Welche Konsequenzen hatte die Affäre Guttenberg?
Nur wenige Tage nach der Debatte in der Aktuellen Stunde vom 23. Februar 2011 gibt der Minister Karl-Theodor zu Guttenberg am 1. März 2011 seinen Rücktritt öffentlich bekannt. Bis zu seinem Rücktritt konnten Guttenberg auf 324 Seiten seiner gut vierhundertseitigen Dissertation Plagiate nachgewiesen werden. Die Doktorwürde wurde ihm bereits am 23. Februar von der Universität Bayreuth aberkannt. Nach kurzer, intensiver Recherche, Berichterstattung und Diskussion war Guttenbergs zuvor als herausragend taxierte Dissertation („summa cum laude“) Makulatur und seine politische Karriere am Ende, obwohl er zuvor von vielen Seiten als fähiger Minister gelobt worden ist.
Nach seiner Demission als Minister stellt im Mai 2011 eine Kommission der Universität Bayreuth „Täuschung-Vorsatz“ fest. Guttenberg habe in „seiner“ Doktorarbeit willentlich und in grossem Umfang plagiiert. Und die Staatsanwaltschaft in Hof gibt im selben Jahr bekannt, dass Guttenberg in 23 Textpassagen Urheberrechts-Verletzungen begangen habe, die strafrechtlich relevant sind. Im November 2011 wird das Ermittlungs-Verfahren der Staatsanwaltschaft unter der Voraussetzung eingestellt, dass Karl-Theodor zu Guttenberg eine „Zahlungsauflage“ von 20'000 Euro an eine gemeinnützige Organisation erfülle, was zu Guttenberg tut.
Ausmass des Plagiats
Die folgende Graphik macht das Ausmass des Plagiierens deutlich (Stand: 27 März 2011): Sie zeigt, auf welchen Seiten Plagiate gefunden wurden (schwarz und rot; die weissen Striche entsprechen Seiten ohne Plagiate).
Abb.3: Schematische Darstellung der Plagiate
Quelle: siehe Abbildungsverzeichnis
Aufgabe 16
Wenn Sie obenstehende Graphik betrachten - verändert sich Ihr bei Aufgabe 16 gefälltes Urteil? Wird es revidiert oder allenfalls verstärkt?
Aufgepasst! – Wie man Guttenberg auf die Schliche kam
Bearbeitet nach folgender Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Plagiatsaff%C3%A4re_Guttenberg
Sommer 2010: Michael Schwarz, ein Doktorand, entdeckt bei Recherchen für seine eigene Doktorarbeit erste Plagiate in Guttenbergs Dissertation. Er schreibt einen Artikel darüber, der jedoch erst nach der Affäre im Sommer 2011 erscheint. Schwarz' Doktorvater hat von einer Publikation der Plagiats-Entdeckung abgeraten: Der Fall Guttenberg sei politisch zu brisant.
12.2.2011: Andreas Fischer-Lescano schreibt eine Rezension über Guttenbergs Dissertation. Mit der Hilfe von Google-Suchen findet er neun Quellen, aus denen Guttenberg, ohne sie zu nennen, abgeschrieben hat. Andreas Fischer informiert die Universität Bayreuth und die Süddeutsche Zeitung.
16.2.2011: Zwei Redakteure der Süddeutschen Zeitung berichten über den Plagiats-Verdacht. Sie kontaktieren auch den Minister Guttenberg. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht daraufhin eine erste Stellungnahme von zu Guttenberg, in der dieser alle Vorwürfe entschieden zurückweist. Einige Tage später erscheint die Rezension von Fischer-Lescano in der Fachzeitschrift «Kritische Justiz». Darin zeigt er deutlich auf, dass Guttenberg plagiiert hat.
Gleichzeitig findet ein anderer Doktorand, der anonym blieben wollte, heraus, dass Guttenberg seine Einleitung nicht selber verfasst hat, sondern sie zu grossen Teilen aus anderen Texten zusammenkopiert hat. Kurz darauf melden Journalisten der FAZ und der NZZ, dass Guttenberg aus ihren Zeitungsartikeln wortwörtlich abgeschrieben habe, ohne dies kenntlich zu machen.
16.2.2011: Guttenberg reagiert in Berlin auf die erhobenen Vorwürfe. „Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus.“ Ich bin „gerne bereit zu prüfen, ob bei über 1200 Fußnoten und 475 Seiten vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten und würde dies bei einer Neuauflage berücksichtigen“. „Und sollte jemand auf die Idee kommen zu behaupten, Mitarbeiter meiner Büros hätten an der wissenschaftlichen Erarbeitung meiner Dissertation mitgewirkt, stelle ich fest: Dies trifft nicht zu. Die Anfertigung dieser Arbeit war meine eigene Leistung.“
17.2.2011: Das Gutten-PlagWiki wird gestartet; ins Leben gerufen vom erwähnten anonymen Doktoranden. Es ermöglicht allen Interessierten eine koordinierte digitale Recherche nach Plagiaten in Guttenbergs Doktorarbeit. Der «Schwarm» von Plagiats-Suchern wird schnell fündig.
18.2.2011: Vor wenigen ausgewählten Journalisten erklärt Guttenberg, seine Dissertation sei „kein Plagiat“, obwohl sie «fraglos Fehler» enthalte. Dennoch habe er „zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht“. Es sei nun an der Universität Bayreut Ungereimtheiten zu klären. „Ich werde selbstverständlich aktiv mithelfen festzustellen, inwiefern darin ein wissenschaftliches, ich betone ein wissenschaftliches Fehlverhalten liegen könnte. Und ich werde gerne bis zum Ergebnis dieser Prüfung vorübergehend, ich betone vorübergehend, auf das Führen des Titels verzichten, allerdings nur bis dahin, anschließend würde ich ihn wieder führen.“
19.2.2011: Die Süddeutsche Zeitung zeigt detailliert auf, dass Guttenberg bei mindestens 19 Autorinnen und Autoren abgeschrieben hat. Zudem wird bekannt, dass Guttenberg als damaliges Mitglied des Parlaments, den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages in unerlaubter Weise für sein Dissertationsvorhaben eingespannt hat. Er hat beim Parlamentsdienst zwischen Oktober 2003 und Oktober 2005 mehrere Gutachten verlangt, die er nach deren Erstellung für seine Doktorarbeit verwendet hat. Und zwar wieder in «gewohnter» Weise: Grosse Passagen werden aus den Gutachten direkt in seine Arbeit übernommen, ohne diese zu zitieren oder auf diese hinzuweisen. Unerlaubt war dieses Vorgehen nicht nur aus wissenschaftlicher Perspektive, die das Plagiieren verbietet, sondern auch aus der Sicht des parlamentarischen Betriebs. Denn ein Parlamentarier darf die Wissenschaftlichen Dienste nur für Dinge beauftragen, die auf seine politische Arbeit bezogen sind.
21. Februar 2011: Am Vormittag stellt sich die regierungsverantwortliche Bundeskanzlerin Angela Merkel hinter Guttenberg: «Ich habe keinen wissenschaftlichen Assistenten oder einen Promovierenden oder einen Inhaber einer Doktorarbeit berufen, sondern mir geht es um die Arbeit als Bundesverteidigungsminister. Die erfüllt er hervorragend, und das ist das, was für mich zählt.“
21. Februar 2011: Das GutenPlag-Wiki hat bereits auf 271 Seiten der gut 400 Seiten umfassenden Doktorarbeit Plagiate gefunden. Es wird darauf hingewiesen, dass dies kein Versehen sein könne.
21. Februar 2011: Guttenberg schreibt der Universität Bayreuth einen Brief, in dem er um die Zurücknahme seines Doktortitels bittet. An einer Parteiveranstaltung der CDU äussert sich Guttenberg am selben Abend. Er gibt zu, seine Doktorarbeit enthalte «gravierende Fehler». Darum könne er wohl auch in Zukunft keinen Doktortitel mehr tragen. Möglicherweise habe er beim Verfassen der Arbeit «an ein oder anderer Stelle den Überblick über die Quellen verloren». «Ich habe diese Fehler nicht bewusst gemacht, ich habe auch nicht bewusst oder absichtlich in irgendeiner Form getäuscht.»
22. Februar 2011: Die Kanzlerin Angela Merkel äussert sich erneut zu Guttenberg: „Karl-Theodor zu Guttenberg ist ein ausgezeichneter Verteidigungsminister, er führt dieses schwere Amt außerordentlich gut. Wir stecken mitten in einer umfassenden Bundeswehrreform; und er hat mein volles Vertrauen und meine Unterstützung dafür, wie er das anpackt. Seine wissenschaftliche Arbeit hat mit diesen Aufgaben nichts zu tun.“
23. Februar 2011: Aktuelle Stunde zur Plagiatsaffäre Guttenberg im Bundestag. Live-Übertragung der Debatte im deutschen Fernsehen. Guttenberg bekräftigt seine Absicht, als Verteidigungsminister im Amt zu bleiben und nicht zurückzutreten.
23. Februar 2011: Entzug der Doktorwürde durch die Universität Bayreuth.
25. Februar 2011: Das GuttenPlag Wiki zeigt, auf, dass Guttenberg bereits im Jahre 2004 in einem Aufsatz plagiiert hat.
28. Februar 2011: Es kann gezeigt werden, dass Guttenberg ein siebtes Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages für seine Arbeit verwendet hat, ohne dies anzugeben.
1. März 2011: Guttenberg gibt den Rücktritt aus allen politischen Ämtern bekannt. Er muss seinen Ministerposten aufgeben, ebenso sein Amt als Abgeordneter (Parlamentarier) des deutschen Bundestages (Parlaments).
1. März 2011: Nach Guttenbergs Rücktritt macht ein weiterer Zwischenbericht des GuttenPlag Wikis deutlich: In 324 von 393 Seiten des Haupttextes der Guttenberg-Dissertation wurden plagiierte Stellen entdeckt (=82 Prozent).
3. April 2011: Das GuttenPlag Wiki hält fest: Guttenbergs Doktorarbeit hat ohne Inhaltsverzeichnis und ohne Literaturverzeichnis einen Umfang von 393 Seiten. Auf 371 dieser 393 Seiten konnten Plagiate oder Plagiatsfragmente nachgewiesen werden. 94.4% aller Hauptseiten enthalten entweder Stellen, die direkt abgeschrieben worden sind, ohne zu zitieren, oder sie enthalten fremde Informationen, ohne dass auf diese hingewiesen wird. Ein «vernichtender» Befund. Siehe obenstehende Graphik.
Plagiatsaffäre und Skandal
Karl-Theodor zu Guttenberg ist nicht der einzige deutsche Politiker, der in seiner Doktorarbeit betrogen hat und deswegen öffentlich in Schwierigkeiten geriet. Er war jedoch sicherlich der spektakulärste Fall der letzten Jahre, weil es eine Seltenheit ist, dass ein Regierungsmitglied wegen Plagiierens zurücktreten muss.
Die Plagiats-Affäre zeigt an, dass das Plagiieren im wissenschaftlichen Feld kein Kavaliersdelikt ist. Und dass ein Verstoss gegen die wissenschaftliche Redlichkeit durchaus negative Konsequenzen in anderen Berufsfeldern haben kann. Mit Recht sind in den letzten Jahren die Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens und Zitierens fester Bestandteil des Schulunterrichts geworden. Der Umgang mit Informationsquellen ist ein wichtiges Thema, nicht nur in Doktorarbeiten, sondern in allen Arbeiten, in denen Fachliteratur verwendet wird.
Die Guttenberg-Affäre war jedoch nicht nur eine Plagiats-Affäre, sondern auch ein politischer Skandal. Mit der Guttenberg-Affäre lassen sich allgemeine Mechanismen politischer Skandale in demokratischen Gesellschaften und die Rolle, welche die Medien dabei spielen, näher beschreiben. Dies soll im Folgenden geschehen.
Ein Medien-Skandal
Eine demokratische Gesellschaft ist auf die Gewaltenteilung der drei Gewalten – der Legislative, der Exekutive, der Judikative – angewiesen. Und auf freie Medien. Medien berichten über die politischen Themen. Sie informieren, recherchieren, ordnen ein. Zuweilen werden die Medien auch als die «4. Gewalt» im Staat bezeichnet. Damit wird darauf hingewiesen, dass Medien nicht nur eine Informations- und Analysefunktion haben, sondern auch die Aufgabe, die Mächtigen in Politik und Wirtschaft kritisch zu begleiten und damit zu einem gewissen Grad zu kontrollieren.
Vernehmen Medien von Verfehlungen politischer Amtsträger und anderer einflussreicher Personen, dann beginnen sie darüber zu berichten und zu recherchieren. Sie beginnen das im Raum stehende Fehlverhalten zu beleuchten und den möglichen Skandal zu bewirtschaften.
Skandalisierungen sind ein Elixier der heutigen Medienwelt. Sie sind Teil des Geschäftsmodells von Medien. Skandale garantieren Aufmerksamkeit und Medien suchen diese Aufmerksamkeit. Sie leben davon. So erstaunt es nicht, dass in den sich konkurrenzierenden Medien ständig Skandale ausgerufen und dargestellt werden. Viele dieser Skandale sind echte Skandale, von denen die Bürgerinnen und Bürger Kenntnis haben müssen. Dann erfüllen die Medien ihre Recherche- und Kontroll-Funktion im Staat.
Aber viele der in den Medien ausgerufenen Skandale sind nur «vermeintliche» Skandale. Sie sind nichts mehr als ein Sturm im Wasserglas und verstummen rasch und wirkungslos im Getöse der kurzlebigen Medienwelt. So kommt es, dass Skandale nicht immer negative Folgen haben für die Akteure, die in den Skandal verwickelt sind. Zum Beispiel wenn Skandalrufe kein Gehör finden oder entkräftet oder einfach «ausgesessen» werden können.
Im Falle der Dissertation des deutschen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg fielen die Skandalrufe auf einen nährbaren Boden, wurden immer lauter und fanden schliesslich das Interesse eines sehr grossen Publikums. Dies konnte für den Betroffenen, Karl Theodor zu Guttenberg, nicht ohne Folgen bleiben. Skandale setzen kollektiv verbindliche Normen und Werte voraus, an denen der Skandalisierte in seinem Verhalten gedeutet und beurteilt wird. Skandalrufe suchen die öffentliche Empörung, verlangen die Reue und Bestrafung des Normbrechers und wünschen die Wiederherstellung der moralischen Ordnung. Dies war beim Guttenberg-Skandal unüberhörbar der Fall.
Eine Folge der Aufklärung
Dass bei Karl-Theodor zu Guttenberg der Skandalruf auf grosse Resonanz stiess, war sicherlich kein Zufall. Guttenberg hatte ein hohes politisches Amt inne. Und seit der Aufklärungsbewegung gilt für den Raum des Politischen die Erwartung, dass er das Reich des Vernünftigen und Tugendhaften sein soll. Dies führt in etablierten Demokratien zu hohen moralischen Erwartungen an die Art und Weise der politischen Amtsführung. Ein Politiker hat moralisch integer zu handeln, auch wenn wir alle wissen, wie schwierig es ist, in den Handlungsfeldern der Politik moralisch einwandfrei zu agieren. Ein Minister wie Guttenberg, der sich eine Dissertation mit betrügerischen Mitteln erschlichen hat, hat innerhalb eines politischen Verständnisses, das sich der Tradition der Aufklärung verpflichtet fühlt, schlechte Karten, wenn seine Mauscheleien zutage treten.
Die Politikkonzeption der Aufklärung, die sich bewusst von der politischen Theorie und Praxis des Ancien Régime absetzte, verurteilte eine Politik der Geheimnisse und Klüngelei. Was öffentlich relevant ist, darf nicht im Verborgen geschehen oder versteckt werden. Was politisch relevant ist, soll im Lichte der Öffentlichkeit geschehen oder ihr zumindest bekannt sein.
Verfehltes Krisenmanagement
Die Kanzlerin Angela Merkel versuchte, Guttenbergs Dissertation von seinem Amt als Verteidigungsminister zu trennen und den Plagiatsfall nur als wissenschaftlich relevant, jedoch nicht als politisch bedeutend zu erklären. Dieser Versucht musste scheitern, denn Guttenberg hatte im Verlaufe des Skandals nicht nur zunehmend gegen politische Gegner und Vertreter der Medien zu kämpfen, sondern auch gegen zahlreiche Vertreter der Wissenschaft und den im Internet höchst aktiven «Schwarm» von Plagiatssuchern, die sich zum Ziel gesetzt hatten, möglichst viele plagiierte Stellen in der Doktorarbeit zu finden. Und nicht zuletzt hatte Guttenberg gegen sich selbst zu kämpfen. Das heisst, gegen seinen Umgang mit dem Skandal.
Zentral war, dass Guttenberg mit seinem Skandalmanagement den Skandal selbst verschärft und damit wesentlich selbst zu seinem raschen Sturz beigetragen hatte. Guttenberg scheint über den wiederkehrenden Verlauf vergangener politischer Skandale nicht allzu viel gewusst zu haben, denn diese „erhielten ihre Dynamik weniger über die zugrundeliegenden Normverstösse, als vielmehr über die in ihrem Verlauf enthüllten Lügen, die der Verdeckung eben dieser ursprünglichen Normverstösse dienen sollten.“ (Imhof 2000, S. 59f).
Wie bei fast allen erfolgreichen Skandalen hat sich der Skandalisierte zum öffentlichen Lügen hinreissen lassen. Und dieses wiederholte Lügen, dass er in seiner Doktorarbeit nicht bewusst betrogen habe, hat Guttenberg letztlich zu Fall gebracht. Es folgt daraus, um es in den Worten des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen zu sagen, „ein Dementi muss, ganz simpel formuliert, stimmen, um die Erosion eigener Glaubwürdigkeit nicht noch zu verschärfen, sie letztlich irreversibel zu beschädigen“ (Pörksen/Detel 2012, S. 107).
Guttenberg äusserte sich öffentlich zu den erhobenen Anschuldigungen bezüglich seiner Doktorarbeit. Er wies die Plagiatsvorwürfe wiederholt zurück. Er dementierte die unterstellte Betrugsabsicht. Das war der entscheidende Moment. Denn wenn ein öffentlich vorgetragenes Dementi nicht stimmt, dann muss man „zur effektiven Kommunikationskontrolle in der Lage sein, muss den Zugang zu den Beweismitteln und den entscheidenden Dokumenten regulieren oder doch zumindest erschweren und behindern können. Nur so kann die eigene Deutung als mehr oder minder alternativlose Wirklichkeit bewahrt werden.“ (ebd., S. 107).
Nur ist Deutschland keine Diktatur und auch keine gelenkte Demokratie. Deutschland ist ein Rechtsstaat mit Gewaltenteilung und einer funktionierenden freien Presse. So erstaunt es nicht, dass sich Karl-Theodor zu Guttenbergs Unschuldsbehauptung nicht lange halten konnte. Guttenbergs Verteidigungsstrategie konnte nicht die «Deutungsmacht» der Situation erobern. Sie musste scheitern. Guttenberg hatte nicht die Kontrolle über seinen «Fall». Er konnte weitere Recherchen nicht verhindern. Die Beweislast gegen seine «Unschuldsbehauptung», dass er nicht bewusst betrogen habe, wurde immer erdrückender. Seine Glaubwürdigkeit ging verloren und konnte nicht wieder hergestellt werden. Guttenberg stand in der Öffentlichkeit zunehmend als «Schummler» und «Lügner» da. Seine Integrität nahm durch sein falsches «Krisenmanagement» einen irreversiblen Schaden. Sein politischer Sturz war nicht mehr aufzuhalten. Ob es ihm gelungen wäre, seinen Fall aufzuhalten, wenn er von Beginn weg wirklich offen und ehrlich und sich entschuldigend geäussert hätte, bleibt natürlich Spekulation.