Eine kleine Reise ins Spätmittelalter

In den Kirchenbüchern finden wir viele Hinweise zur Geschichte unseres Ortes und deren Familien, die dieses kleine Stück Erde zu dem gemacht haben, was wir heute kennen und lieben. Doch dies sind nicht die einzigen historisch relevanten Zeitzeugen, die uns wie durch ein Fenster bis zurück ins Mittelalter blicken lassen. An dieser Stelle möchte ich auf eine Quelle für den Familien- und Heimatforscher hinweisen, die meist noch weiter zurück reicht, als die Kirchenmatrikel – nämlich die Gerichtsbücher. Unter diesem Oberbegriff versteht man die Gerichts- und Handelsbücher, Schöppenbücher, Kaufprotokolle, Verzichtsbücher und ähnliche Niederschriften. In allen werden Handlungen der Bevölkerung dokumentiert, die mit einem Gericht oder Notar unserer heutigen Zeit vergleichbar sind. Es wurden Immobilien ge- und verkauft, ge- und vererbt, Recht gesprochen, Streitigkeiten geschlichtet und vieles mehr. So geben Gerichtsbücher einen guten Überblick über "Amtshandlungen" unserer Vorfahren und damit auch einen guten und wichtigen Einblick in deren Leben.

  • „Kund und zu wißen sey hiermit männiglich, daß heute zu Ende getragenen dato …“ - mit diesen Worten beginnen die meisten Verträge und Verkäufe, die sich in diesen Büchern, deren Papierseiten so dick sind, wie drei zusammengelegte von uns heute bekannten Buchseiten. In diesen einzigartigen Raritäten schlummern geschichtliche Schätze von denen ich einige als Regest, d.h. als Kurzfassung des gesamten mehrseitigen Eintrages, zitieren möchte.
  • Der erste Eintrag im ältesten mir bekannten Gerichtsbuch des Amtes Hartenstein Nr.114 vom Tag nach Martini (11.11.) 1517 lautet: „Die gesamte Gemeinde von Wildbach erscheint vor Gericht, zusammen mit Peter MEHLHORN. Sie überlässt Mehlhorn „dy wisse undern poppenholtz gelegen“ für 30 ßo Zins pro Jahr. Sollte er die Wiese micht mehr verzinsen wollen, „sollt er dy macht haben dy wiisse der gemeind auf zu sagen und sich des zinses zu entledigen“.
  • Auch über die Mühle in Stein ist auf der Seite 29 aus dem Jahre 1529 am Mittwoch, Tag Schmerzen Marie (15.09.) zu lesen: „Wolf REUTHER aus Hartenstein hat vor etwa 4 Jahren die Mühle zum Stein, „die yme vonnwegen seynes Weybes zugefallen“, an Caspar BRETSCHNEIDER für 12 gßo 11 gr verkauft und leistet Verzicht.“
  • Ein Verkauf eines alten Bauerngutes welches hier im Jahre des Herrn 1556 vom Vater Asmus MEHLHORN, der nicht mehr selbst für sich sorgen konnte, an seinen Sohn Matthes weitergegeben wurde, kann ich so wiedergeben: „Asmus MEHLHORN verkauft sein Gut, zwischen Johannes `Keyser Frank` SCHUBERT und Paul VOGEL, mit Pferd, Wagen, Pflug und Eide an seinen Sohn Matthäus MEHLHORN für 38 gßo (15 gßo Angeld). Vom Angeld werden der Erbherr, das Gotteshaus, Fabian MEHLHORN, Fabian SCHEFFEL und Michael RÖHNER bezahlt. 9 halbe Sch. Zinshafer bekommt noch der Erbherr. Asmus MEHLHORN „ nunmehr ein alter Gesell, der sein Brodt mitt arbeitt nicht erwerben kann, so hat sein sohn auß kindlicher Treu gewilliget, den Alten sein leben lang bey sich im guth zu behalten“. Er ist „mit vielen Schulden beladen, daß auch die selbigen uff einen Haufen oder uff einmal zubezahlen unmüglich, obgleich das Guth in frembde Hände verkauft worden wero“. Die Tagzeiten gehen an Paul WAGNER, die HEGESETZERin uffn Schneeberg und Valentin SCHMIDT in Lauter.“
  • Die vom Eisen in der alten Tinte zerfressenen Seiten im zweiten Folgeband Nr. 115, welches im Jahre 1582 angelegt wurde, findet sich ein wirklich interessanter Text über den Unmut unseres damaligen Lehnsherren Hildebrand Eichelberg von TRÜTZSCHLER über die gesamte Bewohnerschaft von Wildbach, welche sich ihm wohl nicht ganz so unterordnen wollte wie dieser es gerne gehabt hätte. Zur Folge wären fast alle Güter neu besetzt worden. Aber man hat sich dann wohl doch noch gefügt. Ab Seite 168 mit dem Datum vom 29. April 1599 steht geschrieben: „Handlung zwischen Hildebrand Eichelberg von TRÜTZSCHLER uffn Stein und Leimnitz und allen Underthanen oder Handfrohnern zu Wilbach und Langenbach - Wegen der Fronen sind „Irrungen und Zwiespalt“ entstanden, weil z. B. „Maurern keine Steine zu langen, Reisig zu harken, Wiesen und Garten auszuräumen und abzurechnen, alte Stock auszurotten, Hopfen stengen im Garten mit Scheidtgraben im Sommer um 6 Uhr und im Winter um 8 Uhr nicht zu Wille finden wollen“. Vor der schönburgischen Regierung in Glauchau konnte man sich nicht vergleichen. Hildebrand Eichelberg von TRÜTZSCHLER hat von solchen „Widerspenstigkeit und Ungehorsam erfahren“ und will die Handfrohner „auskauffen und mit anderen gehorsamen Leuthen die Frongüter besetzen“. In einem Abschied vom 14.04.1599 wurden die Frongüter getaxt und gegen „gebürliche Quittung an guter Müntz ausgezehlet und ihnen die eidliche Reumung der gütter den 30. Appill bemeltes Jahres aufferleget worden“. Vor Ablauf des Termins haben Matthäus EBISCH, Michael EBISCH, Wolfgang EBISCH, Paul MEHLHORN, Johannes MEHLHORN, Andreas EBISCH, alle zu Wildbach und Thomas MEHLHORN zu Langenbach mit Hilfe von Pfarrer Johannes VIEHWEGER und Georg Ernst von der OELSNITZ bei von TRÜTZSCHLER „bittlich fürbringen lassen“, dass der Auszug aus ihren Gütern ihrer häuslichen Nahrung nachteilig wäre. Sie bitten ihn, in ihren Gütern zu bleiben und wieder als Untertanen aufgenommen zu werden. Sie wollen das empfangene Angeld wieder zurückzahlen und auch „etzliche streittige Handfronen auff sich nehmen“. Über alle unstreitigen Handfrohnen hinaus wollen sie graben und „uff zwantzigk Rutten Stein, den Lein zu hacken“. Daraufhin zahlt man von TRÜTZSCHLER das Angeld zurück und er lässt sie in ihren Gütern sitzen.“
  • Anno 1590 hatte Andreas MEHLHORN das Amt des Richters in Wildbach inne und schrieb am 5. Februar 1597 eine Notiz hinter eine Erbteilung des damaligen Gutsbesitzers Jacob SCHUBERT, genannt `Frank`, welcher wohl wegen dem ständigen Streit mit seiner Ehefrau seines Lebens müde geworden war: „Zu wißen Als und Nach deme Kurtz vorschinner Zeit, ohne gerher umb faßnacht Ao. 1597 Jacob `Frank` SCHUBERT zu Wilbach, Aus verhangnus Gottes des Allmachtigen, Auch durch Eingebung des Leidigen Teuffels, sich aus lauter Mutwillen eine Handbüchse An sein Herz gesezet loß gedrückt und selbsten Erschoßen und getödet und erstlichen sein frohn Guth zu Wilbach zum Eigen und seine hintterlaßene Wittbe benebenst dreyer unerzogenen kleinen Kindern zum Andern hinteren Ime verlaßen.“ Es sind viele Schulden vorhanden. Die Witwe `Frank` SCHUBERTs bietet dem Erbherrn das Gut zum Kauf an. Die Kinder sollen bis zum 12. Jahr erzogen werden. Am 05.02.1598 werden die Vormünder für die Kinder Georg, Johannes und Michael bestellt und sie verkaufen das Gut an die Witwe für 300 fl, denn Johannes WENDLER hat die Witwe geheiratet und er tritt nun in den Kauf ein und bezahlt die Schulden.“
  • Dazu suchte ich nach dem Eintrag im Wildbacher Kirchenbuch und fand auf Seite 27 diesen Satz den der Pfarrer nieder schrieb: „Jacob Franck hatt aus Verzweiffelung und das er sich mit seinem Weibe ubel gerinigen, selbst mit seinem Handrohr erschossen, Sonnabend vor Esto Mihi."
  • Eine Geschichte von Raufbolden, die wohl etwas zu tief in Glas geschaut hatten, und deren Ausgang ein sehr unschönes Ende nahm, fand ich auf Seite 174 aus dem Jahr 1587: „Johannes `Frank` SCHUBERT und Melchior BAUMANN waren mit anderen auf dem Schloß und hatten sich „etwas bezechett“. Abend auf dem Heimweg „seindt sie untereinander uneinig worden“ und Johannes `Frank` SCHUBERT hat Melchior BAUMANN in die Mulde gestoßen. „Und weil sie etwas groß gewesen, ist er ersoffen und davon geschwommen“. Johannes `Frank` SCHUBERT soll nun der Witwe und deren Kinder, über alle anderen Anforderungen, 16 fl zahlen. Da er aber kein Geld hatte, wurde es von Johannes HEYDEL, der das Gut von Johannes `Frank` SCHUBERT abgekauft hatte, bezahlt. Auf dem Gut wohnt jetzt Merten HEYDEL.“
  • Ein Brandfall vom 9. November 1627 führte für die Brandstifterin sogar zum Ausschluss vom gesamten Erbe. Auf der Seite 342 steht dieser Text: „Johannes BACHMANN und sein Weib sind verstorben. Die eheliche Tochter Barbara hat noch eine Zeit „Hausgehalten“ aber „durch Brandschaden das Heußlein in die Asche geleget“. Die Erben Maria, Paul WOLF, Georg, Johannes, Barbara (oo Martin NEUBERT) und Anna verkaufen die „Baustatt“ an Michael EBISCH für 130 fl, davon 40 fl zum Angeld. Die Schwester Barbara haben die anderen Geschwister wegen des Brandes ausgeschlossen und enterbt. Die Brüder Paul und Johannes BACHMANN verkaufen am 09.10.1635 7 fl Tagzeiten dem Schwager Simon MEYER in Silberstraße.“

Diese und noch mehr Akteneinträge der früheren Einwohner, Bauern und Hausbesitzer aus Wildbach kann man auch selbst nachlesen. Die Regesten zu sämtlichen Amtshandlungen wurden von 1514-1847 aus der deutschen Frakturschrift transkribiert und werden bald als separates Werk erhältlich sein.

Schließen möchte ich diese Zeitreise mit denselben Worten des Gerichtsschreibers von damals: In Nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti, Amen.


Stefan S. Espig, Wildbach

("Die Historische Seite" - erschienen im Gemeindeanzeiger Bad Schlema 05/13 am 01.05.2013 Seite 11)

"Wo ich ein guter Mensch sein kann, da ist mein Vaterland, bin ich gern zuhause."