Rhetorisch geschult
Oppermann ist rhetorisch geschult. Das ist unverkennbar. Seine Rede ist seriös vorbereitet. Das bedeutet in der Rhetorik dreierlei:
1) Sie müssen sich als Rednerin oder Redner in der Sache, über die Sie sprechen, gut auskennen, damit Sie etwas zu sagen haben.
2) Sie müssen einen geordneten, klaren und zugleich attraktiv formulierten Redetext ausarbeiten, wenn Sie Ihr Publikum beeindrucken wollen.
3) Sie müssen Ihren verfertigten Redetext auswendig lernen und wirkungsvoll präsentieren können. Auch der beste Redetext nützt wenig, wenn Sie ihn nicht vorzutragen verstehen. Oppermann ist bereit: Er ist auf allen drei Ebenen gut vorbereitet.
Rhetorische Stilmittel
Auffällig an Oppermanns Rede ist, dass sie gänzlich ausformuliert worden ist. Oppermann arbeitet nicht nur mit Notizen oder Stichwörtern. Das ist klug. Das gibt Sicherheit. Zudem muss sich seine Rede nicht auf Vorredner beziehen, denn sie steht noch «alleine» da. Erst seine folgenden Redner werden bei seiner Rede anknüpfen müssen.
Oppermann hat nicht nur seinen Redetext ausformuliert. Seine Rede arbeitet auch gezielt mit rhetorischen Stilmitteln, die häufig «rhetorische Figuren» genannt werden. Die sprachliche Gestaltung seiner Rede ist ein wichtiges Element der beabsichtigen Redewirkung. Eine attraktiv formulierte Rede unterstützt das Vorhaben, die eigenen Gedanken und Botschaften überzeugend erscheinen zu lassen. Ein gekonnt formulierter Redetext ist ein nicht zu unterschätzendes Mittel der Überzeugung. Dessen sind sich versierte Rednerinnen und Redner schon immer bewusst gewesen.
Rhetorische Stilmittel erkennen
Grundsätzlich geht es bei den rhetorischen Stilmitteln um einen Sprachgebrauch, der in irgendeiner Weise auffällig ist. Als einfache Regel kann gesagt werden: Wo die Sprache auffällig verwendet wird - wo also in besonderer oder ungewöhnlicher Weise geredet oder geschrieben wird - dort wird mit rhetorischen Stilmitteln gearbeitet. Diese Besonderheiten fallen darum auf, weil sie von dem abweichen, was als «gewöhnliches» oder «normales» Sprechen und Schreiben wahrgenommen wird. Und diese unübliche oder auffällige Verwendung der Sprache kann sehr unterschiedliche Ebenen betreffen: Laute, Wörter, Sätze, grössere Textteile. Häufig ist es so, dass Rednerinnen und Redner wichtige rhetorische Stilmittel während des Redevortrages bewusst stimmlich unterstützen, indem sie z.B. gezielt deutlicher, langsamer, lauter oder auch leiser artikuliert werden.
Aufgabe 3
Hören Sie noch einmal den Beginn von Oppermanns Rede (nachfolgender Ausschnitt) und folgen Sie zugleich dem Redetext. Markieren Sie die eingesetzten rhetorischen Stilmittel. Das heisst: Markieren Sie alle Stellen in Oppermanns Redetext, die in auffälliger Weise formuliert sind. Sei es auf der Ebene einzelner Wörter oder grösserer Satzteile.
Es gibt viele Arten und Weisen, Sprache ungewöhnlich einzusetzen, um Wirkung beim Publikum zu erzielen. Rhetorische Stilmittel erfüllen unterschiedliche Funktionen: Sie können die Aufmerksamkeit erhöhen, das Publikum unterhalten, Gedanken veranschaulichen, Kernaussagen betonen, Emotionen erzeugen und vieles mehr.
Der Bereich der rhetorischen Stilmittel ist ein weites Feld. Die Rhetorik hat im Verlaufe ihrer 2500-jährigen Geschichte viele Kataloge hervorgebracht, in denen rhetorische Stilmittel aufgelistet und mit Beispielen erklärt sind. Oft sind sie alphabetisch geordnet, z.B. von A wie Allegorie bis Z wie Zynismus. Die alphabetische Ordnung ist inhaltlich gesehen wenig übersichtlich, denn sie stellt sprachliche Stilmittel zusammen, die sehr unterschiedlich «funktionieren» und wirken. Dennoch helfen solche Kataloge, rhetorische Stilmittel kennenzulernen.
Aufgabe 4
Kehren wir zur Rede von Oppermann zurück. Unten finden Sie den ersten Teil seiner Rede. Die Markierungen zeigen Stellen an, die auffällig sprachlich gestaltet sind. Vergleichen Sie diese Markierungen mit denjenigen, die Sie vorgenommen haben.
Im Folgenden geht es darum, diese rhetorischen Stilmittel genauer zu bestimmen. Bezeichnen Sie die markierten rhetorischen Figuren mit den Fachbegriffen. Folgende kommen vor: Accumulatio (Aufzählung), Apostrophe (direkte Anrede), Anapher (Wort-Wiederholung am Satzanfang), Anti-Klimax (Reihung von Gross zu Klein), Antithese (Gegensatz, Kontrast), Appell (Aufruf), Conclusio (Schlussfolgerung), Klimax (Steigerung), Metapher (Verbildlichung), Parallelismus (gleicher Satzbau), Parataxe (Hauptsatz-Reihung), Repetition (Wiederholung).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Als die Süddeutsche Zeitung vor genau einer Woche die ersten Plagiate von Herrn zu Guttenberg dokumentierte, da nannte der Minister die Vorwürfe abstrus und behauptete: „Die Anfertigung dieser Arbeit war meine eigene Leistung.“ - Heute wissen wir, dass Herr Guttenberg auf über 100 Seiten verstreut über das ganze Buch von zahlreichen Wissenschaftlern, Politikern, Journalisten und sogar Studenten abgeschrieben hat, ohne die Urheberschaft kenntlich zu machen. Wir erfahren täglich von neuen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes, die Herr Guttenberg in Auftrag gegeben und in seine Arbeit einverleibt hat, ohne dafür um eine Genehmigung zu bitten und ohne sie kenntlich zu machen. Der Stand vor einer halben Stunde, Herr Guttenberg, war, dass vier Gutachten vorliegen. Inzwischen liegen insgesamt sechs Gutachten vor.
(Zwischenruf)
Sie rücken mit der Wahrheit immer nur dann scheibchenweise heraus, wenn die Beweislast erdrückend wird.
(Beifall)
Wer über 100 Seiten in seine Arbeit kopiert, wer sechs Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes einbaut, der macht keine handwerklichen Fehler, der zitiert nicht fahrlässig falsch. Wer das macht, der betreibt die vorsätzliche und planmäßige Übernahme fremden Gedankengutes, meine Damen und Herren.
(Beifall)
Diese Arbeit ist in großen Teilen nicht Ihre Leistung, Herr Guttenberg. Sie haben getäuscht, Sie haben betrogen, Sie haben gelogen.
(Beifall)
Ich frage Sie, wie Sie noch Respekts- und Autoritätsperson für Zehntausende junger deutscher Soldaten sein können, die in ihrem Leben nicht darauf aus sind, sich durchzumogeln, sondern die ihre Pflicht tun wollen.
(Beifall)
Jeder Soldat wäre in einem solchen Fall entlassen worden. Jeder Schüler wäre durch die Abiturprüfung gefallen, und jeder Student wäre von der Universität geflogen.
(Zwischenruf: Das ist ja Quatsch!)
Weil das so ist, darf es in Deutschland keine Sonderrechte für Minister geben. (...)
«vor genau einer Woche … heute»
«von zahlreichen Wissenschaftlern, Politikern, Journalisten und sogar Studenten»
«einverleibt»
«Herr Guttenberg»
«scheibchenweise»
«wer über….wer sechs…wer das…»
«Herr Guttenberg», «meine Damen und Herren»
«Sie haben getäuscht. Sie haben betrogen. Sie haben gelogen.»
"Ich frage Sie, wie Sie noch..."
"durchzumogeln" und "Pflicht tun wollen";
«Jeder Soldat…jeder Schüler…jeder Student»
«Weil das so ist, darf es in Deutschland keine Sonderrechte für Minister geben.»
Lösungsvorschlag
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Als die Süddeutsche Zeitung vor genau einer Woche die ersten Plagiate von Herrn zu Guttenberg dokumentierte, da nannte der Minister die Vorwürfe abstrus und behauptete: „Die Anfertigung dieser Arbeit war meine eigene Leistung.“ - Heute wissen wir, dass Herr Guttenberg auf über 100 Seiten verstreut über das ganze Buch von zahlreichen Wissenschaftlern, Politikern, Journalisten und sogar Studenten abgeschrieben hat, ohne die Urheberschaft kenntlich zu machen. Wir erfahren täglich von neuen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes, die Herr Guttenberg in Auftrag gegeben und in seine Arbeit einverleibt hat, ohne dafür um eine Genehmigung zu bitten und ohne sie kenntlich zu machen. Der Stand vor einer halben Stunde, Herr Guttenberg, war, dass vier Gutachten vorliegen. Inzwischen liegen insgesamt sechs Gutachten vor.
(Zwischenruf)
Sie rücken mit der Wahrheit immer nur dann scheibchenweise heraus, wenn die Beweislast erdrückend wird.
(Beifall)
Wer über 100 Seiten in seine Arbeit kopiert, wer sechs Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes einbaut, der macht keine handwerklichen Fehler, der zitiert nicht fahrlässig falsch. Wer das macht, der betreibt die vorsätzliche und planmäßige Übernahme fremden Gedankengutes, meine Damen und Herren.
(Beifall)
Diese Arbeit ist in großen Teilen nicht Ihre Leistung, Herr Guttenberg. Sie haben getäuscht, Sie haben betrogen, Sie haben gelogen.
(Beifall)
Ich frage Sie, wie Sie noch Respekts- und Autoritätsperson für Zehntausende junger deutscher Soldaten sein können, die in ihrem Leben nicht darauf aus sind, sich durchzumogeln, sondern die ihre Pflicht tun wollen.
(Beifall)
Jeder Soldat wäre in einem solchen Fall entlassen worden. Jeder Schüler wäre durch die Abiturprüfung gefallen, und jeder Student wäre von der Universität geflogen.
(Zwischenruf: Das ist ja Quatsch!)
Weil das so ist, darf es in Deutschland keine Sonderrechte für Minister geben. (...)
Antithese: «vor genau einer Woche … heute»
Accumulatio und Anti-Klimax: «von zahlreichen Wissenschaftlern, Politikern, Journalisten und sogar Studenten»
Metapher: «einverleibt»
Apostrophe: «Herr Guttenberg»
Metapher: «scheibchenweise»
Anapher (Wiederholung): «wer über….wer sechs…wer das…»
Apostrophe: «Herr Guttenberg», «meine Damen und Herren»
Anapher, Klimax und Trikolon (Dreierfigur): «Sie haben getäuscht. Sie haben betrogen. Sie haben gelogen.»
indirekte rhetorische Frage: "Ich frage Sie, wie Sie noch..."
Antithese: "durchzumogeln" und "Pflicht tun wollen";
Anapher/Repetitio: «Jeder Soldat…jeder Schüler…jeder Student»
Conclusio und Appell: «Weil das so ist, darf es in Deutschland keine Sonderrechte für Minister geben.»
Allenfalls haben Sie auch weitere Figuren gefunden.
Auf wikipedia finden Sie eine lange Liste von rhetorischen Figuren (inkl. Beispiele).
Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_rhetorischer_Stilmittel
Merke: Sprache wird in Reden in auffälliger Art und Weise verwendet. Dies geschieht oft mithilfe von rhetorischen Stilmitteln.