Begriffsbestimmung
Die griechische und römische Antike ist die Geburtsstunde des systematischen Nachdenkens über Rhetorik. Aber was ist Rhetorik? «Rhetorik ist die Kunst, gut zu sprechen». So definierte der römische Rhetoriklehrer Quintilian (um 35-100) die Disziplin, wenn er sagte: rhetorice ars bene dicendi (Inst.or.II.17.37).
Redekunst ist lernbar
Die Fähigkeit des Gut-reden-Könnens bezeichnet Quintilian als eine «Kunst», griech. «téchnē», lat. «ars». «Kunst» ist in der Vorstellung der alten Griechen und Römer etwas Lehr- und Lernbares. Redekunst ist etwas, das wie ein Handwerk gelehrt und durch Wissen und Übung erlernt werden kann. So erstaunt es nicht, dass die antike Rhetorik nicht nur die Praxis des guten Redens behandelte, sondern auch Theorien entwickelte, was eine gute Rede und einen guten Redner ausmachen.
Rhetorik ist Rede- und Schreibkunst
Die antike Rhetorik hat hauptsächlich das öffentliche Reden vor Publikum im Blick. Es geht nicht um das Miteinander-Reden in privaten Zusammenhängen. Wer öffentlich vor Zuhörern spricht, tut dies in der Regel vorbereitet und nicht spontan. Es ist ein Reden, das sich mehr oder weniger eng an einer schriftlichen Vorlage orientiert. So überrascht es nicht, dass Rhetorik nie nur Lehre vom Reden und Auftreten, sondern stets auch Lehre vom guten Schreiben gewesen ist. Clemens Ottmers (2007:6) bestimmt darum die «Rhetorik» als die «Kunst, in Rede oder Schrift situationsbezogen und wirkungsvoll zu überzeugen». Rhetorikunterricht zielt darauf ab, kommunikative Fähigkeiten zu entwickeln. Er soll dich befähigen, in unterschiedlichen Situationen erfolgreich zu kommunizieren. Und dieses Kommunizieren ist oft persuasiv ausgerichtet. Es will, wie das lateinische Verb «persuadere» anzeigt, jemanden «zu etwas bewegen» oder jemanden «überreden» oder «überzeugen». In der Rhetorik geht es um ein Schreiben, Sprechen und Auftreten, welches das Ziel verfolgt, ein Publikum zu beeindrucken und von etwas zu überzeugen.
Aufgabe 19
Auch heute existiert eine Vielzahl an Rhetorikkursen, Workshops, Seminarien. Kennen Sie jemanden, der einen Rhetorik-Kurs oder Workshop besucht hat?
Warum sind bei Führungspersonen Rhetorik-Kurse beliebt? Hat das mit unserer Medienwelt zu tun?
Würden Sie selbst einen solchen Rhetorik-Kurs besuchen? Falls ja, was würden Sie dort lernen wollen?
Abb.4: Schweizer Landsgemeinde in Glarus; Quelle: siehe Abbildungsverzeichnis
Rhetorik als wissenschaftliche Disziplin
Im Vergleich zu den Anfängen in der Antike haben sich die heute gebräuchlichen Rede- und Schreibformen enorm vervielfältigt. Dies überrascht nicht, wenn man sich den komplexeren Organisationgrad moderner Gesellschaften, die in zahlreiche Subsysteme ausdifferenziert sind, vor Augen führt. Nur schon die Anzahl der tendenziell «monologischen» Schreib- und Redeformen hat sich im Vergleich zur Antike stark vergrössert. Denken wir z.B. an die zahlreichen schriftlichen Textsorten, welche im Print- und Onlinejournalismus üblich sind, oder an die vielfältigen Rede- und Präsentationsformen, die in den Sozialen Medien verwendet werden.
Abb.5: Filmstill aus: Was esse ich den ganzen Tag? Quelle: siehe Abbildungsverzeichnis
Rhetorik ist heute eine wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der mündlichen und schriftlichen Kommunikation und Sprachgewandtheit beschäftigt. Zuweilen sind auch visuelle und audio-visuelle Erzeugnisse Objekte rhetorischer Befragung und Analyse. Der Gegenstandsbereich der Rhetorik lässt sich demzufolge enger oder weiter bestimmen:
Heute gehören zum Gegenstand der Rhetorik in einem engen Sinn alle tendenziell monologischen Redeformen, also die Formen des Redens vor Publikum. Und da ein öffentliches Reden in der Regel auf einer schriftlichen Grundlage geschieht, beschäftigt sich die Rhetorik auch mit den Formen des «monologischen» Schreibens. In einem erweiterten Rhetorikbegriff gehören nicht nur monologische Rede- und Schreibformen zum Gegenstand rhetorischer Untersuchungen, sondern auch «dialogische» Kommunikationsformen wie Diskussionen, Debatten, Unterrichtsgespräche, Chats, Verkaufs- oder Beratungsgespräche sowie weitere Rede- und Kommunikationsformen der Medien- und Arbeitswelt. In einem noch weiteren Sinn beschäftigt sich die Rhetorik auch mit «Bildsprachen» und ihren «Rhetoriken», dann wird z.B. über eine Rhetorik der Werbung, der Fotografie, des Bildes, des Films usw. nachgedacht.
Merke: Wir definieren (nach Ottmers) «Rhetorik» als die «Kunst, in Rede oder Schrift situationsbezogen und wirkungsvoll zu überzeugen».