In frühen Gesellschaften waren Dichter keine unabhängigen Künstler, sondern Teil der herrschenden Ordnung. Ihre Aufgabe war es, durch Lieder und Geschichten die Taten von Königen, Kriegern und Göttern zu feiern. Damit festigten sie die Macht der Eliten und trugen dazu bei, den sozialen Zusammenhalt in einer von Hierarchien geprägten Gesellschaft zu erhalten. Dichtung war also ein Instrument der Macht, das die bestehende Ordnung legitimierte und die Elite als überlegen und von göttlicher Gunst begleitet darstellte.
Mit Homer und seinen Werken, der Ilias und der Odyssee, ändert sich diese Tradition grundlegend. Zwar handeln auch seine Epen von Königen und Kriegen, doch Homer rückt erstmals den Menschen mit all seinen Schwächen, Gefühlen und Widersprüchen in den Mittelpunkt. Er zeigt Figuren wie Achilleus oder Odysseus nicht nur als Helden, sondern als Individuen mit eigenen Gedanken, Zweifeln und Leiden. Damit wird Dichtung zu mehr als nur Herrscherlob – sie wird zum Spiegel des Menschseins.
Zur Zeit Homers, um 800 v. Chr., gab es keine Bücher. Geschichten wurden mündlich vorgetragen – auf Märkten, Festen oder in den Hallen der Mächtigen. Das Publikum war bunt gemischt: Bauern, Krieger, Händler, Adlige, Sklaven. Die Erzählungen mussten unterhalten und Bedeutung stiften, damit sie über Generationen weitergegeben wurden. Homers Werke verbinden beides: Abenteuer und tiefe Fragen nach Sinn, Schicksal und Menschlichkeit.
Der Trojanische Krieg beginnt mit einem goldenen Apfel, den die Göttin Nemesis als Auslöser für Streit unter den Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite platziert. Paris, ein Mensch, soll entscheiden, wer die Schönste ist, und wird von den Göttinnen bestochen. Er wählt Aphrodite, die ihm die schönste Frau der Welt verspricht – Helena, die jedoch bereits verheiratet ist. Paris entführt Helena nach Troja, die Griechen ziehen in den Krieg gegen Troja. Nach zehn Jahren gelingt es ihnen durch die List des Trojanischen Pferdes, die Stadt zu erobern.
Perspektivwechsel und Empathie:
Homer erzählt die Geschichte nicht nur aus Sicht der Griechen, sondern auch der Trojaner. Dadurch entsteht Empathie – die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen.
Menschliche Psychologie:
Die Ilias beleuchtet die inneren Konflikte und Motive der Figuren. Besonders das Verhältnis zwischen Achilleus und Priamos zeigt komplexe Gefühle wie Wut, Schuld, Trauer und Vergebung.
Metaphern und neue Denkweisen:
Homer nutzt Metaphern, um neue Verbindungen zwischen scheinbar Unzusammenhängendem zu schaffen. Dies fördert das abstrakte Denken und eröffnet neue Sichtweisen auf die Welt.
Diese drei Elemente machen die Ilias einzigartig: Sie lehrt Empathie, Vorstellungskraft und die Fähigkeit, über die Welt nachzudenken. Damit schafft Homer eine neue Theorie des Menschen – nicht als bloßer Teil einer Hierarchie, sondern als fühlendes und denkendes Individuum.
Die Ilias wurde in der griechischen Kultur auswendig gelernt und rezitiert. Sie prägte das Menschenbild und wurde zur Grundlage der griechischen – und später der westlichen – Zivilisation. Für die Griechen war nicht ein General oder König der Begründer ihrer Kultur, sondern ein Dichter: Homer.
Die ganze Nacht über, ihre Herzen voll der Zuversicht
Saßen sie an der Kette der Wachfeuer rund ums Schiffslager –
Wie die Sterne am Himmel um die Mondsichel hervorstechen
In ihrem ganzen Glanz, in einer wind- und wolkenlosen Nacht
Wo sich jede Landzunge hell vom Dunkel abhebt, ihre Grate
Schrofen und die tiefen Rinnen im klaren, endlos von oben
Herabsackenden Äther, der keinen einzigen Stern versteckt,
Die schönste Nacht für einen Schäfer – so zahlreich waren
Die troianischen Wachfeuer zwischen dem Xánthos, Ilios
Und dem Lager der Griechen, tausend Feuer auf der Ebene
Und vor jedem fünfzig Mann im flackernden Feuerschein –
Die Pferde neben den Wagen, die Spelz und Gerste fraßen;
Und sie warteten auf Eos, auf daß sie ihren Thron bestiege.
Hektors Abschied am Skäischen Tor
Während der hin- und herwogenden Schlacht, als die Troer tödlich bedrängt werden, kehrt Hektor, der trojanische Königssohn und erste Antiheld der Weltliteratur, zurück in die Stadt, um etwas zu erledigen. Bevor er in die Schlacht zurückkehrt, die sein Leben bedroht, eilt er, um von Andromáche, seiner Gattin, und ihrem kleinen Sohn Abschied zu nehmen, trifft sie aber nicht zu Hause an. Noch einmal läuft er suchend durch die ganze Stadt. Beim Turm des Skäischen Tors entdeckt er Andromáche, die rasend vor Angst nach ihm ausschaut.
. . . Andromáche also rannte ihm entgegen,
hinter ihr her die Dienerin, die sie zum Turm geleitet hatte
und ihren herzigen Kleinen fest an die Brust presste – Hektors
Liebling, einen munteren Jungen, der übers ganze Gesicht strahlte
wie ein Stern: Hektor hatte ihn Skamándrios getauft – alle jedoch
nannten ihn Astyánax – kleiner Stadtherr – zu Ehren seines Vaters,
auf dem Trojas Rettung lastete. Hektor sah ihn und lächelte sofort,
sprachlos geworden; Andromáche jedoch stellte sich neben ihn,
griff nach seiner Hand und flüsterte schluchzend seinen Namen:
“Was treibt dich? Du Draufgänger – wo hetzt du hin? Deinem
Untergang in die Arme und ohne an deinen Sohn zu denken
oder an mich arme Witwe: die ich sein werde, wenn du stirbst.
Die Griechen sammeln sich, sie werden sich auf dich stürzen
und dich töten. Verschlucken soll die Erde mich; was tu ich
ohne dich? Wer wärmt mich? Was bleibt mir noch als Trost,
wenn dich dein Schicksal ereilt hat? Nur Leid erwartet mich –
Leid um Leid: ich hab’ ja weder Mutter noch Vater: Achilles
tötete ihn als er Thebe, unsere kilikische Hauptstadt, mit ihren
stets für alle offenen Toren stürmte und ausplünderte: er ließ
meinem Vater Eétion wenigstens seine Rüstung aus Respekt
und verbrannte den Leichnam mit dem Prunk seiner Waffen;
er errichtete den Grabhügel über ihm, und all die Nymphen,
die Töchter von Zeus’ Sturmwolken, kamen von den Bergen
und setzten Ulmen darum. Sieben Brüder hatte ich zuhaus’.
Alle gingen sie am selben Tag zu Hades in sein Haus der Toten –
mit seinen schnellen Beinen stellte Achilles jeden einzelnen
mitten unter ihren schlurfenden Ochsen und weißen Schafen.
Meine Mutter, die über Thebe regiert hatte, verschleppte er
samt allem anderen hierher – auch sie war bloß noch Beute;
für ein riesiges Lösegeld kam sie frei – nur damit Artemis sie
daheim bei ihrem Vater mit einem ihrer Pfeile niederstreckte.
Ich habe Vater, Mutter und Brüder verloren – du aber, Hektor,
hast ihre Stelle eingenommen, bist der einzige Mann, den ich
je hatte – zeig doch Mitleid mit mir und bleib in der Festung!
Mach nicht deinen Sohn zum Waisenkind und mich zur Witwe!
Befiehl die Truppen dort zum Feigenbaum hin – da ist die Stadt
am gefährdetsten für einen Angriff und die Mauer am ehesten
zu erklettern: dreimal versuchten’s die besten von ihnen schon,
vom großen Aías, dem kleinen Aías und Idomeneús angeführt –
und auch die zwei Söhne des Atreús, zusammen mit Diomédes –
entweder brachte sie einer drauf, der sich mit Orakeln auskennt,
oder aber sie wissen es von allein, dass sie da anrennen müssen!”
Der große Hektor nickte, und sein spiegelnder Helm blendete sie dabei:
“Auch mir gehen diese Dinge durch den Kopf, Andromáche; aber –
ich würd mich in Grund und Boden schämen vor den Trojanern
und unseren reichgekleideten Frauen, tät ich mich jetzt drücken.
Dagegen wehrt sich in mir alles; ich hab gelernt, tapfer zu sein
und immer in vorderster Reihe zu stehen – um Ruhm und Ehre
für mich und meinen Vater zu erringen; ich kann einfach nicht
anders – so ist das nun mal – obwohl ich tief im innersten weiß,
dass der Tag kommt, wo das heilige Ilios vernichtet werden wird
samt Priamos mit seinem Eschenspeer und unserem ganzen Volk.
Mehr noch als die Tragödie, die auf die Trojaner zukommt,
der Gedanke an meinen Vater Priamos, an meine Mutter Hekábe
oder an meine vielen Brüder – die trotz ihrem heldenhaften Mut
durch den Feind früher oder später in den Staub beißen werden –
bedrückt mich aber die Vorstellung, dass irgendein Grieche dich
dann schreiend mit sich zerrt und dich zu seiner Sklavin macht.
Ich seh dich in Argos für eine fremde Herrin am Webstuhl knien
oder Wasser von irgendeiner weit entfernten Quelle anschleppen,
und du kannst nichts dagegen tun, sosehr du dich auch wehrst.
‘Das ist Hektors Frau’, wird’s heißen, wenn sie dich weinen sehen –
‘Damals im Kampf um Ilios – da war er der tapferste Trojaner!’;
zeigen werden sie auf dich – und es wird dich hart ankommen
ohne einen Mann wie mich, der dir deine Freiheit sichern kann.
Lass sie die Erde hoch über meiner Leiche aufschütten, damit ich
deine Hilfeschreie nicht hören muss, wenn sie dich fortzerren!”
Und damit streckte Hektor nur die Hand nach seinem Jungen aus –
doch der drückte sich an den breiten Busen seiner Amme und hob
laut zu greinen an, vom Anblick seines Vaters vollkommen verstört;
der Bronzehelm hatte ihn erschreckt, der Busch aus Roßhaar oben
am Bügel, der vor seinem Gesicht fürchterlich hin- und herwippte.
Da brach der Vater in Lachen aus, seine Mutter stimmte schließlich
auch mit ein, und der große Hektor nahm schnell den Helm vom Kopf
und setzte ihn in allem seinen Funkeln auf dem Boden ab, er nahm
seinen Liebling in die Arme, warf ihn hoch und küsste seine Backen;
dann sprach er ein Gebet an Zeus und die anderen Unsterblichen:
“Zeus! Ihr Götter alle! Macht, dass dieser Junge, mein Sohn hier,
einmal wie ich zu den angesehensten Trojanern zählt, dass er
gleich stark und tapfer wird; ein wahrer Herrscher über Ilios!
Sollen die Leute sagen, dass er mehr Manns ist als sein Vater,
wenn er vom Schlachtfeld kommt, mit der blutigen Rüstung,
die er einem Feind abnahm, zur hellen Freude seiner Mutter!”
Und mit diesen Worten übergab er den Buben den Armen seiner Frau,
die ihn an ihren warmen Busen drückte und die Tränen kaum noch
zurückhalten konnte. Hektor merkte es, und er teilte ihren Schmerz;
liebevoll sagte er ihren Namen, streichelte über ihr Haar und meinte:
“Meine Arme, ich bitte dich, mach dir das Herz nicht so schwer.
Keiner schickt mich zu Hades, bevor meine Zeit abgelaufen ist;
keiner kommt aber auch – gleich ob ein Feigling oder ein Held –
jenem Schicksal aus, das ihm von Geburt an bestimmt wurde.
Geh jetzt nach Hause – kümmere dich lieber um deine Arbeit,
um Webstuhl und Spindel, und schau, dass auch die Mädchen
ihre Pflicht erfüllen – das Geschäft der Männer ist der Krieg,
und dieser hier geht alle an, die in Troja leben – mich zuerst.”
Mit diesen Worten setzte der große Hektor jetzt seinen Bronzehelm
mit dem Busch aus Roßhaar auf; seine geliebte Frau aber ging heim,
sich alle paar Schritte wieder umdrehend, ganz in Tränen aufgelöst.
Einmal jedoch zurück im einladenden Palastflügel Hektors,
hielt sie die Frauen drinnen an, die Arbeit zu lassen und Wehklagen
für einen anzustimmen, der zwar noch am Leben war, aber nur noch
das Töten im Kopf hatte; sein eigenes Haus hallte nun davon wider –
so überzeugt waren sie, dass er den blutigen Händen der Griechen
und ihrem Furor nicht entkommen und nie mehr heimkehren würde.
Passage aus der Odyssee (übersetzung von Chr. Martin)
So schlief Odysseus, der Held, der so vieles hatte durchmachen müssen, überwältigt von Müdigkeit. Athene aber stattete indessen dem Volk und der Stadt der Phaiaken einen Besuch ab. Die phaiakischen Männer waren früher im großen Land Hypereia heimisch gewesen, in der Nachbarschaft der aufdringlichen, frechen Kyklopen, die stärker waren und sie immer wieder überfielen. Der Phaiakenfürst Nausithoos befahl daher eines Tages allen die Auswanderung nach Scheria, hieß sie dort siedeln, weitab vom geschäftigen Treiben der Menschen. Er ließ eine Festung, Stadtmauern und Häuser errichten; zuletzt baute er den Göttern einen Tempel und verteilte das Land unter die Leute. Nausithoos aber war gestorben, er wohnte schon längst im Haides. Jetzt regierte Alkinoos mit der ihm von den Göttern verliehenen Weisheit.
Seinem Haus nun näherte sich Athene, die Göttin mit den strahlenden Augen. Sie hatte auch schon einen Plan, wie sie des mutigen Odysseus' Heimkehr einfädeln könnte. Sie betrat ein prachtvolles Gemach, in dem eine junge Frau schlief, schön wie eine der Göttinnen und mit einer himmlischen Figur gesegnet. Das war Nausikaa, die Tochter des mutigen Alkinoos. Neben den zwei Türpfosten schlief jeweils eine Sklavin, die ebenfalls der Liebreiz der Jugend auszeichnete. Die Tür war verschlossen, doch wie ein Windhauch war die Göttin drinnen, beugte sich über den Kopf des Mädchens und sprach sie an. Sie hatte sich natürlich wieder verwandelt, diesmal in Nausikaas beste Freundin, die gleichaltrige Tochter des Dymas, der ein nautisches Genie war. Die Göttin sagte also in dieser Gestalt:
"Aber, aber, Nausikaa, hat dich denn deine Mutter zur Schlampe erzogen? Ungepflegt liegen deine teuren Kleider herum, dabei kann es jeden Moment soweit sein, daß du heiratest. Dann wirst du doch schön gekleidet gehen wollen mitsamt deinen Brautjünglingen, die dich führen werden. Die Menschen achten sehr auf gutes Aussehen, davon hängt dein Ansehen ab; und auch Vater und Mutter sollen sich freuen können, wenn sie dich anschauen. Laß uns gleich morgen früh, wenn es hell wird, zum Waschen gehen. Ich komme mit und helfe dir, dann ist alles im Nu erledigt. Und ich prophezeie dir, du bleibst nicht mehr lange Jungfrau! Schau, es werben schon reihenweise vornehme Phaiaken- männer um dich, die aus dem gleichen Holz, pardon Volksstamm, sind wie du. Also! Bitte deinen Vater noch vor Tagesanbruch, daß er dir ein Paar Maultiere und einen Wagen bereitstellen läßt, um Schärpen, Gewänder und all die edlen Tuche zu transportieren. Auch für dich selbst wäre es standesgemäßer, nicht zu Fuß zu gehen. Außerdem liegen die Waschplätze ein gutes Stück von der Stadt entfernt."
Nach dieser Rede entschwebte Athene, die Göttin mit den strahlenden Augen, hinauf in den Olympos, den Wohnsitz der Ewigen, wo es keinerlei Gefahren gibt, wo weder die Stürme brausen noch Regen je fällt, auch kalter Schnee niemals liegt: Leuchtend blau und wolkenlos ist es dort oben im Äther, ein Licht von gleißender Klarheit liegt über der Stätte, und in Freuden leben ihre Tage die seligen Götter. Dorthin kehrte Athene, die strahlende Göttin, zurück, nachdem sie die junge Frau genauestens instruiert hatte.
Und wie auf Bestellung erschien Eos auf ihrem schönen Thron und weckte die mit Kleidern gutausgestattete Nausi- kaa. Da fiel ihr, was Wunder, der Traum ein, und sie eilte durch die Flure, um ihn gleich den lieben Eltern zu erzählen. Beim Herd saß die Mutter, zusammen mit den Frauen, und spann Wolle, blau wie das Meer. Den Vater erwischte sie noch an der Tür, als er gerade das Haus verlassen wollte, da ihn die adligen Phaiaken zu einer Ratsversammlung gerufen hatten. Sie trat dicht zu ihm hin und sagte:
"Papa, liebster, willst du mir nicht den Wagen geben, den guten mit den großen Rädern? Ich will meine - wie du weißt, teuren - Kleider am Fluß waschen, sie sind ganz schön schmutzig. Du gehst ja auch lieber in sauberen Sachen zu deinen Sitzungen beim hohen Rat. Hinzu kommt, daß im Haus fünf erwachsene Söhne leben, zwei davon zwar schon verheiratet, drei aber noch auf Freiersfüßen, die auch gern in frischer Wäsche glänzen, wenn sie tanzen gehen. Es ist meine Sache, mich jetzt mal darum zu kümmern." Sie genierte sich, über ihr eigentliches Motiv, ihre anstehende Hochzeit, zu sprechen.
Aber der liebe Vater durchschaute sie und sagte: "Kindchen, natürlich kannst du alles haben, nimm die Tiere; die Knechte werden sie dir anspannen, aber sie sollen den schnellen Wagen mit der überdachten Sitzbank und den breiten Rädern nehmen."
Er befahl es den Sklaven, und die Sklaven befolgten natürlich seine Befehle, sie machten den leichten, schnellen Wagen mit den breiten Rädern startklar und spannten die Maultiere davor. Die junge Frau holte die schönen Kleider aus ihrer Kammer und verstaute sie in dem glänzendpolierten Fahrzeug. Ihre Mutter gab ihr einen Korb mit, der mit wohlschmeckenden, abwechslungsreichen Speisen gefüllt war und als Extra noch Leckereien enthielt. Dazu kam Wein in einem Schlauch aus Ziegenhaut und - die junge Frau saß bereits ungeduldig im Wagen - ein goldenes Krüglein mit feinem Badeöl, damit sie und ihre Mädchen sich nach dem Bad auch schön einsalben konnten. Nausikaa griff zur Peitsche, nahm die Zügel in die Hand und - sie hatte es eilig - peitschte. Und die Bastarde machten ganz schön Lärm; Hufe knallten aufs Pflaster, rasselnd fuhr der Karren an. Die Maultiere legten sich voll ins Zeug und beförderten unermüdlich trabend sowohl die Wäsche als auch die junge Dame zur Stadt hinaus. Und sie war, wie es die Sitte vorschreibt, nicht allein; zu Fuß folgten ihr die Mägde.
Bald kamen sie zum Ufer des schönen Flusses, wo die Waschplätze lagen: Becken, das ganze Jahr voll klarsten Wassers, in denen sich auch die gröbsten Flecken entfernen ließen. Die Mägde schirrten die Maulesel ab und trieben sie auf die Auen am Fluß, die satt von süßem Gras standen. Dann trugen sie die Kleider aus dem Wagen, viele Armvoll, tauchten sie ins dunkel schimmernde Wasser und traten sie energisch mit den Füßen; sie walkten und stampften um die Wette. Als alles gewaschen und wieder schön war, breiteten sie Stück für Stück aus auf dem Meeresstrand, nahe der Flußmündung, wo das Seewasser die Kiesel regelmäßig sauberspült.
Anschließend badeten sie alle, rieben ihre Haut mit Ol ein, setzten sich hoch ans Ufer und stärkten sich am mitgebrachten Essen, während die Strahlen der Sonne in aller Ruhe die Wäsche trocknen konnten. Dann legten sie ihre Kopftücher ab und begannen ein Ballspiel; Nausikaa mit den schönen weißen Armen überragte alle anderen. Wie Artemis, die Bogenschützin, fröhlich durchs Gebirge voranjagt, über die Höhen des Taygetos oder die Gipfel des Erymanthos, Eber und flinke Hirsche vor sich hertreibend, und mit ihr die Nymphen der Flure spielen, diese Kinder des Zeus, des Herrschers der Aigis, und Leto zusieht voller Genugtuung, denn ihre Tochter, die stolze Jungfrau, überstrahlt die anderen Mädchen alle - obwohl auch die sehr schön sind -, so übertraf auch Nausikaa alle in ihrer blühenden Anmut.