Wissenschaftliche Beschäftigung mit einem Gegenstand
Um zu verstehen, weshalb der Umgang mit Zitaten wichtig ist, müssen wir verstehen, was wissenschaftliches Denken und Schreiben generell ausmacht. Im Gegensatz zu anderen Textformen, die primär unterhalten wollen, steht bei wissenschaftlichen Artikeln der Erkenntnisgewinn im Zentrum: "Grundlegendes Ziel einer Wissenschaft ist, neue Erkenntnisse zu gewinnen - die Forschung voranzubringen." (Voss 2019, S. 22). Dieses Ziel wird erreicht, wenn Wissen "nach je spezifischen Kriterien erhoben, gesammelt, aufbewahrt, gelehrt und tradiert wird" (brockhaus.de). Wissenschaft wird also nach bestimmten Regeln durchgeführt. Ihre Methoden und Erkenntnisse werden offengelegt, damit sie von der Forschergemeinschaft kritisch überprüft werden können. Wissenschaftliche Ergebnisse werden in der Wissenschaftscommunity diskutiert, verworfen (falsifiziert) oder bestätigt (verifiziert). Wissenschaft erzielt auf diese Weise intersubjektiv abgestützte Theorien und Erkenntnisse.
Wie die Wissenschaft selbst funktioniert das wissenschaftliche Schreiben nach festgelegten Regeln. "Wissenschaftliche Texte sind Teil der Wissenschaft. Sie verarbeiten wissenschaftliche Erkenntnisse anderer, indem sie diese wiedergeben, zueinander in Beziehung setzen, kommentieren und zur Grundlage eigener Überlegungen machen." (Pospiech 2017, S. 10). Die erwähnten Text-Bezüge sind ein Kernmerkmal aller wissenschaftlichen Publikationen. Mit diesen Bezügen haben wir ein erstes Kriterium, das wissenschaftliches Schreiben erfüllen muss.
Wodurch zeichnet sich wissenschaftliches Schreiben aus?
Wie jede andere Textform (bspw. ein Gedicht, ein Interview, ein Theaterstück usw.) besitzen auch wissenschaftliche Texte, Kriterien, durch die sie sich auszeichnen. Die folgende Auflistung nennt Gütekriterien wissenschaftlicher Texte (Bagusche 2013, zit. in Prexl 2015, S. 26):
Behandlung einer wissenschaftlichen Fragstellung
klare Gliederung und Strukturierung
wissenschaftliche, präzise Terminologie
Text-Text-Bezüge
angemessene Methodik und theoretische Fundierung
Das erste Kriterium fordert von Ihrer Arbeit, dass die Untersuchungsfrage wissenschaftlich, das heisst erkenntisorientiert ist. Oft ist es nicht leicht, eine Leitfrage zu finden, die genug präzsie ist, dass sie in der Arbeit beantwortet werden kann. Im Arbeitsprozess bildet die Suche nach einer geeigneten Fragestellung deshalb auch eine der schwierigsten Phasen.
Das zweite Kriterium sagt aus, dass Ihre Erkenntnisse in eine gute Struktur gebracht werden müssen. Diese soll logisch und nachvollziehbar sein. Die Nachvollziehbarkeit ist dabei nicht nur formal ein Kriterium, sondern auch inhaltlich; jemand, der Ihre Arbeit liest, muss Ihren Gedanken und Ihrem Argumentationsstrang folgen können.
Ein wissenschaftlicher Text zeichnet sich drittens auf der Ebene des Wortschatzes durch Fachvokabular aus (siehe unten).
Das vierte Kriterium sind die bereits erwähnten Bezüge zu anderen Forschungsarbeiten, mit denen sich Ihre Arbeit in die bestehende Forschung einbettet.
Als fünftes Kriterium wird ein angemessenes (das heisst nachvollziehbares und offengelegtes) Vorgehen verlangt sowie eine theoretische Fundierung. Jede Arbeit setzt damit eine solide Literatur-Recherche und ein Einlesen in die Fachliteratur voraus.
Aufgabe 26
Halten Sie kurz inne und überlegen Sie: Welche wissenschaftlichen Texte haben Sie schon gelesen? War es schwierig, diese Texte zu verstehen?
Kann ich überhaupt wissenschaftlich lesen und schreiben?
Die Bücher, auf die Sie bei Ihrer Recherche treffen, sind von Forscherinnen und Forschern geschrieben worden, die sich vielleicht schon ihr ganzes (Hochschul-) Leben lang mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Demensprechend fallen sie sorgfältig strukturiert, fundiert und eloquent (sprachgewandt) aus. Dies kann einschüchternd wirken.
Lassen Sie sich nicht abschrecken: Beim Umgang mit Forschungsliteratur sollen Sie nicht zu viel Ehrfurcht verspüren. Suchen Sie die Passagen, die Ihnen für die eigene Arbeit hilfreich erscheinen. Getrauen Sie sich zu zitieren!
Tipp: Bei schwieriger oder umfangsreicher Literatur empfiehlt es sich, das Inhaltsverzeichnis genau zu studieren und die Einleitung zu lesen. So bekommen Sie Hinweise darauf, ob diese Literatur für Ihre Arbeit wichtig ist oder nicht.
Haben Sie Mut zum Zitieren.
Welchen Sprachstil soll ich selbst verwenden?
Zunächst ist es wichtig, dass Sie so objektiv und wissenschaftlich wie möglich schreiben. Ihre subjektive Sicht, Ihre persönliche Meinung darf nicht hervortreten (einzig im Vorwort und im Schlusswort der Arbeit). Dies führt dazu, dass man in wissenschaftlichen Texten die Ich-Form vermeidet.
Die Texte zeichnen sich in der Tendenz durch eine hohe Informationsdichte aus, das heisst Überflüssiges (wie etwa Floskeln oder Füllwörter) werden vermieden. Ein wissenschaftlicher Text muss dabei nicht per se trocken oder spröde werden, Ihre Formulierungen streben aber generell zuerst nach inhaltlicher Klarheit.
Fachvokabular
Oft ist man unsicher, ob die Arbeit möglichst gehoben und mit vielen Fremdwörtern formuliert sein soll – oder so simpel, dass alle die Arbeit verstehen können, ohne Wörter nachschauen zu müssen. Es macht Sinn, dass Sie Fachvokabular benutzen, um sich möglichst präzise auszudrücken. Das heisst aber nicht, dass die Arbeit eine Aneinanderreihung von komplizierten Fremdwörtern sein soll. Schreiben Sie die Arbeit für einen imaginären interessierten Leser, den Sie durch Ihre Forschung führen. Wenn Sie finden, einen bestimmten Fachbegriff kann man nicht voraussetzen, erklären Sie ihn (allenfalls in einer Fussnote).
Schreiben Sie präzise, aber leserfreundlich.