wurde im Jahre 1613 vom Voigt zum Stein Georg Maul (†1639) auf Gemeindegrund im niederen Dorf errichtet. Wir kennen diese heute noch als Gasthof „Bergschlösschen“. 1672 baute Balthasar Büttner am oberen Ortsausgang eine Schmiede mit ebenfalls einer Schenke im Erdgeschoss. Bis 1897 wurde hier im Gasthof „Zum Lamm“ gespeist, allerdings danach zum Wohnhaus umgebaut. Zu diesen kamen den „alten“ Wildbachern noch gut bekannte Wirtshäuser hinzu, wie das 1803 von Christian Friedrich Schulz erbaute Gasthaus „Zur Linde“ in der Ortsmitte an der Weggabelung zur Langenbacher Straße, und das anno 1850 an der Hartensteiner Straße durch Johann Gottfried Gerber errichtete Gasthaus „Zum Schützenhaus“. Heute laden noch Familie Stoppe in das oben genannte „Bergschlösschen“ und Familie Reinhardt in ihr am unteren Ortsausgang befindliche, 1993 eröffnete, Restaurant „Jägerklause“ zum Verweilen ein.
Die Wildbacher sind ein Völkchen, die auf ein gepflegtes Ortsbild und gut durchgeplante nette Feierlichkeiten Wert legen. Ob Heimatfest oder Ostermarkt, ob Walpurgisfeuer oder Traktorfest, es ist immer etwas los im Ort. Die Initiatoren dieser Feste organisieren sich meist in Vereinen. Derzeitig haben wir den 2005 gegründeten Heimatverein Wildbach e.V., mit heute 105 Mitgliedern; die Freiwillige Feuerwehr mit 19 Mitgliedern; die Pächtergemeinschaft mit 7 Jägern; den 2008 gegründeten Tischtennisclub TTC Wildbach e.V. mit 27 Mitgliedern; den 2015 gegründeten Hundesportverein „Schnelle Schnauzen“ e.V., der mit seinen 20 Mitgliedern den ehemaligen Sportplatz hegt und pflegt; und die seit 2016 ins Leben gerufene Gemeinschaft zur Förderung erzgebirgischer Familienkunde „Der Roland“, die sich um die historischen und genealogischen Zusammenhänge im Westerzgebirge bemüht.
Ein ganz besonderes Projekt einiger Mitglieder des Heimatvereins macht den Wald zum unvergesslichen Erlebnis. Seit 2019 ist im oberen Poppenwald der WiKuSaWa - der Wildbacher Kunst- & Sagenwald - ständig am Wachsen. Mit Schnitzkursen, Waldkonzerten und Märchenstunden locken die Wildbacher die Leute aus ihren Häusern heraus um mit der Natur eins zu werden. Sie sind herzlich eingeladen! Kommen Sie vorbei - es lohnt sich!
Das ländliche Flair Wildbachs mit seinen grünen Fluren laden den Wanderer natürlich besonders ein unseren 7 km langen Rundwanderweg zu erkunden und neben den wunderschönen Ausblicken von den Höhenlagen, wie dem Vogelherd, die man ringsum entdecken kann, die vielen kleinen Sehenswürdigkeiten zu erkunden. Um einige zu nennen wären dies zum Beispiel der Fürst-Bismarck-Gedenkstein aus dem Jahre 1904 und der Lorenz-Gedenkstein mit dem Wegenetz im Poppenwald, der restaurierte über 160 Jahre alte Halbmeilenstein am oberen Ortsausgang, die beiden Kriegerdenkmale auf dem Gottesacker mit Kirche, dem Pfarrgut-Ensemble und dem Mehlhorn-Gut. Die vielen liebevoll hergerichteten Fachwerkhäuser im Dorf, oftmals über 250 alt, geben ein nur zu liebliches Fotomotiv ab. Das älteste Haus im unteren Dorf, mit einem gut erhaltenen Fachwerk mit geschweiften Andreaskreuzen, stammt aus dem Jahr 1645 und wurde von dem Schneeberger Schneider Abraham Haase (1613-1678) errichtet. Die Wege am Wildbachlauf entlang, an der alten Mühle vorbei, über die ehemaligen Schulwiesen bis zur Ruine Isenburg laden zum entspannten Spaziergang ein. Am Muldeufer, wo sich bis 1945 die Toelle-Brücke befand, ist ein idealer Ort für ein Picknick am Strand - fast schon ein Geheimtipp. Der Rittersteig, der sich am Muldehang im Steiner Wald in Richtung Hartenstein entlang schlängelt, lässt die alten Sagen von Raubrittern auf ihren Pferden fast wieder spürbar werden.
Heimat ist, wo wir unseren Lebensfaden festgemacht haben. Ob „mei Willbach“ mich gefesselt hat, oder ich mich an ihm, ist letztlich nicht wichtig. Ich hoffe nur, dass ich Sie hiermit ebenso etwas an dieses wunderschöne Flecklein Erde binden konnte.
Mit einem herzlichen „Glück Auf!“
Stefan S. Espig, Wildbach
im Mai 2020
Mei Wildbach
von Lisa Knitt, Wildbach 2020
Zwischen dr Schlem un Schneebarg dort
liegt e klaaner und lauschiger Ort.
E Ort, wu dr aane enn anneren gut kennt,
wu mr net stumm un dumm vorbei anenanner rennt.
Wu mr ah mol „Glick auf“ socht
un nachfrocht,
wos de su lus is und wos mr su macht,
wu mr ah mol auf dr Stroß latscht und lacht.
Dos is e klaa Dörfel, wu siech helfen de Leit,
wu mr siech über’n Schwibbug’n am Fanster vom annern freit.
Wu mr zesammkimmt un „dippln“ gieht,
un mr zesamm drüb’n an dr Heimatstub stieht,
wu de Kinner spiel’n draußen im Wald,
wu mr ah zamrückt als jung un alt,
wu mr zesammhält, net ner unner ein’m Dach,
dos Dörfel, ihr Leit, dos is mei Wildbach.
veröffentlicht im "Erzgebirgischen Heimatkalender 2022", im Juli 2021, Seite 5 - 17