Bleibt auf dem Teppich!
Wir brauchen keinen Gesinnungstest zur Haltung zur Ukraine

VERÖFFENTLICHT 5. MÄRZ 2022

Der russische Überfall auf die Ukraine hat zu recht unsere Öffentlichkeit empört. Ich bin sicher, dass auch viele Russen, die sich von der Propaganda des Putin-Regimes nicht irre machen lassen, diese Empörung teilen. Manche haben mutig demonstriert, andere sind still verzweifelt. Viele andere lassen sich von Nationalismus und imperialen Phantasien beeindrucken oder verführen. Gleichzeitig verstärkt das russische Regime, das den letzten Schein von Demokratie längst abgeworfen hat, die Repression gegen Andersdenkende.

 Menschen, die den Krieg ablehnen und sich nicht der offiziellen Sprachregelung anschließen, werden mit langjährigen Freiheitsstrafen bedroht. Unter solchen Umständen kann von niemandem verlangt werden, ein „Held“ zu sein, der seine Freiheit und sein Leben in Gefahr bringt, um seinen Dissens klar zu äußern. Ich bewundere diejenigen, die solche Helden sind – aber dazu gehört Stärke, die nicht jedem gegeben ist.

Wie steht es aber um die Russen, die außerhalb ihres Landes in demokratischen Gesellschaften leben? Sie sind frei, sich zu äußern – für oder gegen Putin, für oder gegen den Krieg, für oder gegen die Moral. Es gibt Grenzen, die dort liegen, wo zu Gewalt aufgerufen wird oder wo Menschen in ihrer Würde verletzt werden. Das Grundgesetz schützt die Meinungsfreiheit "für jeden", also auch für Ausländer (anders als die Versammlungsfreiheit, die vom Grundgesetz für „jeden Deutschen“ geschützt wird).

Das bedeutet nicht, dass wir hinnehmen müssen, wenn ausländische Staaten ihre Propaganda mit dem Zweck, unsere Öffentlichkeit durch „fake news“ zu verunsichern, einsetzen. Unsere Demokratie ist wehrhaft: der Versuch von „RT“ und „Sputnik“ einen Propagandakrieges gegen uns zu führen, darf durch Verbote abgewehrt werden. Das kann aber nur für vom feindlichen Ausland gesteuerte Medien gelten. Unsere eigenen Medien dürfen nicht eingeschränkt werden, auch wenn dort Meinungen vertreten werden, die der Mehrheit als abwegig, abstrus und sogar unmoralisch erscheinen.

Russen, die bei uns im Lande den blutigen Angriffskrieg Putins rechtfertigen, wecken Empörung. Aber sie sind von der Meinungsfreiheit geschützt. Die Empörung ist ja trotzdem gerechtfertigt.

Wie aber sollen Arbeitgeber, Kulturinstitutionen, staatlich finanzierte Institutionen mit solchen Russen umgehen? Die Entlassung des Dirigenten Gergijew, die Absage von Konzerten mit Anna Netrebko, die Absage von Sportveranstaltungen mit russischen Gegnern – alles das ist Ausdruck der Empörung nicht nur über die russische Aggression sondern auch darüber, dass sich die Menschen nicht klar und deutlich von dieser russischen Politik distanzieren. So eine mitleidlose Distanz ist angesichts der Bilder aus der Ukraine beschämend.

Dennoch: wir müssen aufpassen, die Empörung nicht in eine Art Gesinnungsprüfung nach dem Muster des McCarthy-Ausschusses gegen unamerikanische Umtriebe ausarten zu lassen, der Anfang der 50ger Jahre in den USA großen Schaden für die Meinungsfreiheit angerichtet hat.

Man sollte einen klaren Unterschied zwischen denen machen, die ohne Not öffentlich eine grausame Kriegspolitik und die russische Regierung, die dafür verantwortlich ist, aktiv unterstützen, und denen, die aus Angst vor Repressionen bei ihrer Rückkehr oder auch aus einer unpolitischen Haltung heraus schweigen und das russische Vorgehen nicht öffentlich verurteilen.

Wer Putin aktiv unterstützt, hat in unserem Sport- und Kulturleben nichts zu suchen. Solche Meinungen dürfen durchaus geäußert werden, aber die Zusammenarbeit mit Unterstützern des Krieges ist unzumutbar.

Wer aber schweigt, sollte nicht gezwungen sein, zu reden. Es kann viele Gründe dafür geben. Auf die Motive kommt es an. Auch hier können wir Heldentum bewundern, aber nicht von anderen verlangen. Wer uns nicht schadet und nicht schaden will, der muss schweigen dürfen, ohne auf unsere Empörung rechnen zu müssen. Wir mögen so eine Haltung unverständlich finden, aber wir sind stark genug, das zu verkraften.

Bei Sportveranstaltungen ist das Problem etwas anders gelagert. Der Wettkampf wird oft als Wettstreit zwischen Nationen inszeniert. Flaggen, Hymnen und die ganze Symbolik nationaler Identität wird aufgefahren. Gerade Diktatoren sonnen sich dann gerne im Glanz der Medaillen „ihrer“ Sportler. Das paraolympische Komitee hatte ja zunächst die russischen Sportler unter paraolympischen Symbolen ohne Staatsbezug antreten lassen wollen. Doch viele andere Mannschaften hielten das für ein Feigenblatt und unfair gegenüber den Sportlern aus der vergewaltigten Ukraine. Sport ist offensichtlich nicht unpolitisch – auch wenn es viele Sportler sind. Hier ist es die Symbolwirkung des nationalen Teams, die zu Absagen führt, nicht das Verhalten einzelnen Sportler – die nur danach bewertet werden können, wie sie sich individuell stellen.

Also: Lasst uns auf dem Teppich bleiben. Niemandem ist geholfen, wenn wir allen hier lebenden Russen öffentliche Bekenntnisse gegen Putin abverlangen würden. Diejenigen, die ihm glauben, die ihn bewundern, sollen sich schämen, aber wer schweigt, muss respektiert werden. Nur öffentliche, aktive Bekenntnisse zur russischen Kriegspolitik sollten dazu führen, die Zusammenarbeit einzustellen.