Russlands Überfall
auf die Ukraine
Was nun?

VERÖFFENTLICHT 24. FEBRUAR 2022

Manche wollten es bis zum Schluss nicht glauben. Es liege doch gar nicht im russischen Interesse, in die Ukraine einzumarschieren, Russland würde sich wirtschaftlich unendlichen Schaden zufügen, die ganzen Vorhersagen seien doch nur Theaterdonner der Amerikaner. 

Und dann folgen die beiden klassischen russischen Fragen: кто виноват? (wer ist schuld?) und Что делать? (was tun?).

In seiner langen Ansprache am 22. Februar hat Putin beide Fragen auf seine Weise beantwortet. Schuld sind alle anderen, vor allem die Ukrainer und die NATO – sprich die USA, und was zu tun ist, hat er am frühen Morgen des 24. Februar, klargestellt: KRIEG!

Allzuviel Mühe hat er sich mit der diplomatischen Vorbereitung nicht gemacht. Gleich am Anfang standen Ultimaten – die übrigens außer der Ukraine und der NATO auch Schweden und Finnland bedrohten. Sein Entschluss scheint seit einiger Zeit festzustehen. Macron hat er kalt abfahren lassen, Olaf Scholz nochmals belogen – die britische Außenministerin Liz Truss wurde als inkompetente Schwätzerin behandelt. Das war kein Mann, der verhandeln wollte.

Putin ist überzeugt, dass die Ukraine zu Russland gehört. Sein Bild von Russland orientiert sich am Russischen Imperium in seiner größten Ausdehnung. Dieses Imperium war mit der Sicherheit seiner Nachbarn nicht vereinbar – die polnischen Teilungen, an denen sich auch Preußen und Österreich beteiligten, sprechen eine klare Sprache. Die sowjetische Ukraine war der Ort schlimmer Exzesse im Bürgerkrieg der weißen gegen die roten Garden, der Ort von schweren Verbrechen an den Bauern durch die stalinistische Kollektivierung – und danach das Gebiet, das am meisten unter dem Überfall der Nationalsozialisten auf die Sowjetunion gelitten hatte. In diese Tradition stellt sich Putin – in keine andere. Sein neuer russischer Imperialismus ist ebenfalls mit der Sicherheit seiner Nachbarn nicht vereinbar.

Putin hat Angst! – Angst vor Demokratie. Den Aufstand auf dem Maidan beantwortete er mit der Besetzung der Krim. Putin hat Angst vor einer „farbigen Revolution“ auch in Russland. Der historische Hintergrund der Zuordnung der Krim zur Ukraine im Jahre 1954 durch den damaligen Parteichef Chruschtschow war in der Tat fragwürdig gewesen. Aber 1994 hat Russland die territoriale Unversehrtheit der Ukraine garantiert, wenn diese ihre Nuklearwaffen abgibt. Diese Unterschrift war 2014 nichts mehr wert. Die Eroberung der Krim war eine glatte Aggression und eine Verletzung der Helsinki-Charta – Grenzen sind unverletzlich und dürfen nur durch friedliche Verhandlungen verändert werden.

Im Jahre 2007 war ich auf der Münchner Sicherheitskonferenz dabei als Putin dem Westen den neuen kalten Krieg erklärte – viele hatten ihn nicht verstanden. Außenminister Steinmeier bot Russland eine Modernisierungspartnerschaft an – diese wurde in den Wind geschlagen. Mit der North Stream Pipeline und später dem North Stream II Projekt sollte wenigstens die Energiepartnerschaft weiter vertieft werden.

Wir gingen damals davon aus, dass Russland ein ähnlich zuverlässiger Lieferant sein werde wie es die Sowjetunion sogar mitten im kalten Krieg war. Seit Gazprom-Chef Miller das kurz nach dem Georgien-Konflikt von 2008 infrage stellte, wäre ein stärkeres Setzen auf LNG und mehr Diversifizierung angezeigt gewesen. Die deutsche Energiedebatte wandte sich aber zunehmend vom Thema Energiesicherheit ab und konzentrierte sich auf die Klimapolitik – anstatt beides im Blick zu behalten. Mehr Unabhängigkeit durch Fracking scheiterte an den Umweltbedenken. Wir gingen auch davon aus, dass unsere Abhängigkeit vom russischen Gas dadurch kompensiert werde, dass Russland nicht auf die Einnahmen aus den Lieferungen verzichten könne. Schon 1995 sagte mir der frühere Kanzler Helmut Schmidt bei einem Besuch in Moskau sinngemäß: glauben Sie nicht, dass wirtschaftliche Gründe irgendeine Großmacht daran hindern ihre Macht auszuspielen – die Folgen für die Wirtschaft werden einkalkuliert, im Zweifel überwiegen aber immer politische Machtinteressen.

Wenn wir uns fragen, wer ist schuld? – dann geht es hier nicht um irgendwelche langen Ketten von Ursachen und Wirkungen in der Geschichte. Diesen Determinismus gibt es nicht. Was immer geschehen ist, nichts – aber auch gar nichts – rechtfertigt den unprovozierten militärischen Überfall Russlands auf die Ukraine. Hier ist völlig klar, wer diesen Krieg wollte: Wladimir Putin und seine Entourage. Dies sind genau die Leute, die 1991 gegen Gorbatschow geputscht haben – in der Tradition des sowjetischen KGB – und die 1993 in Moskau versuchten, Jelzin die Macht zu nehmen. Diese Gruppe ist gewaltbereit, und wie wir sehen kriegsbereit.

In den acht Jahren, die ich in der Sowjetunion und in Russland (1976-1980, 1992-1995) zugebracht habe, ist mir immer wieder aufgefallen, dass es zwei Russland gibt: das eine, kulturell zu Europa gehörige, friedliebende, mitmenschlich sehr empathische und auf Wohlstand hoffende Russland, und das andere: nationalistisch und von Nostalgie für das Imperium getriebene aggressive Russland. Beide Gruppen haben nebeneinander existiert. Nicht irgendein abstraktes „Russland“ hat sich verändert, sondern die Kriegspartei hat die Friedenspartei von der Macht verdrängt und ihren Standpunkt mit Mitteln der Repression und mit autoritären Maßnahmen durchgesetzt.

Was nun? – Über Sicherheit in Europa muss immer gesprochen werden – aber wenn jemand Ziele verfolgt, die auf Unterwerfung hinauslaufen, dann ist dieses Gespräch nur möglich, wenn dahinter die Macht der Abschreckung durch eigene Macht steht. Deshalb muss der Westen jetzt die Reihen schließen. Für kleine interne Konflikte ist jetzt nicht die Zeit. Vor allem muss auch in den USA klargestellt werden, ob das transatlantische Bündnis stabil ist. Die Äußerungen von Donald Trump, der Putin offenbar für „genial“ hält, sind erschreckend.

Der russische Angriff zeigt, dass es gute Gründe für die Ukraine gab, sich durch Bündnisse rückzuversichern. Daher das Bemühen für einen NATO-Beitritt. Ich habe das immer – trotz aller guten Gründe – für falsch gehalten, weil das vorausgesetzt hätte, dass die NATO und die USA bereit gewesen wären, in der Ukraine Krieg gegen Russland zu führen, der jederzeit zu einem nuklearen Krieg zwischen West und Ost eskalieren könnte. Das war und ist auch jetzt nicht der Fall. Jetzt ist es aber wichtig, ALLEN MITGLIEDERN der NATO in aller Deutlichkeit alle Garantien einschließlich des nuklearen Schirms der USA auszusprechen.

1 KOMMENTAR

Wolfgang Wiemer (25. Februar 2022 um 10:16 Uhr)

So ist es; keine andere Deutung scheint mir möglich. Ich habe lange kritisiert, dass Russland vom „Westen“ nahezu ignoriert wurde. Hintergrund war für mich, beide Putin-Reden, 2001 im Bundestag und dann die in München, gehört zu haben. Sei’s d’rum. Es gibt keine Rechtfertigung und keinen mildernden Umstand mehr für Putin.