Klima und COP Die Speisung der 70.000

Pressemeldungen zufolge nehmen 70.000 Teilnehmer an der COP in Dubai teil. Allein die deutsche Delegation besteht aus 250 Mitgliedern. Ich finde das obszön!

Das Thema Klimawandel ist ein wichtiges und ernstzunehmendes Problem. Um zu Lösungen zu kommen braucht es zweierlei: eine solide naturwissenschaftliche Wissensbasis und eine solide politische Unterstützung. Der Klimawandel ist ein globales Problem, ohne globale Unterstützung kommen wir nicht weit. 

Unser Wissen über die komplexen Zusammenhänge zwischen natürlichen und von Menschen induzierte Prozesse hat sich erheblich vermehrt, die wissenschaftliche Datenbasis deutlich verbessert. Dennoch gibt es noch viel zu tun. So wissen wir noch viel zu wenig über die "Triggerpunkte", also dynamische Veränderungen des Zustands unseres Planeten, die nicht wieder in einen Gleichgewichtszustand zurückkehren.  Wissenschaftliche Erkenntnisse sind immer vorläufig und müssen ständig nüchtern und sachlich überprüft werden. 

Wissenschaft darf nicht zur Religion mit dogmatischen Glaubenssätzen werden, die gegen Gegenargumente immunisiert wird. Manche postmoderne Scharlatanerie, die sich als Wissenschaft ausgibt, ist an solchen Immunisierungsstrategien zu erkennen, und wenn das nicht ausreicht, an der Errichtung einer Inquisition gegen Herausforderer.

Es wäre zu wünschen, dass mehr junge Leute das schwierige Studium der Naturwissenschaften auf sich nehmen und Klimaforscher der nächsten Generationen werden.  Manche resignieren und verstehen sich schon als "last generation". Aber selbst der dort so beliebte Klebstoff ist das Ergebnis wissenschaftlich basierter Produktion. Vielleicht wäre es auch eine gute Idee, wenn Schülerinnen und Schüler nicht am Freitag die Schule schwänzen, sondern stattdessen die Schulen damit unter Druck setzen, dass sie am Samstag dort auftauchen und zusätzlichen mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht fordern - und notfalls demonstrativ den Unterricht dafür mit Freiwilligen selbst organisieren.

Klimaforschung muss international sein, die Strukturen dafür gibt es, insbesondere den Weltklimarat. Möglichst viele Forscher aus möglichst vielen Ländern sollten daran teilnehmen. Die Teilhabe muss sich aber ausschließlich auf die wissenschaftliche Qualifikation stützen und nicht auf fachfremde Kriterien. 

Schließlich kommt es aber darauf an, was mit den Ergebnissen der Forschung geschieht. Nicht nur Klimaforscher sollten sich verpflichtet fühlen, iher Ergebnisse so klar und verständlich darzustellen, dass sie auch von Laien verstanden werden, Dazu gehören auch die meisten Staatslenker und Politiker. Wissenschaftler können nicht oft genug betonen, dass alle Ergebnisse vorläufig sind und ständig überprüft werden müssen, dass Forschung ein Prozess ist, der immer wieder neue Überraschungen bringen kann. Deshalb sind diejenigen Wissenschaftler ernst zu nehmen, die frühere Fehler aufzeigen und korrigieren, und nicht diejenigen, die an ihren Thesen wie an religiösen Dogmen festhalten. 

Es war geradezu peinlich, wie Journalisten den deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach aufforderten, er möge sich für Irrtümer im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie entschuldigen. Sie haben nichts begriffen. Lauterbach denkt wissenschaftlich, also hält er solche Irrtümer für einen selbstverständlichen Teil des Prozesses und deshalb korrigiert er sich ständig. Das ist ein Grund zu Stolz und nicht für Entschuldigungen.

Als erstes halte ich fest: Wissenschaft ist immer ein Prozess von Versuch und Irrtum, eine strenge wissenschaftliche Methodik ist auch für die Klimaforschung unabdingbar,  Zwischenergebnisse müssen den Laien verständlich dargeboten werden, aber immer mit dem Hinweis, dass Forschung immer weitergeht und jedes Ergebnis bezweifelt werden muss - und dass dieses Bezweifeln Teil der Wissenschaft ist und nicht etwa ein Grund, die bisherigen Ergebnisse nicht sehr ernst zu nehmen.

Wenn die wissenschaftlichen Ergebnisse darauf hinweisen, dass die Menschheit ein globales Klimaproblem hat, das im Interesse des Überlebens gelöst werden muss, dann ist Handeln gefragt. Das Handeln aber ist stets politisches Handeln. Die erste politische Entscheidung ist es, "auf die Wissenschaft zu hören" , wie es bei Demonstrationen von "Fridays for Future" immer wieder hieß. Dazu gehört aber auch "die Wissenschaft zu kennen und zu verstehen",  was mehr erfordert als Sprechchöre. Es gibt einen globalen Konsens über die wissenschaftlichen Ergebnisse. Politik kann sich auf diesen Konsens stützen. Andere wissenschaftlich begründete Auffassungen sollten nicht ausgegrenzt werden. Aber Scharlatane, die wissenschaftlichen Kriterien nicht genügen, müssen zurückgewiesen werden. 

Unter Philosophen ist das Abgrenzungsproblem, also wie Wissenschaft von Scharlatanerie zu unterscheiden ist, durchaus umstritten. Ich halte eher großzügige Abgrenzungen im Interesse der wissenschaftlichen Kreativität für vernünftig, allerdings kann ein zu weitgehender Relativismus im Sinne von Paul Feyerabend ("anything goes")  Wissenschaft zerstören und Hexenglauben legitimieren. Für die Politik ist es besser, sich an den Konsens der "Normalwissenschaft" zu halten, die ständig durch neue Daten ergänzt wird und neue Erkenntnisse einbezieht.

Politik spiegelt die unterschiedlichen Prioritäten und Präferenzen der Menschen wider. Diese  Pluralität wird in Demokratien in der Regel durch verschiedene politische Parteien ausgedrückt. In anderen Systemen zeigt sich das - wenn überhaupt - in mehr oder weniger offenen internen Auseiandersetzungen innerhalb der herrschenden Kreise.

Eine Mehrheit von verantwortlichen Politikern hat erkannt, dass der von Menschen verursachte Anteil an der Veränderung des globalen Klimas eine gefährliche Dimension erreicht hat, so dass weltweite Gegenmaßnahmen notwendig sind. Eine lautstarke Minderheit bestreitet das und vertraut der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht. Diese Gruppe hält die Gefahren des Klimawandels für überschätzt und hält das Thema nicht für dringlich, manche weigern sich sogar rundheraus, wissenschaftliche Erkenntnisse zu akzeptieren. Die dritte Gruppe umfasst diejenigen, die das Thema nicht verstanden haben und vielleicht auch damit überfordert sind. Sie passen sich oft der einen oder anderen engagieren Partei an, würden das so schwierige Thema aber lieber heute als morgen von der Agenda streichen um sich "wichtigeren Problemen" zu widmen.

Politisches Handeln braucht Legitimität.  Wie bei jeder politischen Agenda muss daher auch für Klimapolitik aktiv um Unterstützung geworben werden.  Es ist zu wünschen, dass in jedem Land, in jedem politischen System ein Maximum an Unterstützung für eine verantwortliche und wissenschaftlich gut begründete Klimapolitik gewonnen wird. Das Erfolgskriterium dafür ist das Handeln der Regierung. 

Die Erfolgsvoraussetzung ist, dass die Regierten bereit sind, dieses Handeln zu unterstützen.  Das entscheidende Mittel dafür sind in Demokratien Wahlen. Öffentliche Debatten in Medien und Meinungsäußerungen,  auch Demonstrationen und Druck von Bürgern kann hilfreich sein, wenn dadurch mehr Unterstützung gewonnen wird. Demokratie lebt vom Kompromiss, kompromisslose Aktivisten, die sich als Eiferer und Sektierer zeigen, unterminieren die notwendige Unterstützung.  

Globales Handeln braucht globale Legitimität. Und hier kommen wir zur Klimadiplomatie. 

Wer den Klimawandel beeinflussen will, muss von heute existierenden Daten ausgehen, nicht von irgendwelchem "aufgelaufenen Schuldkonten" (so berechtigt das aus historischer Sicht ist), wer die Folgen in den Griff bekommen will, muss die zukünftigen Emissionen kontrollieren, nicht die vergangenen beklagen

Schuldzuweisungen tragen zudem nichts zur internationalen Verständigung bei . Begriffe wie Schuld und Sühne oder zerknirschte Bußfertigkeit mancher im Westen hilft ebensowenig weiter wie Vorwürfe an die größten "Klimasünder". Wenn Länder wie China und Indien für ihre riesigen Bevölkerungen ein "westliches" Lebensniveau erreichen wollen, dann ist das legitim. Ein US-Präsident, der den exorbitanten Verbrauch seines Landes an globalen Ressourcen einschränken will, muss damit rechnen, Wahlen zu verlieren. Wenn er also realistische Kompromisse sucht, ist das ebenfalls legitim. Es kommt darauf an, diese Staaten zu überzeugen, dass auch eine dynamische verantwortungsvolle Klimapolitik zugleich auch Realpolitik ist. Das ist alles andere als einfach.  

Die Entwicklungsländer bestehen darauf, dass der Westen zuerst überdurchschnittlich starke Einschnitte in seinen Volkswirtschaften vornimmt, bevor sie bereit sind, selbst an Maßnahmen zum Klimaschutz teilzunehmen - im Übrigen soll der Westen dann auch die Vorhaben im globalen Süden finanzieren. Dahinter steht offensichtlich die unausrottbare Vorstellung, dass der westliche Reichtum schier unermesslich ist. China und Indien spielen diplomatisch auf diesem Klavier, obwohl sie beide wissen, dass sie selbst erheblich von Folgen des Klimawandels betroffen sind.

Ohne die USA, China und Indien, die zusammen für etwa die Hälfte der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich sind, gibt es keine Lösung. Nicht die 70.000 "Delegierten" in Dubai, auch nicht Tausende von Demonstranten, können etwas erreichen, wenn sich diese drei nicht einigen.

Nun sind alle rund 200 großen und kleinen Staaten an den Verhandlungen beteiligt. Wenn jeder Staatschef im Durchschnitt von 10 Personen begleitet wird, dann sind das schon 2200 Teilnehmer. Wenn die Staatschefs allerdings mit 250 Mann starke Hofstaaten anreisen, dann wird aus einer großen Konferenz eine aufgeblasene Mammutkonferenz.  Das ist eine ineffiziente Verschwendung.

Experten, die ihre Ergebnisse vorstellen, gibt es nicht in allen Ländern. Wenn die 100 besten unter ihnen teilnehmen reicht das aus. Lobbyisten aller Art gehören nicht auf politische Gipfel. Zu schwierigen internationalen Verhandlungen tragen sie kaum bei. Natürlich dürfen sie ihre Standpunkte vortragen. Dazu brauchen sie nicht nach Dubai zu fliegen. 

Eine globale Regelung braucht einen Konsens, der durch eine intensive bilaterale Diplomatie vorbereitet werden muss. Es müssen Bündnisse geschlossen und Kompromisse vorbereitet werden. Am Ende zählt das Ergebnis: eine Einigung auf Maßnahmen, die insbesondere von den größten Emittenten USA, China und Indien auch tatsächlich durchgeführt werden - und von allen anderen ebenfalls respektiert werden. Mit einem Land, das vom Erdöl lebt, als Veranstalter hat man den Bock zum Gärtner gemacht. Meine Erwartungen sind entsprechend gering. 

Der deutsche Beitrag zum Klimaschutz dürfte weltweit zu gering sein, um die Welt zu retten. So begründet man oft die deutsche Vorreiterfunktion damit, dass man so zeigen könne, wie Ökonomie und Ökologie miteinander vereinbar seien und mit welchen Technologien das erreicht werden kann. Leider zeigte sich gerade auch in Dubai, dass unsere Glaubwürdigkeit beschädigt wird, wenn die Finanzierung, die Wirtschaftlichkeit und die technologischen Fähigkeiten unserer Politik in Zweifel gezogen werden. Die Prominenz des "Atomclubs" und der Ölstaaten war in Dubai sicher erheblich. Das deutsche Vorbild ist trotz "Klimaclub" blass und mit viel Geld erkauft. Wenn wir "Vorbild" sein wollen, müssen wir nicht nur großartige Pläne vorstellen, sondern beweisen, dass sie funktionieren, dass sie technisch ausgereift und ökonomisch finanzierbar sind.

Vor allem: Mindesten 65.000 von den in Dubai gespeisten 70.000 Teilnehmern verschwenden Geld, Zeit und Energie der Verhandler und der Steuerzahler. Das ist ein Ärgernis!