James Joyce war lange Jahre Englisch-Lehrer in Triest. Aus dieser Zeit erzählt sein Biograf Richard Ellmann folgende Anekdoten:
Cuzzis Schwester Emma und zwei Freundinnen wurden ebenfalls Joyces Schülerinnen. Ihre Stunden wurden in Cuzzis Haus abgehalten. Die drei vierzehnjährigen Mädchen schwärmten für ihren Lehrer, der gewöhnlich in seiner Jagdweste erschien, die ihm sein Vater im Jahr 1912 geschenkt hatte. Beinahe alles konnte als Text für diese Mädchenstunden dienen: ein Lied von Shakespeare oder, wie einesschönenTages,ein Schicksalslos, das Joyce einem Bettler abgekauft hatte. Es war für eine Frau bestimmt und sagte voraus, die Empfängerin würde den Verlust eines teuren Gegenstandes zu beklagen haben, ihn aber wieder erhalten. Der Lehrer war gutgläubig, die Schüler skeptisch. Als Emma am Ende der Stunde Joyce zur Türe begleitete, fragte er sie plötzlich, ob sie nicht doch etwas ihr Wertvolles verloren habe. Dann, um die Wahrheit der Voraussage zu beweisen, zog er aus seiner Rocktasche ein gläsernes Buch zum Eintragen von Verabredungen, das er schon oft auf ihrem Pult ironisch angeblickt hatte. “Das wird dich lehren, dich nicht über den Aberglauben lustig zu machen”, sagte er.
Unter den abergläubischen Gegenständen war ihm einer der liebsten ein Ring, der aus verschiedenen Metallen zusammengesetzt war und den er gegen Erblindung am Finger trug. Er glich einem Ehering, obschon Joyce eine Abneigung gegen Eheringe, als Symbole der Sklaverei, hatte, der sich kein freier Mensch unterwirft. “Warum wollen Sie dann diesen Ring tragen?” fragten seine Schüler. “Weil ich bereits der Sklave meines Augenleidens bin”, versetzte Joyce.
Der Eingebung des Augenblick folgend, erfand er Geschichten, um anscheinend einen grammatikalischen Punkt zu erläutern. Eines Tages betonte Emma “generally” auf der falschen Silbe, und Joyce sagte ihr, sie dürfe das Wort nicht wie den Namen des berühmten chinesischen Generals Li aussprechen. Dann umriss er ihr kurz die Laufbahn dieses Generals, die damit endete, dass er an einem Baum aufgeknüpft wurde, eine Szene, die Joyce mit einer Zeichnung in Emmas Notizbuch illustrierte. Während einer anderen Stunde anerbot sich, von jeder Schülerin ein Wortbild zu zeichnen. Die eine beschrieb er blumenreich als einen verzauberten Garten voller Blumen und seltener bunter Vögel, wenn man sich aber seiner Schönheit nähere, um sie besser bewundern zu können, sehe man plötzlich, dass es nur ein Kohlenhaufe sei! Die zweite, sagte er, gleiche einer großen breiten Straße, doch Vorsicht! Es liege etwas darauf, das einen leicht ausgleiten lasse! Was Emma betraf, so war sie ein sauberes, schön geordnetes Bild, auf dem alle Gegenstände gefügig an ihrem Platz standen und ein jeder ein langweiliges Etikett trug. Diese spitze Neckerei endete oft damit, dass er sich ans Klavier setzte und “Mr. Dooley” sang, während sie den Refrain mitsangen. Oder sie machten einen Wettkampf, wer am besten den Schwung der Primaballerina in Covent Garden nachmachen konnte, und Joyce mit seinem dünnen, lockeren Gliederbau gewann dabei immer.
Joyce Geringschätzung der Disziplin trug ihm die Zuneigung der Mädchen ein, und sie erzählten ihm oft Geheimnisse, die sie vor ihren Eltern verschwiegen. Emma vertraute ihm eines Tages an, da es ihr verboten sei, Zigaretten zu kaufen, habe sie Rosenblätter aus dem Garten zu trocknen versucht und sie zu Zigaretten gerollt, die sie im Geheimen rauche. Joyce, der befürchtete, der Tabak könnte auch eine Ursache seines Augenleidens sein, bat sie, eine Zigarette versuchen zu dürfen. Nach ein paar Zügen begann er als Kompliment zu bemerken, die Zigarette dufte stark nach einem Bauerngut, denn er könne in ihr das Aroma von Heu, Tieren des Hofes, von Blumen und – Mist unterscheiden.
Die Stunden endeten auf damit, dass Joyce auf dem Geländer hinunterrutschte, seine Schülerinnen hinter ihm drein. Doch eines Tages sah Signora Cuzzi zufällig diese Übung und die Englischstunden nahmen ein jähes Ende.
Seinem Enkelsohn schrieb Joyce 1936 folgenden Brief:
Villers s/Mer
Mein lieber Stevie,
Vor ein paar Tagen habe ich Dir eine Katze voller Leckereien geschickt, aber vielleicht kennst Du ja die Geschichte von der Katze von Beaugency noch gar nicht.
Beaugency ist ein winziges, altes Städtchen am Ufer der Loire, dem längsten Fluß in ganz Frankreich. Es ist auch ein sehr breiter Fluß, wenigstens für Frankreich. Bei Beaugency ist er so breit, daß man mindestens tausend Schritte brauchen würde, um von einem Ufer zum anderen zu kommen.
Vor langer Zeit mußten die Leute von Beaugency, wenn sie zum andern Ufer wollten, mit einem Schiff fahren, denn es gab keine Brücke. Und selber eine bauen konnten sie auch nicht oder jemanden anderen dafür anstellen und bezahlen. Was sollten sie da nun machen?
Der Teufel, der ja immer die Zeitungen liest, hört von ihrer Not; und so zog er sich fein an und kam, um dem Bürgermeister von Beaugency, dessen Name Monsieur Alfred Byrne war, einen Besuch zu machen. Dieser Bürgermeister zog ebenfalls gern schöne Kleider an. Er trug eine scharlachrote Robe und hatte stets eine große goldene Kette um den Hals hängen, sogar wenn er fest in seinem Bett schlief und die Knie in den Mund streckte.
Der Teufel erzählte nun dem Bürgermeister, was er in der Zeitung gelesen hatte, und sagte, er könnte den Leuten von Beaugency eine Brücke bauen, so daß sie den Fluß überqueren könnten, so oft sie nur wollten. Die Brücke, die er machen würde, wäre eine der allerbesten, versprach er, und er würde sie in einer einzigen Nacht fertigstellen. Der Bürgermeister fragte ihn, wieviel Geld er für eine solche Brücke verlange.
„Überhaupt kein Geld“, meinte der Teufel, „ich verlange nur, daß die erste Person, die über die Brücke geht, mir gehört.“
„Abgemacht“, sagte der Bürgermeister.
Es wurde Nacht, alle Leute in Beaugency legten sich zu Bett und schliefen. Dann kam der Morgen. Und als sie die Köpfe aus den Fenstern steckten, riefen alle: „O Loire, was für eine herrliche Brücke!“
Denn sie sahen eine herrliche, starke, steinerne Brücke über die Loire geschlagen.
Alle Leute liefen hinunter zum Kopf der Brücke und guckten hinüber. Dort, auf der anderen Seite, stand der Teufel und wartete auf die erste Person, die herüberkommen würde. Aber aus Angst vor dem Teufel getraute sich niemand hinüberzugehen.
Da hörte man einen Trompetenstoß – das war das Zeichen, daß die Leute still sein sollten – und der Bürgermeister M. Alfred Byrne erschien in seiner scharlachroten Robe und mit der schweren goldenen Kette um den Hals. Er hatte einen Kübel Wasser in der einen Hand, und unter dem Arm – seinem andern Arm – da trug er eine Katze.
Der Teufel hörte gleich auf zu tanzen, als er ihn auf der anderen Seite der Brücke kommen sah, und setzte sein langes Fernrohr an. Alle Leute flüsterten einander zu, und die Katze schaute hinauf zum Bürgermeister, denn im Städtchen Beaugency war es wohl erlaubt, daß eine Katze einen Bürgermeister ansieht. Als sie es überdrüssig wurde, den Bürgermeister anzuschauen (denn auch eine Katze bekommt einmal genug davon, einen Bürgermeister anzusehen), begann sie mit der schweren goldenen Kette des Bürgermeisters zu spielen.
Als nun der Bürgermeister bei der Brücke ankam, hielt jeder Mann den Atem an und jede Frau ihren Mund. Der Bürgermeister setzte die Katze auf die Brücke nieder, und ehe sich jemand versah – platsch –, goß er den ganzen Kübel Wasser über sie aus.
Die Katze, die nun zwischen dem Teufel und dem Kübel Wasser war, raffte sich ebenso rasch auf und eilte mit zurückgelegten Ohren über die Brücke und dem Teufel geradenwegs in die Arme.
Der Teufel war so wütend wie der Teufel persönlich.
„Messieurs les Balgentiens,“ schrie er über die Brücke hinüber, „vous n’êtes pas de belles gens du tout! Vous n’êtes que des chats!“ Und zu der Katze sprach er: „Viens ici, mon petit chat! Tu as peur, mon petit chou-chat? Tu as froid, mon pauvre petit chou-chat? Viens ici, le diable t’emporte! On va se chauffer tous les deux.“
(Bürger von Beaugency, schrie er über die Brücke hinüber, „ihr seid gar keine lieben Leute! Ihr seid nichts als Katzen!“ Und zu der Katze sprach er: „Komm her, mein kleines Kätzchen! Hast du Angst, mein kleines Miezekätzchen? Frierst du, mein armes, kleines Miezekätzchen? Komm hierher, der Teufel wird dich mitnehmen! Wir wollen uns wärmen gehen, wir zwei!“)
Und weg ging er mit der Katze.
Und seit jener Zeit nennt man die Leute dieses Städtchens „les chats de Beaugency“.
Aber die Brücke steht noch immer dort, und die Buben gehen und fahren und spielen auf ihr.
Hoffentlich gefällt dir diese Geschichte.
NONNO
P.S. Der Teufel redet meistens eine ganz eigene Sprache, die Bellsygebabbel heißt und die er selber so zusammenreimt, wies gerade kommt, doch wenn er sehr zornig ist, kann er ganz schlechtes Französisch sehr gut sprechen, obgleich einige, die ihn gehört haben, sagen, daß er einen sehr starken Dubliner Akzent hat.