Feb. 28, 1991 (Rede in Kassel)
Ich bin einer der 20%, wenn die Umfragen von vor ein paar Wochen stimmen, d.h. einer der 48 Millionen anti-amerikanischen Amerikaner, die die Kriegspolitik von George Bush verurteilen.
Dabei bekenne ich mich zu den weiteren Millionen anti-deutschen Deutschen, die die Kriegspolitik ihrer Regierung auch verurteilen. Das gleiche gilt für die Millionen von anti-französisichen Franzosen, die anti-ägyptischen égypter, die anti-israelischen Israelis, u.s.w.
Ich möchte auch sagen, dass ich mich in den 14 Jahren, die ich in Deutschland lebe, nie wohler gefühlt habe, als am 26. Januar in Bonn, wo 250.000 Menschen solidarisch und gewaltlos gegen diesen Krieg demonstriert haben. Ich bin stolz, ein Teil der deutschen Friedensbewegung zu sein.
In seiner Rede gestern Abend hat Präsident Bush einen "Sieg für das Prinzip des Rechtsstaates" ("a victory for the rule of law") angekündigt. Ich frage mich, wie er das seinen Enkelkinder erklären wird: "Sieht ihr, Kinder, so gehen wir zivilisierte Menschen mit einem barbarischen Diktator um--wir machen Krieg!"
Ob man überhaupt von Sieg sprechen kann, wenn Zehntausende gestorben und verwundet sind, ist fragwürdig. Wir haben eine Umweltkatastrophe. Milliarden von Mark und Dollars sind für Zerstörung ausgegeben worden, die sonst für positive Zwecke hätten verwendet werden können.
Es ist sicherlich kein Sieg für unsere rechtsstaatlichen Prinzipien. Wir haben den Krieg nicht verhindern können. Das ist kein Sieg, sondern ein Versagen.
Der sogenannte Sieg erspart uns jedenfalls nicht die Frage, ob der Krieg gerecht war oder nicht, d.h. ob er notwendig war oder nicht.
Ich weiss nicht, ob es einen gerechten Krieg geben kann. Ich weiss nur, dass die meisten ungerecht sind. Es hängt vielleicht davon ab, wofür man kämpft, aber sicherlich nicht, wer gewinnt. Der Krieg in Vietnam war nicht ungerecht, weil die Franzosen und die Amerikaner verloren haben. Er war ungerecht, weil die Kriegspolitik, erst der Franzosen und dann der Amerikaner, falsch war.
Ob man sagen kann, dass der 30-jährige Kampf der Vietnamesen, ihr Land zu befreien, der Millionen von Menschenleben gefordert hat, gerecht war, weiss ich nicht. Kann man die früheren Allierten verurteilen, weil sie gegen Hitler gekämpft haben? Kann man die amerikanischen Kolonisten verurteilen, weil sie gegen einen früheren König George gekämpft haben?
Eins muss aber klar sein: Im ABC-Waffen-Zeitalter kann Krieg nur das allerletzte Mittel sein, wenn überhaupt. Dazu geben wir alle Lippenbekenntnis--aber wo sind wir heute? Unsere herrschenden Politiker haben gerade einen Krieg geführt, befürwortet und gut gehiessen, und wir sind glücklicherweise glimpflich davongekommen. Ist das ein Sieg?
Ich glaube nicht, dass wir Grund zum feiern haben. Dieser Krieg war nicht notwendig, und deshalb kann von Gerechtigkeit keine Rede sein. Der Sieg, und der Glücksfall, dass es nicht noch schlimmer war, ändert nichts an der Tatsache, dass es nicht sein musste.
Es kommt mit Sicherheit ein nächstes Mal. Eine andauernde westliche Militärpräsenz am Golf und weitere Verschiebung des Palestina-Problems werden direkt zur nächsten Krise führen. Deshalb, statt zu feiern, sollten wir darüber nachdenken, was wir falsch gemacht haben.
Ich finde es eine Unverschämtheit, dass George Bush sich als Verteidiger des Rechtsstaates aufspielt. Was versteht ein ehemaliger Chef der CIA von Recht und Gesetz? Als Präsident hat er zweimal gegen das amerikanische Gesetz verstossen--in Panama und am Golf.
Artikel 1, Sektion 8 der amerikanischen Verfassung bestimmt, dass nur der Kongress, und nicht der Präsident, die Entscheidung treffen darf, ob ein Krieg notwendig ist oder nicht. Der Zweck dieser Bestimmung ist klar: 535 Menschen haben bessere Chancen, eine richtige Entscheidung zu treffen, als nur ein Mensch.
Eine verfassungsmässige Kriegserklärung gab es seit 1941 nicht. Die Kriege, die trotzdem geführt worden sind, wurden nicht erklärt, weil dies eine öffentliche und grundsätzliche Diskussion erfordert hätte, die wahrscheinlich zu keinem Konsens und zu keinem Krieg geführt hätte, weil die Existenz der USA und das Leben und Wohl ihrer Bürger seit 1945 niemals ernsthaft bedroht worden sind.
Warum wurden also diese Kriege geführt? Was hat das Volk davon? 54.000 Toten in Korea, 59.000 Toten in Vietnam, und Hunderttausende von Verwundeten, sonst nichts. War das ein selbtsloser Opfer für die Koreaner und Vietnameser, die noch viel mehr opfern mussten?
Der Vietnamkrieg hat 570 Milliarden Dollar gekostet. Bringt das uns zum nachdenken? Wer hat dieses Blutgeld kassiert?
In der Hoffnung, ein zweites Vietnam zu vermeiden, verabschiedete 1973 der US-Kongress ein Gesetz, das "War Powers Resolution" heisst. Sektion 1b dieses Gesetz lautet: Der Präsident darf verfassungsgemäss die Streitkräfte der USA in vorhandenen oder drohenden Kriegssituation nur in 3 Fällen einsetzen: 1) Nach einer Kriegserklärung des Kongresses; 2) Nach einer spezifischen Ermächtigung des Kongresses; 3) Im Verteidigungsfall.
In Grenada und Panama waren keine dieser Konditionen erfüllt.
Im Golf kam die Ermächtigung nach 5 Monaten statt nach 2 Monaten, wie das Gesetz es vorschreibt. Was aber am 12. Januar mit knapper Mehrheit des Kongresses heraus kam, war keine Ermächtigung im Sinne dieses Gesetzes, weil es einfach dem Präsidenten überlassen wurde, zu entscheiden, ob der Krieg notwendig war oder nicht. Die Kongressabgeordneten haben sich entschieden, sich nicht zu entscheiden. Das war feige, und ich denke, die Ermächtigung sollte als ungültig betrachtet werden, weil sie erst 3 Monate nach der gesetzlichen Frist zustande kam.
So weit die amerikanische Rechtsgebung. Was ist mit den UNO-Resolutionen?
Erstens steht in keiner von den UNO-Resolutionen, dass die USA diesen Krieg führen sollen. Mit welchem Recht bietet George Bush die Dienste amerikanischer Soldaten als Weltpolizisten an? Wie kommt er darauf, dass wenn amerikanische Soldaten bereit sind, ihr eigenes Land notfalls zu verteidigen, dass sie auch bereit sein müssen, Kuwait zu verteidigen? Mit welchem Recht verlangt er, dass Amerikaner töten und sterben müssen, so dass Kuwait "frei" sein kann?
Mit keinem! Kein amerikanischer Soldat hat einen Eid abgelegt, der ihn verpflichtet, Kuwait oder Saudi Arabien zu verteidigen, genauso wenig wie er verpflichtet war, Südkorea oder Südvietnam zu verteidigen.
Zweitens hat die UNO-Resolution 678 den Krieg zwar möglich gemacht, aber nicht notwendig. George Bush hat den Krieg notwendig gemacht, gegen den Rat von vielen wirtschaftlichen und militärischen Experten, die ihm versichert hatten, dass Sanktionen weiter wirksam sein würden. Diese UNO-Resolution ist m.E. nicht im Einklang mit der UNO-Charta, weil die UNO da ist, um Kriege zu vermeiden, und nicht um sie möglich zu machen. Davon aber abgesehen, die Entscheidung, dass dieser Krieg notwendig war, hat George Bush getroffen. Die Alliierten haben dann zugestimmt, aber der Sicherheitsrat selber hat niemals beschlossen, dass es Krieg geben soll.
Bush hat für die Welt entschieden, dass die Luftoffensive notwendig war, dann am Sonntag hat er entschieden, dass die Bodenoffensive notwendig war. "Unvermeidlich", sogar, sagte er, und alle Verbündete plapperten ihm nach. Warum unvermeidlich? Die Alliierten hatten die totale Beherrschung des Luftraumes. Damit hätten sie die Versorgungslinien der irakischen Truppen in Kuwait permanent abbrechen können. Sie hätten dann nur abwarten müssen, bis die Irakis sich aus Hunger ergeben.
Als Saddam dem sowjetischen Plan zugestimmt hatte, hat er in Prinzip alle UNO-Resolutionen akzeptiert, deren Ziel es war, dass die Irakis Kuwait verlassen. Warum war es notwendig, dass sie innerhalb 2 statt 21 Tagen weggehen? Ich glaube nicht, dass Saddam die längere Frist für eine weitere Offensive hätte ausnutzen können. Wie denn? Sobald die irakische Panzer aus ihren eingegrabenen Stellungen gekommen wären, wären sie leichte Zielscheiben für alliierte Luftangriffe gewesen, falls Saddam doch weiter hätte kämpfen wollen.
Was die anderen sogenannten "Forderungen" im Sowjetplan angehen, jeder wusste, dass sie nur da waren, damit Saddam das Gesicht bewahren konnte. Wie hätte er sie geltend gemacht? Das war kein Vertrag. Die Alliierten hätten sich zu nichts verpflichten müssen. Wenn Saddam Kuwait doch nicht geräumt hätte, hätten die Alliierten immer noch den Bodenkrieg anfangen können. Jede Bewegung hätte von der Luft aus genau beobachtet werden können, und beim Rückzug wären die Irakis der überwältigenden öbermacht der allierten Luftkräfte vollkommen ausgeliefert gewesen.
Der Krieg wurde von Washington fortgesetzt, mit der üblichen Zustimmung in London, Paris, und Bonn, bis Saddam allen 12 UNO-Resolution zugestimmt hat, inklusive der über Reparationen, die er niemals annäherend bezahlen kann. Es befriedigt uns alle, wahrscheinlich, dass der Unmensch Hussein endlich klein beigeben muss, aber war es notwendig? Wieviele Menschen mussten für diese letzte Befriedigung sterben? Saddam, das Monster selbst, lebt noch. Irgendwie stimmt die Rechnung nicht.
Wenn wir schon von "Rechnung" sprechen, denken wir an die einzigen wirklichen Gewinner dieses Krieges. Das sind in erster Linie die Öl- und Rüstungsindustrie, aber es gibt auch andere. Zum Beispiel, die Firmen, die sich jetzt schon streiten, um ein Stück des kuwaitischen Kuchens abzukriegen. öber die nächsten 5 Jahren wird der Wiederaufbau von Kuwait bis 60 Milliarden Dollar kosten: Verträge im Wert von 356 Millionen Dollar sind schon vergeben, 270 Millionen Dollar davon an amerikanischen Firmen.
Diese Rechnung, die für einige Wenige enorme Profite heissen, bezahlen natürlich wir, die kleinen aber vielen Steuerzahler. Krieg kostet Geld--in jedem von den letzten Tagen über eine Milliarde Dollar--macht aber gleichzeitig ein Vermögen für einen kleinen Teil der Bevölkerung, inklusive aber nicht nur der Waffenschieber. Gibt es ein anderes Geschäft, das so einen Umsatz hat? Fragen wir uns, in welche Taschen diese Gelder landen, und dann wissen wir, für wen Kriege wirklich gemacht werden.
Lassen wir im allgemeinen Siegesrausch nicht vergessen, dass wir mit diesem Krieg schon wieder bewiesen haben, dass wir nicht fähig sind, trotz der günstigsten Voraussetzungen, einem Gewaltakt, nämlich der Invasion Kuwaits, ohne einen zweiten und noch grösseren Gewaltakt zu entgegnen. Unsere politischen Strukturen haben wieder versagt. Die UNO hat versagt, der amerikanische Kongress hat versagt, die verschiedenen europäische Parlamente haben versagt. Dieser sogenannte "Sieg" macht es nur wahrscheinlicher, dass die nächste Krise auch mit Gewalt beendet werden wird.
Ist das die "Logik des Krieges", wovon manche Politiker so gern sprechen? Das ist keine Logik, sondern Wahnsinn. Korea und Vietnam waren vermeidbar, dieser Krieg war vermeidbar, und vor allem, der nächste muss vermeidbar sein. Wir müssen und dürfen uns nicht in den Wahnsinn treiben lassen, weder von einem Saddam Hussein, noch von einem George Bush.