WITTMANN, K. J., 1995b: Sexuelle Hypertrophien bei Mysidaceen (Crustacea) als polare Anpassungen der Reproduktionsbiologie und ihre Bedeutung für die Biodiversität in antarktischen Gewässern. In: C. WIENCKE & W. ARNTZ (Hrsgb.), Benthos in polaren Gewässern. Berichte zur Polarforschung, 155: 94-97.
In der stenokryophilen Mysidaceen-Fauna der Hochantarktis findet man spezielle morphologische Ausbildungen (Abb. 1), wie sie in wärmeren Klimaten nicht oder selten auftreten. Häufig haben beide Geschlechter modifizierte Innenäste der zweiten Antennen. Das findet man bei zwei Amblyops- und weniger stark ausgeprägt bei fünf Mysidetes-Arten. Außerdem sind im männlichen Geschlechte die ersten Antennen modifiziert, wie in der Familie Mysidae üblich. Die Männchen zahlreicher Mysidetes-Arten zeigen große bis riesige den Körper überragende Penes. Ähnliches kennt man bisher nur von einer Heteromysis-Art aus dem NO-Atlantik (Nouvel, 1940). In der Antarktis gibt es überdies zahlreiche neu entdeckte Arten mit einer Vielfalt morphologischer Bildungen, wie eichelähnlichen Strukturen oder schwellbaren Penes, wie sie von der gesamten Tiergruppe bisher nicht bekannt waren. Bei den Weibchen dieser Arten findet man keine auffälligen Sonderbildungen, was vermuten läßt, daß die Paarung und Befruchtung ähnlich wie bei Arten gemäßigterer Zonen verlaufen. Soweit bekannt werden dort die Eier im Brutbeutel befruchtet (Wittmann, 1982).
Bei den untersuchten Antarctornysis- und Mysidetes-Arten fällt gleichermaßen auf, daß von Dezember bis Februar frisch geschlüpfte postmarsupiale Tiere völlig fehlen und Männchen sehr seiten sind. Subadulte Weibchen und aduIte Weibchen mit leerem Brutbeutel sind hingegen sehr häufig. Die meisten Weibchen mit Brut tragen embryonierte Eier, viel seltener Nauplioidlarven und noch seltener Postnauplioide. Diese Beobachtungen sind ein starkes Indikandum dafür, daß die Reproduktion ähnlich abläuft wie von Lasenby und Langford (1972) an arktischen Populationen von Mysis relicta beobachtet. Die Tiere akkumulieren Reservestoffe über den Sommer und werden zu Herbstbeginn geschlechtsreif. Vermutlich im März und April deponieren sie die Eier im Brutbeutel und paaren sich. Bald danach sterben die Männchen ab. Die Larven entwickeln sich über den Herbst und Winter und werden nach annähernd acht Monaten Aufenthalt im Brutbeutel zu Sommerbeginn freigesetzt und können so die Chance des beginnenden Planktonbooms für ein rasches Wachstum nützen. Wie erwartet, zählen die antarktischen Formen daher wahrscheinlich zum Typus der Winterbrüter ('cold-season breeder') nach Wittmann (1984).
Die sexuellen Sonderbildungen der Männchen in der Antarktis werden dahingehend interpretiert, daß die Tiere nur während einer einzigen Saison in ihrem Leben und da nur während eines sehr kurzen Zeitraumes die Chance auf Fortpflanzung zu nützen haben. Da die Paarung polarer Arten noch nie beobachtet wurde, kann man vorläufig nur die Beobachtungen an Arten wärmerer Klimaten extrapolieren: Falls die Paarung ähnlich schnell verläuft wie von Nouvel (1940) und Wittmann (1982) bei Heteromysis und Leptomysis beobachtet, dann kommt es für die Männchen darauf an, mit den modifizierten Antennen ein ein paarungsbereites Weibchen möglichst schnell ausfindig zu machen und die Penes möglichst flink in den Brutbeutel zu bringen. Da könnte ein Riesenpenis Vorsprung und/oder höhere Präzision bei der Übertragung der Gameten bedeuten. Wenn man alles auf eine Karte setzen muß, um die Gene an die nächste Generation zu bringen, dann kann die Überlebens-Fitness hinter der reproduktiven Fitness in ihrer Bedeutung zurückstehen und es von Vorteil sein, zwei bei der Paarung effiziente aber sonst hinderliche Riesenpenes herumzuschleppen.
reproductive adaptations; Antarctic
Amblyops tattersalli; Antarctomysis; Heteromysis; Leptomysis; Mysidetes; Mysidetes sp.; Mysis relicta