Asylantrag an Botschaften?

Asylantrag im Ausland stellen?

Manche schlagen vor, dass Asylanträge für Deutschland im Ausland, z.B. an deutschen Botschaften, gestellt werden sollten, um zu vermeiden, dass viele erst illegal einreisen, um ihren Antrag zu stellen. Das wäre ein völlig anderes Asylsystem als das bisherige – und sicher nicht das, was die Verfassungsväter 1949 sich vorgestellt haben. Diejenigen, die diesen Weg vorschlagen, sollten aber berücksichtigen, welche Folgen das haben würde.

Dabei gehe ich von folgender Ausgangslage aus:

1.     Wenn ein im Ausland, z.B. an einer Auslandsvertretung, gestellter Asylantrag als eine gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Antragstellung gilt, dann wird mit diesem Antrag auch das gesamte weitere Verfahren zur Bearbeitung dieses Antrags in deutsche Hände gelegt: die Verpflichtung zur Prüfung des Antrags, die Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel einzulegen, die Garantie des vollständigen Rechtswegs zu deutschen Gerichten – möglicherweise auch die finanzielle Unterstützung der Antragsteller für den gesamten deutschen Rechtsweg.

2.     Nach Angaben des UNHCR sind weltweit etwa 110 Millionen Personen auf der Flucht, die meisten sind Binnen-Flüchtlinge, etwa ein Drittel befinden sich außerhalb ihrer Heimatländer. Nicht mitgezählt sind diejenigen, die in ihrem Heimatland mit ihrer Lebenssituation nicht zufrieden sind und aus verschiedenen Gründen lieber in Deutschland leben würden, aber nicht als Fachkräfte nachgefragt werden und in der Regel kein Visum bekommen können, weil sie für ihren Unterhalt nicht selbst sorgen könnten.

3.     Bei weltweiter Öffnung der Antragstellung hätte sicher die Mehrheit der Flüchtlinge anders als heute einen Anreiz zur Antragstellung. Die Prüfung der Anliegen ist im Ausland ungleich schwieriger und die Prüfer müssten vermutlich manche Reise dafür unternehmen, vor allem auch Richter und Gutachter in Verfahren höherer Instanzen. Heute wird Flüchtlingen bei uns subsidiärer Schutz gewährt - die Unterscheidung von einem Asylverfahren wird den meisten kaum verständlich sein. Eine große Zahl, m.E. mehr als die Hälfte der Flüchtlinge flieht nicht nur vor Krieg und Bürgerkrieg, sondern vor Gewalthabern, die sie bedrohen.

4.     Ich gehe auch davon aus, dass Bewerber aus Staaten, in denen Folter und Todesstrafe abstrakt jeden bedrohen, zu sehr hohen Anteilen anerkannt werden müssten. In vielen Staaten der Welt werden z.B. Menschen aus Gründen ihrer sexuellen Orientierung, ethnisch oder religiös verfolgt. Wenn ich davon ausgehe, dass 5% Verfolgte in der Bevölkerung solcher Staaten durch einen Asylantrag bei der deutschen Botschaft dieser Verfolgung entgehen könnten, dann dürfte sich das herumsprechen. Anwälte könnten entsprechende Anträge für eine sehr große Zahl von Betroffenen vorbereiten. Staaten, die z.B. Homosexuelle verfolgen, könnten das sogar unterstützen, um Menschen, die sie nicht akzeptieren, abzuschieben.  Auch hier gilt: wenn der Antrag in dem Land legal bei der deutschen Botschaft gestellt werden kann, dann müsste er nach deutschen Recht überwiegend auch anerkannt werden. 

5.     Potenziell sind könnten 200-300 Millionen unterdrückte Menschen Aussicht auf einen erfolgreichen Asylantrag haben, die Mehrzahl der vom UNHCR anerkannten Flüchtlinge und alle in Unrechtsstaaten lebenden gewaltsam unterdrückten Gruppen. Zumindest müssten diese Anträge geprüft werden und könnten nicht einfach zurückgewiesen werden. Wie viele das neue System nutzen würden, ist schwer zu schätzen. Allerdings würden sich Strukturen z.B. von Anwälten bilden, die möglichst viele Bewerber gegen Entgelt zu einer Antragstellung veranlassen. Wenn nur ein Bruchteil von 5% der voraussichtlich Asylberechtigten einen Antrag stellen würde, was ich eher für eine Untergrenze halte, ergibt sich eine Größenordnung von 10 Millionen Anträgen. Die Botschaften, ebenso wie die zuständigen Behörden und Gerichte in Deutschland dürften damit überfordert sein.

6.     Aus der Erfahrung mit Schlepperbanden wissen wir, dass gegen entsprechende Zahlungen jeder mögliche Weg auch für diejenigen gesucht – und gefunden – wird, die eigentlich kein Recht auf Asyl haben. Das bedeutet aber, dass im Ausland umgehend auch die Antragstellung für diesen Personenkreis organisiert wird – vermutlich überwiegend durch kriminelle Organisationen. Diese werden – wie schon heute - sehr genau beobachten, welche Narrative und welche Umstände die Chancen ihrer Klientel verbessern. Die Anpassung an deutsche Rechtsprechung erfolgt sehr flexibel. Natürlich passen sich dann auch die deutschen Behörden an, so dass – nicht anders als derzeit – ein relativ hoher Prozentsatz der Antragsteller zurückgewiesen werden wird. Allerdings kann der Rechtsweg nicht einfach verweigert werden, nur weil das legale Verfahren vom Ausland aus eingeleitet wurde. Durch gut vorbereiteten Verzögerungstaktiken und Überlastung der Verfahren, die dann nicht mehr regulär abgeschlossen werden können, werden dann auch viele unbegründete Anträge im Zweifel für den Antragsteller entschieden werden müssen. Deutschland wäre also wehrlos gegen Massen von Anträgen. Wir müssten einerseits an die 10 Millionen Bewerber anerkennen und könnten die vielleicht dreimal so hohe Zahl, also vielleicht 30 Millionen, aussichtsloser Anträge nicht mehr ordnungsgemäß bearbeiten.

7.     Ohne eine Sicherheitsüberprüfung der Antragsteller – also von Ausländern im Ausland – ist das Risiko der Einreise integrationsunwilliger Personen, politischer Gewalttäter und auch von Terroristen sehr hoch. So eine Überprüfung ist aber bei Antragstellung im Ausland illusionär, bei sehr hohen Zahlen vollends unmöglich. Ist die Einreise aber erst einmal erfolgt, bleibt eine Abschiebung genauso schwierig wie heute schon, zumal andere Länder Personen mit Sicherheitsrisiko ungern aufnehmen oder aber sie mit Folter und Todesstrafe bedrohen – was gerade in den meisten Herkunftsländern von Terroristen der Fall ist, und was Abschiebungen verhindert.

8.     Der Fehler wäre kaum korrigierbar. Eine Erleichterung der Verfahren auf diesem Weg dürfte kaum wieder rückgängig zu machen sein, weil zumindest die erste große Welle bereits gestellter Anträge dann nicht mehr durch erneute Gesetzesänderung zurückgewiesen werden kann – das ginge allenfalls für Neuanträge nach Inkrafttreten der Rücknahme einer solchen Regelung. An eine Akzeptanz von Fachkräfte-Einwanderung ist unter solchen Umständen nicht zu rechnen – dafür wären außerdem gar keine Kapazitäten mehr frei. Die sozialstaatlichen – vom Verfassungsgericht strikt ausgelegten - Regel wären dann nicht mehr zu finanzieren, irgendwelche „Integrationsbemühungen“ ebenfalls nicht.

10. Aus allen diesen Gründen kann ich vor Verlagerung der Antragstellung an Botschaften im Ausland nur warnen. Der richtige Weg wäre eine Änderung der Regime an den Grenzen, wo aussichtlose Fälle unmittelbar und administrativ zurückgewiesen werden müssen. Den Rechtsweg können wir nicht verweigern, aber er müsste in diesen Fällen vom Ausland aus beschritten werden. Die Rückführung auf die andere Seite der Grenze ist kein „refoulment“, wenn die Asylbewerber nicht unmittelbar aus ihrem Heimatland kommen und nicht in die Gefahr, vor der sie fliehen, zurückgehen müssen. Fachkräfteeinwanderung muss davon völlig getrennt werden, illegale Einreisen dürfen nicht „belohnt“ werden, die begrenzte humanitäre Aufnahme von Kontingenten aus UNHCR-Lagern könnten aber durchaus mit der Suche nach Fachkräften verbunden werden. Nur mit klaren – verfassungsrechtlich abgesicherten – Regeln, dass Gefährder unserer Sicherheit ihr Asylrecht vollständig verwirken, kann das Sicherheitsproblem wieder etwas mehr in den Griff kommen.