Um einen Krimi aufzusetzen, soll man zunächst seine Vorgeschichte entwickeln. Ohne diese gäb es schließlich nichts zu entdecken.
Die Vorgeschichte findet ohne den eigentlich Krimi-Helden, den Schnüffler, statt –– ihre Hauptfigur ist der Täter. Wie jede Geschichte handelt sie vom Schicksal eines Wunsches oder Begehrens, hier des Täters, das erfüllt wird oder nicht und dessen Befriedigung etwas oder jemand im Weg steht, der beseitigt werden muss infolgedessen.
Vor allem das Begehren der Vorgeschichte wird in der Haupthandlung dann von dem „Spürhund“ als Beweggrund oder Motiv der Tat ermittelt. Zusammen mit der Feststellung von Ort und Zeitpunkt sowie der verwendeten Waffe bildet der Nachvollzug des Beweggrundes für die Tat das Hauptbegehren des Ermittlers.
Die Hauptfigur der Haupthandlung eines Krimis ist vor allem darauf aus, hinter das Verlangen der Hauptfigur der Vorgeschichte zu kommen: das Motiv für die Tat aufzudecken. Denn vor allem sein Beweggrund ermöglicht, wie wir sehen werden, einen Täter zu überführen.
Wer einen Krimi schreiben möchte und noch nach Ideen dafür sucht, entdeckt am besten zunächst eine Umgebung für seine Vorgeschichte, die es noch nicht oder nicht so oft gegeben hat.
Wo soll sich die Tat zusammenbrauen? Bei einer Moschee? In einem Windkraftwerk? Unter den Studenten einer Hochschule? In einer bestimmten Gegend?
Jede Umgebung stellt eine Welt zur Verfügung, deren Entdeckung dem Publikum Vergnügen bereitet. Ihre Erforschung aber, bevor man sich ans Schreiben macht, kann auch ein organisches Motiv abwerfen für ein Verbrechen, das sich eben dieser Umgebung vedankt.
Dafür soll man die Antworten auf folgende Fragen auf jeweils bis zu einer Seite zusammenfassen:
• Wie lange gibt es die Welt meiner Geschichte schon und wie sieht ihr Alltag aus –– privat, beruflich, in der Freizeit?
• Was sind die offiziellen Regeln? Und was sind die heimlichen Regeln?
• Wer gehört dazu?
• Was für Aktivitäten werden deutlich sichtbar ausgeübt? Was für Aktivitäten werden verhohlen ausgeübt?
• Welche Rollen werden gespielt? Was lassen die Menschen sich gerne anmerken? Welchen Eindruck versuchen sie heimlich zu erwecken?
• Welche Rang– oder Hackordnung herrscht?
• Was für Einweihungsriten gibt es?
• Welche Vorteile bietet die Mitgliedschaft?
• Welcher Zwischenfall könnte für ein Mitglied zur Katastrophe ausarten?
In der Antwort auf die letzte Frage liegt der Beweggrund für ein Verbrechen, das in diese Umgebung passt.
Ein Verbrechen wird in der Regel von Gier oder jenen Beweggründen verursacht, die das Sinnbild BLUT zusammenfasst: Sex, Familienbande, Wut, Rache usf. Ein mächtiges Motiv kann auch die Freiheit sein, die man nicht verlieren möchte.
Das Opfer steht dem Täter mit anderen Worten im Weg bei seinem Verlangen nach Geld, Sex, Rache oder Freiheit. Auch umgekehrt aber kann die Tatperson ihrem Opfer bei solchem Verlangen im Weg gestanden haben, gegen das sie sich verteidigte, indem sie jemand tötete, der ihr etwas Entsprechendes anhaben (sie etwa vergewaltigen oder ihrer Freiheit berauben) wollte.
Hat man den Täter oder die Täterin aus einer hoffentlich originellen Umgebung entwickelt, in welcher die Geschichte spielen soll, empfiehlt es sich als nächstes, das Verbrechen genauer auszuarbeiten. In der Regel handelt es sich dabei um einen Mord. Von anderen Verbrechen verursacht höchstens noch die Entführung den Grad an Erregung, welchen das Publikum mindestens von einem Krimi erwartet.
Damit ein Mord später maximal in die Haupthandlung spielt, entwickelt man ihn am besten in folgenden Schritten:
Zunächst –– organisch aus der Umgebung –– das MOTIV, “Blut oder Geld”, für das spätere Verbrechen. Der Noch-nicht-Mörder bekommt so einen Grund für die Tat; noch aber stellt er sie sich nicht vor.
Anzudenken beginnt er sie erst in einem zweiten Schritt, der VERSUCHUNG. Die Verhältnisse haben sich so weit entwickelt oder verschärft, dass –– vorläufig noch in der Fantasie –– ein Mord als Lösung aller Probleme aufzutauchen beginnt.
Die unheimliche Vorstellung wird immer wirklicher in der nächsten Phase: der PLANUNG, die nicht mehr nur den Mord, sondern auch dessen Durchführung zu überlegen –– und vorzubereiten –– beginnt.
Jetzt ergibt sich auch die GELEGENHEIT, kommt dem Täter entgegen.
Dieser tut nun einen UNUMKEHRBAREN SCHRITT – kann mit anderen Worten nicht mehr zurück, sondern muss seinen Plan durchführen, andernfalls ist er selber dran.
Dem Täter begegnet ein MISSGESCHICK. Dies ist das entscheidende Moment auf der Leiter des Mörders; denn der Täter ist nun gezwungen, aus dem Stegreif zu handeln. Er erzeugt dadurch ein im Nachhinein schwer zu deutendes Bild der Tat, das die Neugier des Publikums erregt und auf die Spitze treibt.
BEGEHUNG DER TAT – nicht so, wie sie ursprünglich geplant war . . .
HERSTELLUNG DAS ALIBIS. Der Täter versucht, den Eindruck zu erwecken und zu untermauern, während der Tatzeit an einem anderen Ort gewesen zu sein.
FALSCHER VERDÄCHTIGER. Der Täter versucht, den Eindruck zu erzeugen, dass eine andere Person den Mord begangen hat, indem er etwa einen Beweggrund, der dem seinen ähnelt beim anderen entdeckt(e) und bekannt macht, ihn zur Tatzeit an den Tatort lockt usf.
NACHBESSERUNG. Der Täter bearbeitet Spuren, die auf ihn zeigen könnten, begeht dabei womöglich einen Deckungsmord.
Mit zur Vorgeschichte gehört das Ausdenken von Manövern, die der Täter verwandt haben kann, um von sich abzulenken und die Ermittlung auf falsche Fährten zu schicken.
Dazu gehört (ein bisschen zu oft) die Vortäuschung des Opfer-Selbstmords. Schon raffinierter ist das Vortäuschen des eigenen Todes, um sich aus der Affäre zu ziehen. Ein weiterer Trick besteht darin, die Identität des Opfers anzunehmen oder zu vertuschen. Auch die sofortige Rückkehr an den Tatort kann den Mörder entlasten, da sein Auftauchen dort nicht vermutet wird. Deswegen mag er sich auch gleich am Tatort verstecken. Das Berufsalibi verleiht ihm Tarnung, indem er irgendeinen professionellen Vorwand schauspielert. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Uhren zu bearbeiten oder zu verstellen, um sich solcherart ein Alibi zu verschaffen. Ein radikaler Schritt besteht in der Motivübertönung, (die genauer in der Online-Vorlesung Erfolgreich Fernsehkrimis schreiben erläutert wird –– dort auch weitere Erklärungen und Veranschaulichungen zu den Manövern des Täters).
Was kann kurz vor, während oder unmittelbar nach dem Verbrechen den Täter überraschen und zwingen, unvorbereitet zu handeln, um sein Ziel noch zu erreichen oder seine Spuren zu verwischen?
Er könnte beispielsweise Zeuge eines Unfalls oder von sonst etwas werden, das ihn nötigt, seine Adresse dazulassen. Ein Kind bittet ihn um Hilfe. Er verunglückt oder kommt anderswie zu Schaden – wird verwundet. Eine Katze kommt herein oder entwischt (verrät damit die heimliche Öffnung eines Durchlasses, zu dem nur der Täter Zugang hatte). Etwas Verräterisches wurde am Tatort vergessen. Ähnliches mehr.
Die Antworten des Täters auf die Herausforderung der Panne erzeugen fast immer ein außerordentlich verblüffendes, rätselhaftes und Neugier erregendes Bild des Verbrechens, wenn es entdeckt wird, und leiten die Nachforschungen in die Irre. Weitere Manöver des Täters im Hintergrund – aufgrund der Panne – können den Ermittlungen einen heftigen Stoß versetzen und sie unheimlich spannend machen.