Es gibt unzählige Ratgeber zum Drehbuchschreiben, nützliche und weniger nützliche. Dieser hier konzentriert sich auf die unbewussten Erwartungen des Publikums an einen Film.
Während viele Drehbuchlehren das Ziel der „Unterhaltung“ vernachlässigen, sehnen sich die meisten Autor*innen nach Expertise gerade auf diesem Gebiet. Schließlich soll Kunst unterhalten, das gilt für Filme ebenso wie für Romane, Gedichte und Musik.
Dieser Leitfaden richtet sich an alle, die sich fürs Unterhaltungskino interessieren. Anstatt komplizierte Vorschriften zu erlassen, erklärt er die Grundprinzipien jeder fesselnden Geschichte. Wer diese Grundlagen verstanden hat, kann von hier aus zu neuen Ufern aufbrechen.
Ausgehend von der Erfahrung, dass Zuschauer beim Filmerlebnis intensive Emotionen suchen, beschreibt der folgende Text drei dafür zentrale Gefühlspaare, die sich kaum von alltäglichen Gefühlen unterscheiden. Sie spielen aber eine wesentliche Rolle für gelungene Unterhaltung: Spannung|Auflösung, Lust|Unlust und Erregung|Beruhigung. Je mehr es einem Film gelingt, diese Kerngefühle zu wecken und zu einer einheitlichen Stimmung zu verschmelzen, desto befriedigender wirkt er durch Ordnung des emotionalen Chaos, das sonst unseren Alltag verwirrt.
Um unterhaltsam zu sein, müssen Filme eine Entwicklung zeigen. Diese wird durch ein Grundgefühl getrieben, das uns als Zuschauer immer wieder fragen lässt: „Was passiert als nächstes?“ Die darin lebende Spannung richtet sich vor allem auf den Ausgang des Geschehens.
Jede mögliche Entwicklung oder Handlung ist dabei ein Kampf. Um Macht. Um Dasein. Ob wir nun Kindern beim Spielen zuschauen oder bei einem großen Sportereignis mitfiebern, wir empfinden Spannung, Lust und Erregung. Zum Kino- oder TV-Publikum wird der Zuschauende dann durch seinen Wunsch nach einem tieferen Erlebnis als jenem, was bloße Spiele bieten können, indem es uns in Geschichten taucht, die von intellektuellen, moralischen oder emotionalen Konflikten geprägt sind.
Jeder Unterhaltungsfilm thematisiert unweigerlich einen Konflikt, sei es zwischen verschiedenen Figuren oder innerhalb einer Figur. Im Zentrum dieses Konflikts steht die Machtfrage: Wer wird am Ende triumphieren? Diese Machtfrage ist der Kern jeder spannenden Geschichte und sollte im Mittelpunkt jedes Films oder jeder Serie stehen. Sie erzeugt Spannung, die sowohl zwischen den Figuren auf der Leinwand als auch im Zuschauer selbst zunimmt. Das Zuschauererlebnis ist von dieser Spannung durchdrungen. Eine spannende Filmhandlung beginnt, wenn die Machtfrage gestellt wird, und endet, wenn sie beantwortet ist. Alles, was nicht zur Beantwortung dieser Frage beiträgt, ist überflüssig.
Die Prämisse der Macht ist wichtiger als die traditionellen Drehbuchrichtlinien zu Handlung, Charakter und Moral. Ihre Bedeutung und Umsetzung wird in der folgenden Untersuchung zur Spannungswirkung erörtert. Skeptiker dieses Ansatzes sollten zunächst die Machtthese widerlegen.
Wer Drehbücher lesen muss, findet in allzu vielen Fällen die bittere Klage des Theaterdirektors Goethe bestätigt: „Denn seht, auf unsern deutschen Bühnen probiert ein jeder, was er mag“. Vieles ist einfach unverfilmbar. Im Vergleich dazu zeichnet sich ein Drehbuch etwa aus Hollywood, auch wenn es in seinem emotionalen Gehalt oft eintöniger ist, dadurch aus, dass selbst der unbekannteste amerikanische Debütant seine Geschichte mit einer bewusst konstruierten und deshalb sofort spannenden Verwicklung beginnt. Er entwickelt die Konflikte geschickt weiter und schließt die Geschichte ab, sobald der Hauptkonflikt gelöst ist. Fast jedes dieser Drehbücher könnte im Ernstfall verfilmt werden, ohne das Publikum zu verschrecken. Die meisten Drehbücher aus dem deutschsprachigen Raum scheitern jedoch schon im Ansatz, oft an ihren erzähltechnischen Unzulänglichkeiten. Sie scheinen die dramaturgischen Erkenntnisse der letzten Jahrhunderte ignoriert zu haben.
Wird Kreativität demzufolge durch Technik ersetzt? Viele erfolgreiche Autor*innen erzielen hohe Qualität, ohne sich groß Gedanken über ihre Methoden zu machen. Doch je ambitionierter ein Talent wird, desto mehr sucht es nach dem Schlüssel zu seinem Erfolg. Was macht meine Arbeit so effektiv? Selbst in den emotionalsten Momenten sind Profis in der Lage, tiefe Emotionen und Reflexion in Einklang zu bringen. Sie behalten einen klaren Kopf, auch wenn sie von Begeisterung überwältigt werden. Alle großen Dramatiker hatten ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihr Handwerk. Lope de Vega verfasste schon 1610 ein Buch über Die neue Kunst, Komödien zu schreiben. Und die beiden erfolgreichsten deutschen Komödien, die heute noch aufgeführt werden, stammen von den Autoren der Hamburgischen Dramaturgie und der Technik des Dramas.
Demzufolge soll dieser Leitfaden allen talentierten Menschen von Nutzen sein. Die meisten Kreativen, insbesondere Drehbuchautor*innen, beginnen ihre Karriere mit viel Selbstvertrauen und schreiben einfach drauf los. Irgendwann erkennen sie jedoch den Unterschied zwischen bloßem Ausprobieren und echtem Können. An diesem Wendepunkt können sie diesen Ratgeber zur Hand nehmen und das daraus anwenden, was ihnen wirklich hilfreich erscheint. Ihre bestehenden Überzeugungen sollten sich dann mit den auf den folgenden Seiten vorgestellten Theorien zu einem neuen, kohärenten Konzept verbinden. Wenn dabei ein besseres Drehbuch herauskommt, als in diesem Leitfaden vorgesehen, hat der Text seinen Zweck erfüllt.
[Der instruktive Text, der im Menü hier unter dem Punkt 'Meisterklasse' in einer verschachtelten Struktur abgelegt ist, kann für diejenigen, denen diese Leseerfahrung zu mühsam ist, auch als Buch bestellt werden.]